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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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In welchem Zusammenhang ihr Ende mit ihrer Vergangenheit steht, erfahren wir
wenigstens aus dem Bilde nicht. Das Sterben an sich ist aber kein Gegenstand
für die Kunst, so wenig wie das ausgeführte Martyrium, denn es ist unschön.
Im heißen Schlachtgewühl zu fallen, mit Einem Stoß, noch den Haß gegen den
siegreichen Feind im verwilderten Blick; oder mit festem Schritt auf das Schaffet
schreiten, um seinen Glauben mit seinem Blute zu besiegeln, das ist ein würdiger
Vorwurf, denn die Kraft des Geistes, welche des Untergangs spottet, erhebt und
adelt das menschliche Herz, aber das Hinsiechen gehört nicht in die heitere Welt
der Poesie, so wenig als das Zucker des Fleisches unter den Instrumenten des
Folterers oder des Wundarztes. Im Leben nehmen wir es hin, weil es nicht zu
vermeiden steht.

Ich habe damit zugleich die Ecce-Homobilder verworfen, mit sammt den
Kreuzigungen, wie malerisch sich auch die Blutlosen, die unter der Dornenkrone
des Erlösers hervorquellen, in dem Liede eines heißblutigen Poeten aufnehmen
mögen, und wie sinnreich der französische Romantiker den menschlichen Körper in
plastischen Falten um das Kreuz zu winden versteht. Der leidende Gott ist ein
Gegenstand für Engel, nicht für Menschen. Eben so wenig der gespenstische, mit
abstrakter, passiver Hoheit sich aus dem Grabe erhebende Heiland, der den Boden
unter den Füßen verloren hat, weil er ohne Schwere ist. Aus dem eigentlichen
neuen Testament ist für die Darstellung Christi nicht viel Anderes zu entnehme",
darum haben die energischen Secten des Protestantismus sich mehr an die Pro¬
pheten und die Apokalypse gehalten. Milton und Rubens sind die Künstler, welche
uns den männlichen Gott des Christenthums offenbart haben: den Sieger über
den gewaltigen Fürsten der Hölle, den Richter am jüngsten Tage. Freilich fehlt
auch diesen Kämpfen die plastische Natur der alten Welt. Aber es bleiben schöne
Symbole für den Kampf des Guten und Bösen, wie anch der Raphaelische Erz¬
engel im Harnisch und der Lanze, der dem wüsten Ungethüm der Hölle den Fuß
auf den Nacken setzt: schönere Symbole, als jene typischen Johannes-Gesichter,
von Raphael erfunden und von sämmtlichen Malern und Poeten der neuen Zeit
abconterfeit, jene roscnblutwaugigen Jünglinge mit sorgfältigem Scheitel, die es
niemals zum Manne bringen werden, weil sie keinen Zorn im Herzen tragen;
schönere Symbole, als jene tiefgefurchten Anachoreten des Giuseppe Ribera, die
sich zu bloßen Schemen der Reflexion abgehärmt haben. Das reinste Ideal des
biblischen Christus ist der schon erwähnte Christo della Moneta, der weise genug
ist, die Welt zu begreifen und seine persönlichen Ideale der Nothwendigst zu
opfern, aber stark genug, um über diese Resignation einen tiefen Schmerz zu
empfinden.

Ich komme zum Schluß. Die griechischen Ideale waren der Malerei nicht
günstig, weil sie einfach in ihrem Wesen und, fertig waren, und weil, was ihnen'


Grenzboten, i. 1850. - 22

In welchem Zusammenhang ihr Ende mit ihrer Vergangenheit steht, erfahren wir
wenigstens aus dem Bilde nicht. Das Sterben an sich ist aber kein Gegenstand
für die Kunst, so wenig wie das ausgeführte Martyrium, denn es ist unschön.
Im heißen Schlachtgewühl zu fallen, mit Einem Stoß, noch den Haß gegen den
siegreichen Feind im verwilderten Blick; oder mit festem Schritt auf das Schaffet
schreiten, um seinen Glauben mit seinem Blute zu besiegeln, das ist ein würdiger
Vorwurf, denn die Kraft des Geistes, welche des Untergangs spottet, erhebt und
adelt das menschliche Herz, aber das Hinsiechen gehört nicht in die heitere Welt
der Poesie, so wenig als das Zucker des Fleisches unter den Instrumenten des
Folterers oder des Wundarztes. Im Leben nehmen wir es hin, weil es nicht zu
vermeiden steht.

Ich habe damit zugleich die Ecce-Homobilder verworfen, mit sammt den
Kreuzigungen, wie malerisch sich auch die Blutlosen, die unter der Dornenkrone
des Erlösers hervorquellen, in dem Liede eines heißblutigen Poeten aufnehmen
mögen, und wie sinnreich der französische Romantiker den menschlichen Körper in
plastischen Falten um das Kreuz zu winden versteht. Der leidende Gott ist ein
Gegenstand für Engel, nicht für Menschen. Eben so wenig der gespenstische, mit
abstrakter, passiver Hoheit sich aus dem Grabe erhebende Heiland, der den Boden
unter den Füßen verloren hat, weil er ohne Schwere ist. Aus dem eigentlichen
neuen Testament ist für die Darstellung Christi nicht viel Anderes zu entnehme»,
darum haben die energischen Secten des Protestantismus sich mehr an die Pro¬
pheten und die Apokalypse gehalten. Milton und Rubens sind die Künstler, welche
uns den männlichen Gott des Christenthums offenbart haben: den Sieger über
den gewaltigen Fürsten der Hölle, den Richter am jüngsten Tage. Freilich fehlt
auch diesen Kämpfen die plastische Natur der alten Welt. Aber es bleiben schöne
Symbole für den Kampf des Guten und Bösen, wie anch der Raphaelische Erz¬
engel im Harnisch und der Lanze, der dem wüsten Ungethüm der Hölle den Fuß
auf den Nacken setzt: schönere Symbole, als jene typischen Johannes-Gesichter,
von Raphael erfunden und von sämmtlichen Malern und Poeten der neuen Zeit
abconterfeit, jene roscnblutwaugigen Jünglinge mit sorgfältigem Scheitel, die es
niemals zum Manne bringen werden, weil sie keinen Zorn im Herzen tragen;
schönere Symbole, als jene tiefgefurchten Anachoreten des Giuseppe Ribera, die
sich zu bloßen Schemen der Reflexion abgehärmt haben. Das reinste Ideal des
biblischen Christus ist der schon erwähnte Christo della Moneta, der weise genug
ist, die Welt zu begreifen und seine persönlichen Ideale der Nothwendigst zu
opfern, aber stark genug, um über diese Resignation einen tiefen Schmerz zu
empfinden.

Ich komme zum Schluß. Die griechischen Ideale waren der Malerei nicht
günstig, weil sie einfach in ihrem Wesen und, fertig waren, und weil, was ihnen'


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[0177] In welchem Zusammenhang ihr Ende mit ihrer Vergangenheit steht, erfahren wir wenigstens aus dem Bilde nicht. Das Sterben an sich ist aber kein Gegenstand für die Kunst, so wenig wie das ausgeführte Martyrium, denn es ist unschön. Im heißen Schlachtgewühl zu fallen, mit Einem Stoß, noch den Haß gegen den siegreichen Feind im verwilderten Blick; oder mit festem Schritt auf das Schaffet schreiten, um seinen Glauben mit seinem Blute zu besiegeln, das ist ein würdiger Vorwurf, denn die Kraft des Geistes, welche des Untergangs spottet, erhebt und adelt das menschliche Herz, aber das Hinsiechen gehört nicht in die heitere Welt der Poesie, so wenig als das Zucker des Fleisches unter den Instrumenten des Folterers oder des Wundarztes. Im Leben nehmen wir es hin, weil es nicht zu vermeiden steht. Ich habe damit zugleich die Ecce-Homobilder verworfen, mit sammt den Kreuzigungen, wie malerisch sich auch die Blutlosen, die unter der Dornenkrone des Erlösers hervorquellen, in dem Liede eines heißblutigen Poeten aufnehmen mögen, und wie sinnreich der französische Romantiker den menschlichen Körper in plastischen Falten um das Kreuz zu winden versteht. Der leidende Gott ist ein Gegenstand für Engel, nicht für Menschen. Eben so wenig der gespenstische, mit abstrakter, passiver Hoheit sich aus dem Grabe erhebende Heiland, der den Boden unter den Füßen verloren hat, weil er ohne Schwere ist. Aus dem eigentlichen neuen Testament ist für die Darstellung Christi nicht viel Anderes zu entnehme», darum haben die energischen Secten des Protestantismus sich mehr an die Pro¬ pheten und die Apokalypse gehalten. Milton und Rubens sind die Künstler, welche uns den männlichen Gott des Christenthums offenbart haben: den Sieger über den gewaltigen Fürsten der Hölle, den Richter am jüngsten Tage. Freilich fehlt auch diesen Kämpfen die plastische Natur der alten Welt. Aber es bleiben schöne Symbole für den Kampf des Guten und Bösen, wie anch der Raphaelische Erz¬ engel im Harnisch und der Lanze, der dem wüsten Ungethüm der Hölle den Fuß auf den Nacken setzt: schönere Symbole, als jene typischen Johannes-Gesichter, von Raphael erfunden und von sämmtlichen Malern und Poeten der neuen Zeit abconterfeit, jene roscnblutwaugigen Jünglinge mit sorgfältigem Scheitel, die es niemals zum Manne bringen werden, weil sie keinen Zorn im Herzen tragen; schönere Symbole, als jene tiefgefurchten Anachoreten des Giuseppe Ribera, die sich zu bloßen Schemen der Reflexion abgehärmt haben. Das reinste Ideal des biblischen Christus ist der schon erwähnte Christo della Moneta, der weise genug ist, die Welt zu begreifen und seine persönlichen Ideale der Nothwendigst zu opfern, aber stark genug, um über diese Resignation einen tiefen Schmerz zu empfinden. Ich komme zum Schluß. Die griechischen Ideale waren der Malerei nicht günstig, weil sie einfach in ihrem Wesen und, fertig waren, und weil, was ihnen' Grenzboten, i. 1850. - 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/177>, abgerufen am 24.07.2024.