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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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diesen welthistorischen Gestalten nachzuweisen, als in ihnen das Material der neuen
Doctrinen zu begreifen. So wird ans einer Geschichte der romantischen Schule
eine Culturgeschichte der neuern Zeit seit dem Christenthum, durch welches in einer
gewaltigen Erschütterung eine neue Geistesform der Menschheit vctroyirt wurde.

Eine solche Geschichte leidet an zwei Uebelständen. Einmal fehlt ihr die
Pointe. Man ist verdrießlich und mit Recht, daß die kolossalen Erschütterungen
des Weltgeistes am Ende zu eiuer Clique von Dilettanten geführt haben sollen,
die aus jenen Erscheinungen nichts zu machen wußten, als sie in ein Kaleidoskop
zu werfen und sich an dem bunten Spiel in kindischem Behagen zu ergötzen.
Also Christus, Gregor VII., Dante, Luther, Shakespeare, Calderon, Kant, Göthe
u. s. w. mußten sich der Welt offenbaren, um die Herren Schlegel, Tieck, Novalis
und Wackenroder möglich zu machen, l'-me it(- bruit pour "no omelelte.

Soda.um ist es doch keine vollständige Culturgeschichte. Es ist ein bestimmter
Gesichtspunkt, ein bestimmter Begriff, dem der Forscher nachgeht, und so gewissen¬
haft er in jedem Augenblick unterscheiden mag: was ich von dieser bestimmten
Erscheinung darstelle, ist mit Nichten ihre Totalität, sondern nur die bestimmte
Seite derselben, durch welche sie mit der Idee der Romantik zusammenhängt --
es hilft nichts, man fragt doch jeden Augenblick: aber warum nur diese Eine
Seite? Ja so! neu der Herren Schlegel, Tieck, Novalis und Wackenroder willen.

Leser, die in meine "Geschichte der Romantik" einen Blick gethan, werden
gemerkt haben, daß dies eine Selbstkritik ist. Zu meiner Rechtfertigung muß ich
uoch hinzusetzen, daß, wenn man sich einmal die Aufgabe stellt, den Begriff der
Romantik zu analysiren, der Weg der historischen Entwickelung, den ich einge¬
schlagen habe, der einzig mögliche ist. Wenn man die endliche Seite der Er¬
scheinungen begreift, darf man noch kein "Nichtswüthrich" sein, wozu Herr Wolf¬
gang Menzel mich hat stempeln wollen.

Eine Geschichte aber der romantischen Schule an und sür sich zu schreibe",
ist unmöglich. Gegenstand der Geschichte kann nnr werden, was einen bestimm¬
ten, positiven Inhalt hat. Die Schule hat keinen; sie ist ein Gebräu aus tau¬
send verschiedenen Ingredienzen, und selbst das chemische Präparat, durch das
dieselben zersetzt werde", gehört ihr nicht eigen. Entweder wird man sich damit
begnügen, in einzelnen Monographien bestimmte Richtungen oder bestimmte Per¬
sönlichkeiten zu zeichnen, oder man wird sie in der allgemeinen Culturgeschichte,
und da nur in flüchtigen Skizzen, als Symptome einer vorübergehenden Geistes¬
krankheit andeuten. Selbst in der Literaturgeschichte wird sie bis auf einzelne
Momente verschwinden, denn was sie producirt hat, ist nicht der Rede werth.

Am besten ist sie daher uoch immer polemisch dargestellt. Zuerst war "S
Fichte in seinen Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters (1805), der, ohne sie
zu nennen, diese launenhafte Reaction gegen den Geist der Freiheit mit einer


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diesen welthistorischen Gestalten nachzuweisen, als in ihnen das Material der neuen
Doctrinen zu begreifen. So wird ans einer Geschichte der romantischen Schule
eine Culturgeschichte der neuern Zeit seit dem Christenthum, durch welches in einer
gewaltigen Erschütterung eine neue Geistesform der Menschheit vctroyirt wurde.

Eine solche Geschichte leidet an zwei Uebelständen. Einmal fehlt ihr die
Pointe. Man ist verdrießlich und mit Recht, daß die kolossalen Erschütterungen
des Weltgeistes am Ende zu eiuer Clique von Dilettanten geführt haben sollen,
die aus jenen Erscheinungen nichts zu machen wußten, als sie in ein Kaleidoskop
zu werfen und sich an dem bunten Spiel in kindischem Behagen zu ergötzen.
Also Christus, Gregor VII., Dante, Luther, Shakespeare, Calderon, Kant, Göthe
u. s. w. mußten sich der Welt offenbaren, um die Herren Schlegel, Tieck, Novalis
und Wackenroder möglich zu machen, l'-me it(- bruit pour »no omelelte.

Soda.um ist es doch keine vollständige Culturgeschichte. Es ist ein bestimmter
Gesichtspunkt, ein bestimmter Begriff, dem der Forscher nachgeht, und so gewissen¬
haft er in jedem Augenblick unterscheiden mag: was ich von dieser bestimmten
Erscheinung darstelle, ist mit Nichten ihre Totalität, sondern nur die bestimmte
Seite derselben, durch welche sie mit der Idee der Romantik zusammenhängt —
es hilft nichts, man fragt doch jeden Augenblick: aber warum nur diese Eine
Seite? Ja so! neu der Herren Schlegel, Tieck, Novalis und Wackenroder willen.

Leser, die in meine „Geschichte der Romantik" einen Blick gethan, werden
gemerkt haben, daß dies eine Selbstkritik ist. Zu meiner Rechtfertigung muß ich
uoch hinzusetzen, daß, wenn man sich einmal die Aufgabe stellt, den Begriff der
Romantik zu analysiren, der Weg der historischen Entwickelung, den ich einge¬
schlagen habe, der einzig mögliche ist. Wenn man die endliche Seite der Er¬
scheinungen begreift, darf man noch kein „Nichtswüthrich" sein, wozu Herr Wolf¬
gang Menzel mich hat stempeln wollen.

Eine Geschichte aber der romantischen Schule an und sür sich zu schreibe»,
ist unmöglich. Gegenstand der Geschichte kann nnr werden, was einen bestimm¬
ten, positiven Inhalt hat. Die Schule hat keinen; sie ist ein Gebräu aus tau¬
send verschiedenen Ingredienzen, und selbst das chemische Präparat, durch das
dieselben zersetzt werde», gehört ihr nicht eigen. Entweder wird man sich damit
begnügen, in einzelnen Monographien bestimmte Richtungen oder bestimmte Per¬
sönlichkeiten zu zeichnen, oder man wird sie in der allgemeinen Culturgeschichte,
und da nur in flüchtigen Skizzen, als Symptome einer vorübergehenden Geistes¬
krankheit andeuten. Selbst in der Literaturgeschichte wird sie bis auf einzelne
Momente verschwinden, denn was sie producirt hat, ist nicht der Rede werth.

Am besten ist sie daher uoch immer polemisch dargestellt. Zuerst war «S
Fichte in seinen Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters (1805), der, ohne sie
zu nennen, diese launenhafte Reaction gegen den Geist der Freiheit mit einer


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[0137] diesen welthistorischen Gestalten nachzuweisen, als in ihnen das Material der neuen Doctrinen zu begreifen. So wird ans einer Geschichte der romantischen Schule eine Culturgeschichte der neuern Zeit seit dem Christenthum, durch welches in einer gewaltigen Erschütterung eine neue Geistesform der Menschheit vctroyirt wurde. Eine solche Geschichte leidet an zwei Uebelständen. Einmal fehlt ihr die Pointe. Man ist verdrießlich und mit Recht, daß die kolossalen Erschütterungen des Weltgeistes am Ende zu eiuer Clique von Dilettanten geführt haben sollen, die aus jenen Erscheinungen nichts zu machen wußten, als sie in ein Kaleidoskop zu werfen und sich an dem bunten Spiel in kindischem Behagen zu ergötzen. Also Christus, Gregor VII., Dante, Luther, Shakespeare, Calderon, Kant, Göthe u. s. w. mußten sich der Welt offenbaren, um die Herren Schlegel, Tieck, Novalis und Wackenroder möglich zu machen, l'-me it(- bruit pour »no omelelte. Soda.um ist es doch keine vollständige Culturgeschichte. Es ist ein bestimmter Gesichtspunkt, ein bestimmter Begriff, dem der Forscher nachgeht, und so gewissen¬ haft er in jedem Augenblick unterscheiden mag: was ich von dieser bestimmten Erscheinung darstelle, ist mit Nichten ihre Totalität, sondern nur die bestimmte Seite derselben, durch welche sie mit der Idee der Romantik zusammenhängt — es hilft nichts, man fragt doch jeden Augenblick: aber warum nur diese Eine Seite? Ja so! neu der Herren Schlegel, Tieck, Novalis und Wackenroder willen. Leser, die in meine „Geschichte der Romantik" einen Blick gethan, werden gemerkt haben, daß dies eine Selbstkritik ist. Zu meiner Rechtfertigung muß ich uoch hinzusetzen, daß, wenn man sich einmal die Aufgabe stellt, den Begriff der Romantik zu analysiren, der Weg der historischen Entwickelung, den ich einge¬ schlagen habe, der einzig mögliche ist. Wenn man die endliche Seite der Er¬ scheinungen begreift, darf man noch kein „Nichtswüthrich" sein, wozu Herr Wolf¬ gang Menzel mich hat stempeln wollen. Eine Geschichte aber der romantischen Schule an und sür sich zu schreibe», ist unmöglich. Gegenstand der Geschichte kann nnr werden, was einen bestimm¬ ten, positiven Inhalt hat. Die Schule hat keinen; sie ist ein Gebräu aus tau¬ send verschiedenen Ingredienzen, und selbst das chemische Präparat, durch das dieselben zersetzt werde», gehört ihr nicht eigen. Entweder wird man sich damit begnügen, in einzelnen Monographien bestimmte Richtungen oder bestimmte Per¬ sönlichkeiten zu zeichnen, oder man wird sie in der allgemeinen Culturgeschichte, und da nur in flüchtigen Skizzen, als Symptome einer vorübergehenden Geistes¬ krankheit andeuten. Selbst in der Literaturgeschichte wird sie bis auf einzelne Momente verschwinden, denn was sie producirt hat, ist nicht der Rede werth. Am besten ist sie daher uoch immer polemisch dargestellt. Zuerst war «S Fichte in seinen Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters (1805), der, ohne sie zu nennen, diese launenhafte Reaction gegen den Geist der Freiheit mit einer Grenzboten. >. I8S0. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/137>, abgerufen am 25.07.2024.