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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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rollt er auch nur zehn Meilen weit im Land herum, so steht er an Weltkenntniß
höher als seine übrigen Landsleute im Gebirge.

In Se. Agathe, sagte der Wirthssohn, wo man über den Petschen nach Außee
fährt, hab' ich auch was Neues gesehen. Das ganze Wirthshaus war voll von
"Ludrischen" (Lutheranern). Dort 'rum, in Goysern, Lauffen und Steg ist nur
die Halbscheid' katholisch, die Andern sein lauter Ketzer. -- Sie vertragen sich doch
gut mit einander? fragte ich den Erzähler. -- Er verzerrte statt der Antwort
höhnisch den Mund, als wollt' er sagen: wie Hund und Katze. Gleich darauf
jedoch schloß er vermuthlich aus meiner Frage, daß ich am Ende selbst ein Luder
sein könnte, und beeilte sich hinzuzusetzen: Aber Kampeln*) sein's, die Ludrischen,
das muß man sagen! -- Der Fuhrmann erkundigte sich nach dem Leben in Ischl
und ob noch viele Fremde dort wären. -- Jetzt wird Alles weg sein, antwortete
der gesprächige Bursche; aber ich hab' noch viel Equipagen gesehn, obschon sie
sagten, das wär' gar nix gegen früher, und sie wüßten nit, wo die hohe Diener¬
schaft herkommen sollt'. Bei Zauner's war nämlich zum Adjes ein Dienerschafts¬
ball und durch die Marie im "türkischen Kaiser" bin ich mit eingeladen worden.
Es war ein Zwanziger Entree, damit das gemeine Volk nit dazu käm , denn da
war der sartor, der Kinski, der Lichtenstein und wie sie Alle heißen.**) Hui,
ist's aber steif hergangen, ich mag mein Lebtag auf kein Dienerschastsball nit
mehr. Besonders die vornehmen Stnbenmädl, die haben einen Stolz, man weiß
nit, wie man sie beim Tanz anfassen soll. Die ganze Nacht haben sie nix wie
Vöslauer Champagner getrunken, in der Früh haben sie aber gespielt und gerauft,
und der Lichtenstein hat dem sartor ein blaues Aug' geschlagen. -- So recht!
lachte der Fuhrmann.

Und von der Politik hat man da anch viel Profitiren können. -- Na, was
denn? Gibt's Krieg mit Preußen? -- Das grad nit; der Ruß und der Franzos
haben mit'in Kaiser Aljanz geschlossen, der Preuß wollt' auch dabei sein, aber der
hat wohl müssen beim Landtag den Spitzbuben gemacht haben, und so Haben's
ihn außigeschmisseu. Der kann sich nit rühren, und derweil wird Alles wieder
festgemacht, daß Ruh bleibt und keine Nefolnzion mehr auskommen kann. --
Umgekehrt ist auch gefahren, sagte der Fuhrmann; Ihr seid hier wie eingefahren
mitten im Sommer und wißt den Guckuck, was es in der Welt draußen geschla¬
gen hat. Nix wird fest, Alles wackelt, wie wenn die Kirmeß zu End geht.
Warum rekrutirens denn überall wie verrückt, wenn's so Staat draußen ist? He?
^- Hol der Geier, rief er, sein Glas heftig hinsetzend, die vornehmen Herrschaf¬
ten mitsammt der vornehmen Dienerschaft. Von denen Lakaien, nit wahr, wird




") Kampel heißt ein tüchtiger Kerl in irgend einer Beziehung, z. B. ein reicher Kampel,
ein gescheidter Kampel.
**) Die Kutscher in Wien nennen sich gewöhnlich kurzweg nach ihren Herrschaften,

rollt er auch nur zehn Meilen weit im Land herum, so steht er an Weltkenntniß
höher als seine übrigen Landsleute im Gebirge.

In Se. Agathe, sagte der Wirthssohn, wo man über den Petschen nach Außee
fährt, hab' ich auch was Neues gesehen. Das ganze Wirthshaus war voll von
„Ludrischen" (Lutheranern). Dort 'rum, in Goysern, Lauffen und Steg ist nur
die Halbscheid' katholisch, die Andern sein lauter Ketzer. — Sie vertragen sich doch
gut mit einander? fragte ich den Erzähler. — Er verzerrte statt der Antwort
höhnisch den Mund, als wollt' er sagen: wie Hund und Katze. Gleich darauf
jedoch schloß er vermuthlich aus meiner Frage, daß ich am Ende selbst ein Luder
sein könnte, und beeilte sich hinzuzusetzen: Aber Kampeln*) sein's, die Ludrischen,
das muß man sagen! — Der Fuhrmann erkundigte sich nach dem Leben in Ischl
und ob noch viele Fremde dort wären. — Jetzt wird Alles weg sein, antwortete
der gesprächige Bursche; aber ich hab' noch viel Equipagen gesehn, obschon sie
sagten, das wär' gar nix gegen früher, und sie wüßten nit, wo die hohe Diener¬
schaft herkommen sollt'. Bei Zauner's war nämlich zum Adjes ein Dienerschafts¬
ball und durch die Marie im „türkischen Kaiser" bin ich mit eingeladen worden.
Es war ein Zwanziger Entree, damit das gemeine Volk nit dazu käm , denn da
war der sartor, der Kinski, der Lichtenstein und wie sie Alle heißen.**) Hui,
ist's aber steif hergangen, ich mag mein Lebtag auf kein Dienerschastsball nit
mehr. Besonders die vornehmen Stnbenmädl, die haben einen Stolz, man weiß
nit, wie man sie beim Tanz anfassen soll. Die ganze Nacht haben sie nix wie
Vöslauer Champagner getrunken, in der Früh haben sie aber gespielt und gerauft,
und der Lichtenstein hat dem sartor ein blaues Aug' geschlagen. — So recht!
lachte der Fuhrmann.

Und von der Politik hat man da anch viel Profitiren können. — Na, was
denn? Gibt's Krieg mit Preußen? — Das grad nit; der Ruß und der Franzos
haben mit'in Kaiser Aljanz geschlossen, der Preuß wollt' auch dabei sein, aber der
hat wohl müssen beim Landtag den Spitzbuben gemacht haben, und so Haben's
ihn außigeschmisseu. Der kann sich nit rühren, und derweil wird Alles wieder
festgemacht, daß Ruh bleibt und keine Nefolnzion mehr auskommen kann. —
Umgekehrt ist auch gefahren, sagte der Fuhrmann; Ihr seid hier wie eingefahren
mitten im Sommer und wißt den Guckuck, was es in der Welt draußen geschla¬
gen hat. Nix wird fest, Alles wackelt, wie wenn die Kirmeß zu End geht.
Warum rekrutirens denn überall wie verrückt, wenn's so Staat draußen ist? He?
^- Hol der Geier, rief er, sein Glas heftig hinsetzend, die vornehmen Herrschaf¬
ten mitsammt der vornehmen Dienerschaft. Von denen Lakaien, nit wahr, wird




») Kampel heißt ein tüchtiger Kerl in irgend einer Beziehung, z. B. ein reicher Kampel,
ein gescheidter Kampel.
**) Die Kutscher in Wien nennen sich gewöhnlich kurzweg nach ihren Herrschaften,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/118>, abgerufen am 24.07.2024.