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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Lethargie der Negierung auch die Presse in den Schlaf gelullt, man glaubte, die
Regierung könnte bei wirklicher Gefahr unmöglich so unthätig sein, und man com-
binirte Alliancen mit England, der Pforte u. s. w., um das Verfahren der Re¬
gierung zu rechtfertigen. --

Noch mehr wurde die Bevölkerung der Hauptstadt durch Gerüchte beunruhigt,
die über die Stellung Görgey's zur Regierung und zu den übrigen Generälen
umherflogen. Schon der Umstand, daß Görgey in seiner Person das Obercom-
mando mit dem Kriegsministerium vereinigte, fand unter den Sachkundigen harten
Tadel, dazu kam uoch die Nachricht, daß einige der beliebtesten Generäle, als
Bem, Unlieb und andere, von Görgey mehrfach gekränkt, abdanken wollten. Das
Volk glaubte sich gegen die Männer seiner Wahl, deren Ehrlichkeit und guten
Willen es nicht bezweifeln konnte, keine Aeußerung des Unwillens erlauben zu
dürfen, und ich hörte selbst häufig die naive Aeußerung: "Es ist uicht zum Be¬
greifen; aber legen wir dem guten Kossuth und unserem wohlwollenden Ministe¬
rium keine Hindernisse in den Weg."

Aber schon die bekannten Vorfälle bei Kapolna zwischen Görgey und Dembinsky
hatten manchen Unbefangenen auf die Gefährlichkeit des Görgey'schen Ehrgeizes (wie
man das Ding damals nannte) aufmerksam gemacht; hierzu kamen ein zuerst im Közlöny
öffentlich geführter, späterhin aber ausgeglichener oder vielmehr unterdrückter Streit
zwischen Bem und Vecsei, und die Zurückberufung Perczel's aus der Bacska. Ersterer
siel zur Zeit'vor, als Bem den aus Siebenbürgen in die Wallachei vertriebenen Puch-
ner, der im Mai im Banat einbrach, um sich mit Rukawina, dem kaiserlichen Com¬
mandanten von Temesvar zu vereinigen, bei Lugos und Karansebes aufs Haupt
schlug und sein Heer in die Wallachei und nach Serbien drängte. Vecsei stand
damals mit einem Cernirungscorps vor Arad, welches von dem kaiserlichen General
Berger tapfer gegen ihn vertheidigt wurde. Bem ließ als Oberkommandant der
Siebenbürgen-banaler Armee ihn entbieten, mit einem Theile seines Corps zu ihm
zu stoßen, was dieser nicht nur mit den Worten: "Er erkenne Bem nicht als
Oberkommandanten an" verweigerte, sondern auch den unter ihm stehenden wackern
Obersten Wiliam, der auf Bem's unmittelbaren Befehl sich mit diesem vereinigte,
und der später bei der Cerniruug Temesvar's den Heldentod starb, vor ein Kriegs¬
gericht stellen wollte. Bem meldete diesen Ungehorsam an die Regierung nach
Debreczin, und sagte rund heraus: Vecsei sei entweder ein Verräther oder ganz
und gar zum Feldherr" unfähig: sonst wäre Arad schon längst genommen, und
hätte er ihm die verlangte Hilfe geschickt, so wäre von dem Heere Pnchner's und
Nukawiua's kein Mann entkommen. Daß Vecsei kein Verräther war, bezeugt sein
Märtyrertod; er ist einer der in Arad Getödteten. Daß aber dieses Auflehnen
gegen Bem, welches nur aus blinder Anhänglichkeit dieses Generals an Görgey,
und nur aus Veranlassung dieses letztern geschehen sein kann, der ungarischen Sache


Lethargie der Negierung auch die Presse in den Schlaf gelullt, man glaubte, die
Regierung könnte bei wirklicher Gefahr unmöglich so unthätig sein, und man com-
binirte Alliancen mit England, der Pforte u. s. w., um das Verfahren der Re¬
gierung zu rechtfertigen. —

Noch mehr wurde die Bevölkerung der Hauptstadt durch Gerüchte beunruhigt,
die über die Stellung Görgey's zur Regierung und zu den übrigen Generälen
umherflogen. Schon der Umstand, daß Görgey in seiner Person das Obercom-
mando mit dem Kriegsministerium vereinigte, fand unter den Sachkundigen harten
Tadel, dazu kam uoch die Nachricht, daß einige der beliebtesten Generäle, als
Bem, Unlieb und andere, von Görgey mehrfach gekränkt, abdanken wollten. Das
Volk glaubte sich gegen die Männer seiner Wahl, deren Ehrlichkeit und guten
Willen es nicht bezweifeln konnte, keine Aeußerung des Unwillens erlauben zu
dürfen, und ich hörte selbst häufig die naive Aeußerung: „Es ist uicht zum Be¬
greifen; aber legen wir dem guten Kossuth und unserem wohlwollenden Ministe¬
rium keine Hindernisse in den Weg."

Aber schon die bekannten Vorfälle bei Kapolna zwischen Görgey und Dembinsky
hatten manchen Unbefangenen auf die Gefährlichkeit des Görgey'schen Ehrgeizes (wie
man das Ding damals nannte) aufmerksam gemacht; hierzu kamen ein zuerst im Közlöny
öffentlich geführter, späterhin aber ausgeglichener oder vielmehr unterdrückter Streit
zwischen Bem und Vecsei, und die Zurückberufung Perczel's aus der Bacska. Ersterer
siel zur Zeit'vor, als Bem den aus Siebenbürgen in die Wallachei vertriebenen Puch-
ner, der im Mai im Banat einbrach, um sich mit Rukawina, dem kaiserlichen Com¬
mandanten von Temesvar zu vereinigen, bei Lugos und Karansebes aufs Haupt
schlug und sein Heer in die Wallachei und nach Serbien drängte. Vecsei stand
damals mit einem Cernirungscorps vor Arad, welches von dem kaiserlichen General
Berger tapfer gegen ihn vertheidigt wurde. Bem ließ als Oberkommandant der
Siebenbürgen-banaler Armee ihn entbieten, mit einem Theile seines Corps zu ihm
zu stoßen, was dieser nicht nur mit den Worten: „Er erkenne Bem nicht als
Oberkommandanten an" verweigerte, sondern auch den unter ihm stehenden wackern
Obersten Wiliam, der auf Bem's unmittelbaren Befehl sich mit diesem vereinigte,
und der später bei der Cerniruug Temesvar's den Heldentod starb, vor ein Kriegs¬
gericht stellen wollte. Bem meldete diesen Ungehorsam an die Regierung nach
Debreczin, und sagte rund heraus: Vecsei sei entweder ein Verräther oder ganz
und gar zum Feldherr» unfähig: sonst wäre Arad schon längst genommen, und
hätte er ihm die verlangte Hilfe geschickt, so wäre von dem Heere Pnchner's und
Nukawiua's kein Mann entkommen. Daß Vecsei kein Verräther war, bezeugt sein
Märtyrertod; er ist einer der in Arad Getödteten. Daß aber dieses Auflehnen
gegen Bem, welches nur aus blinder Anhänglichkeit dieses Generals an Görgey,
und nur aus Veranlassung dieses letztern geschehen sein kann, der ungarischen Sache


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/106>, abgerufen am 27.06.2024.