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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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geht. Sie fühlen sich sauber, sie fühlen sich hübsch, heut gefallen sie und haben
selbst Gefallen am Leben. -- Tretet in die Tagelöhnerhütte nebenan. Die Frau
hatte in der Woche wenig Zeit für ihre Wirthschaft, deun sie und ihr Mann
haben ihre Arme auf sechs Tage dem Gutsherrn vermiethet; das einfache Essen
mußte in einer Stunde mit müden Händen bereitet und schnell verzehrt werdeu,
und den Kindern fehlte durch deu ganzen Tag die Aufsicht der Mutter. Heut
hat die Frau am frühen Morgen Stube und Geschirr gescheuert,' jetzt durchflicht
sie die Zöpfe deö kleinen Mädchens mit schmalem rothem Bande, und sieht da¬
bei, wie hübsch die Augen und rosigen BäckcheU der Kleinen siud. Nach der
Kirche wird sie fettdurchwachseucö Schweinfleisch kochen und ihre besten Klöße dazu
macheu, damit ihr Mann sie lobe. Nachmittags führt sie die Kiuder vor deu
Augen des ganzen Dorfs vorüber zur Großmutter, Abends gibt's Eierkuchen; ihr
Maun ist kein Säufer, sie wird im Freien mit deu Nachbarinnen plaudern und
ihn erwarten; er wird bei guter Zeit zu ihr zurückkehren und freundlich gegen
sie sein. Unterdeß steht ihr Hausherr bereits im Sonntagsstaat mit geschwärzten
Stiefeln in bedächtigem Gespräch mit einem vorübergehenden Bekannten und über¬
legt mit ihm, ob es rathsamer sei, die ersparten drei Thaler in der Sparkasse
oder in einem Ferkel anzulegen; er klopft dabei seinem Jungen auf deu blonden
Kopf und empfindet sich glücklich als ein ganzer Kerl. Holder Tag, wo der
Arme Selbstgefühl gewinnt, wo der Besitz eiues zweiten Hemdes, eines bessern
Kleides, und das Gefühl der Freiheit von den Mühen des Lebens zuversichtlich,
heiter, lebenslustig macht! wer dich dem Arbeiter verkümmert durch deu Zwang
übermäßiger Arbeit, ist grausam und begeht ein schweres Unrecht an seinen Neben¬
menschen.

Es ist darum ein schlechter Brauch, der in deu Städten eingerissen ist, den
Vormittag des Sonntags zu den Arbeitstagen zu schlagen, nicht sowohl, weil
dem Arbeiter dadurch ewige Stunden der Nuhe genommen werdeu, souderu des¬
halb, weil gerade diese Stunden eine eigenthümliche Bedeutung haben. Am
Sonntag Vormittag ist der Mensch in Deutschland still, friedlich, in sich gekehrt,
er überdenkt sein Leben, seiue Liebe, seinen Gott, er liest, er schreibt an seine
Familie, er sammelt sich und bereitet sich vor für die Freuden und Zerstreuungen
der nächsten Woche. Der Sonntag Nachmittag aber ist in Deutschland ein lustiger
Geselle, ein Lebemann; da sucht Einer deu Andern, und in Gesellschaft sucht
mau das Vergnügen. Es ist unrecht, wenn der Meister seinen Gesellen nur die
Zeit des Vergnügens freiläßt, die Zeit deö Ernstes aber wegnimmt. Dann sehlt
dem Sonntag die Weihe, und dem Meuscheu die Kraft das Vergnügen würdig
zu ertragen; man verliert sich leicht in den Genüssen, weil man sich vorher nicht
daraus vorbereitet hat. Immer wird einem der Arbeiter leid thun, der gradeweg
vom Arbeitstisch zu seinem Kasten stürzt, deu Sonntagsrock packt und zu seinen
Kameraden in's Wirthshaus rennt.Er hat mit sich selber noch gar nicht gelebt,


Grenzvoten. IV. 1850. 130

geht. Sie fühlen sich sauber, sie fühlen sich hübsch, heut gefallen sie und haben
selbst Gefallen am Leben. — Tretet in die Tagelöhnerhütte nebenan. Die Frau
hatte in der Woche wenig Zeit für ihre Wirthschaft, deun sie und ihr Mann
haben ihre Arme auf sechs Tage dem Gutsherrn vermiethet; das einfache Essen
mußte in einer Stunde mit müden Händen bereitet und schnell verzehrt werdeu,
und den Kindern fehlte durch deu ganzen Tag die Aufsicht der Mutter. Heut
hat die Frau am frühen Morgen Stube und Geschirr gescheuert,' jetzt durchflicht
sie die Zöpfe deö kleinen Mädchens mit schmalem rothem Bande, und sieht da¬
bei, wie hübsch die Augen und rosigen BäckcheU der Kleinen siud. Nach der
Kirche wird sie fettdurchwachseucö Schweinfleisch kochen und ihre besten Klöße dazu
macheu, damit ihr Mann sie lobe. Nachmittags führt sie die Kiuder vor deu
Augen des ganzen Dorfs vorüber zur Großmutter, Abends gibt's Eierkuchen; ihr
Maun ist kein Säufer, sie wird im Freien mit deu Nachbarinnen plaudern und
ihn erwarten; er wird bei guter Zeit zu ihr zurückkehren und freundlich gegen
sie sein. Unterdeß steht ihr Hausherr bereits im Sonntagsstaat mit geschwärzten
Stiefeln in bedächtigem Gespräch mit einem vorübergehenden Bekannten und über¬
legt mit ihm, ob es rathsamer sei, die ersparten drei Thaler in der Sparkasse
oder in einem Ferkel anzulegen; er klopft dabei seinem Jungen auf deu blonden
Kopf und empfindet sich glücklich als ein ganzer Kerl. Holder Tag, wo der
Arme Selbstgefühl gewinnt, wo der Besitz eiues zweiten Hemdes, eines bessern
Kleides, und das Gefühl der Freiheit von den Mühen des Lebens zuversichtlich,
heiter, lebenslustig macht! wer dich dem Arbeiter verkümmert durch deu Zwang
übermäßiger Arbeit, ist grausam und begeht ein schweres Unrecht an seinen Neben¬
menschen.

Es ist darum ein schlechter Brauch, der in deu Städten eingerissen ist, den
Vormittag des Sonntags zu den Arbeitstagen zu schlagen, nicht sowohl, weil
dem Arbeiter dadurch ewige Stunden der Nuhe genommen werdeu, souderu des¬
halb, weil gerade diese Stunden eine eigenthümliche Bedeutung haben. Am
Sonntag Vormittag ist der Mensch in Deutschland still, friedlich, in sich gekehrt,
er überdenkt sein Leben, seiue Liebe, seinen Gott, er liest, er schreibt an seine
Familie, er sammelt sich und bereitet sich vor für die Freuden und Zerstreuungen
der nächsten Woche. Der Sonntag Nachmittag aber ist in Deutschland ein lustiger
Geselle, ein Lebemann; da sucht Einer deu Andern, und in Gesellschaft sucht
mau das Vergnügen. Es ist unrecht, wenn der Meister seinen Gesellen nur die
Zeit des Vergnügens freiläßt, die Zeit deö Ernstes aber wegnimmt. Dann sehlt
dem Sonntag die Weihe, und dem Meuscheu die Kraft das Vergnügen würdig
zu ertragen; man verliert sich leicht in den Genüssen, weil man sich vorher nicht
daraus vorbereitet hat. Immer wird einem der Arbeiter leid thun, der gradeweg
vom Arbeitstisch zu seinem Kasten stürzt, deu Sonntagsrock packt und zu seinen
Kameraden in's Wirthshaus rennt.Er hat mit sich selber noch gar nicht gelebt,


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[0521] geht. Sie fühlen sich sauber, sie fühlen sich hübsch, heut gefallen sie und haben selbst Gefallen am Leben. — Tretet in die Tagelöhnerhütte nebenan. Die Frau hatte in der Woche wenig Zeit für ihre Wirthschaft, deun sie und ihr Mann haben ihre Arme auf sechs Tage dem Gutsherrn vermiethet; das einfache Essen mußte in einer Stunde mit müden Händen bereitet und schnell verzehrt werdeu, und den Kindern fehlte durch deu ganzen Tag die Aufsicht der Mutter. Heut hat die Frau am frühen Morgen Stube und Geschirr gescheuert,' jetzt durchflicht sie die Zöpfe deö kleinen Mädchens mit schmalem rothem Bande, und sieht da¬ bei, wie hübsch die Augen und rosigen BäckcheU der Kleinen siud. Nach der Kirche wird sie fettdurchwachseucö Schweinfleisch kochen und ihre besten Klöße dazu macheu, damit ihr Mann sie lobe. Nachmittags führt sie die Kiuder vor deu Augen des ganzen Dorfs vorüber zur Großmutter, Abends gibt's Eierkuchen; ihr Maun ist kein Säufer, sie wird im Freien mit deu Nachbarinnen plaudern und ihn erwarten; er wird bei guter Zeit zu ihr zurückkehren und freundlich gegen sie sein. Unterdeß steht ihr Hausherr bereits im Sonntagsstaat mit geschwärzten Stiefeln in bedächtigem Gespräch mit einem vorübergehenden Bekannten und über¬ legt mit ihm, ob es rathsamer sei, die ersparten drei Thaler in der Sparkasse oder in einem Ferkel anzulegen; er klopft dabei seinem Jungen auf deu blonden Kopf und empfindet sich glücklich als ein ganzer Kerl. Holder Tag, wo der Arme Selbstgefühl gewinnt, wo der Besitz eiues zweiten Hemdes, eines bessern Kleides, und das Gefühl der Freiheit von den Mühen des Lebens zuversichtlich, heiter, lebenslustig macht! wer dich dem Arbeiter verkümmert durch deu Zwang übermäßiger Arbeit, ist grausam und begeht ein schweres Unrecht an seinen Neben¬ menschen. Es ist darum ein schlechter Brauch, der in deu Städten eingerissen ist, den Vormittag des Sonntags zu den Arbeitstagen zu schlagen, nicht sowohl, weil dem Arbeiter dadurch ewige Stunden der Nuhe genommen werdeu, souderu des¬ halb, weil gerade diese Stunden eine eigenthümliche Bedeutung haben. Am Sonntag Vormittag ist der Mensch in Deutschland still, friedlich, in sich gekehrt, er überdenkt sein Leben, seiue Liebe, seinen Gott, er liest, er schreibt an seine Familie, er sammelt sich und bereitet sich vor für die Freuden und Zerstreuungen der nächsten Woche. Der Sonntag Nachmittag aber ist in Deutschland ein lustiger Geselle, ein Lebemann; da sucht Einer deu Andern, und in Gesellschaft sucht mau das Vergnügen. Es ist unrecht, wenn der Meister seinen Gesellen nur die Zeit des Vergnügens freiläßt, die Zeit deö Ernstes aber wegnimmt. Dann sehlt dem Sonntag die Weihe, und dem Meuscheu die Kraft das Vergnügen würdig zu ertragen; man verliert sich leicht in den Genüssen, weil man sich vorher nicht daraus vorbereitet hat. Immer wird einem der Arbeiter leid thun, der gradeweg vom Arbeitstisch zu seinem Kasten stürzt, deu Sonntagsrock packt und zu seinen Kameraden in's Wirthshaus rennt.Er hat mit sich selber noch gar nicht gelebt, Grenzvoten. IV. 1850. 130

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/521>, abgerufen am 22.07.2024.