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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Staat, das Beamtenthum, staatsrechtlich ebenso vertreten konnte, wie der Land¬
tag den neuen volksthümlichen Staat, und welches daher eine geschichtlich be¬
gründete erste Kanuner zu bilden geeignet war: das Institut deS Staatsraths,
der seit zwei Jahrhunderten zu einer verhältnißmäßig unabhängigen Mitwirkung
an der legislativen Gewalt berufen war und der in seiner Zusammensetzung ebenso
reformirt werden konnte als der Landtag selbst.

Man hatte aber noch nicht genug an der Neuerung des HerrenstandeS, man
wollte auch uoch eine Selbstregierung der rechtgläubigen Kirche hinzufügen, und
ließ sich uicht stören, als es sich sand, daß die in der Generalsynode versammelte
Schaar der Auserwählten, die im dreifachen Feuer der Läuterung bestanden
hatten, zuletzt dennoch zu Beschlüssen gelangte, über welche die Vollblut-Ortho¬
doxie Zeter rufen mußte. Selbstständiges, orthodoxes Kircheuregiment war eben
nur die unhistorische, uuvolköthümliche Liebhaberei ewiger Doctriuärs, die es
vergaßen, daß Preußen gerade unter einem unkirchlichen, toleranten Regiment
den Gipfel seiner Macht erreicht hatte, daß es unter den Orthodoxen (den
Wöllner u. s. w.) der Spott aller Welt gewesen war.

Diese nenchriftlichen Ausschweifungen dürfen wir nicht mehr mit dem Gleich¬
muth hinnehmen, wie in den vormärzlichen Zeiten. Schon damals hat das Mi¬
nisterium Eichhorn vielen Schaden angestiftet. Es hat sich damals so mancher
junge Candidat, mehr um deö irdischen, als um des himmlischen Manna willen,
in die mystische spiritualistische Richtung treiben lassen, der jetzt der Kirche uicht minder
lästig fällt, als dem Volk. Aber damals waren es immer nur vereinzelte Fälle;
jetzt, wo sich die französische Reaction mit einer wahren Todesangst, mit geschlos¬
senen Angen in den Schoß der allein seligmachenden Kirche wirft, ist die Geleh¬
rigkeit und der Nachahmungstrieb der Deutschen zu fürchten. Erst wird mau sich
bemühen, uns zu rechtgläubigen Lutheranern zu machen, dann wird man noch im
Lutherthum die Spuren der frechen und unehrerbietigem Auflehnung gegen die
heilige Kirche Gregor'S VII. und Bonifacius deS VIII. vertilgen, bis znletzr wieder
Ein Hirt und Eine Hecate sein wird in der Welt, bis die fromme Edelfrau in
Demuth die schmutzige Kapuze des Beichtvaters küßt, und unsere Jugend in die
Klöster geschickt wird, die einzigen Asyle der Wissenschaft und der Frömmigkeit.
Es ist uun zwar wenig Chance, daß dieses Vorhaben zur Ausführung kommt;
die frechen Lehren der Naturwissenschaft und der Philologie haben sich in zu weiten
Kreisen ausgebreitet; aber es ist jedenfalls eine unnütze Kraftvergeudung, wenn
wir noch einmal den Kampf mit Mumien aufnehmen sollen, während wir hinlänglich
mit den Lebendigen zu thun haben.




Staat, das Beamtenthum, staatsrechtlich ebenso vertreten konnte, wie der Land¬
tag den neuen volksthümlichen Staat, und welches daher eine geschichtlich be¬
gründete erste Kanuner zu bilden geeignet war: das Institut deS Staatsraths,
der seit zwei Jahrhunderten zu einer verhältnißmäßig unabhängigen Mitwirkung
an der legislativen Gewalt berufen war und der in seiner Zusammensetzung ebenso
reformirt werden konnte als der Landtag selbst.

Man hatte aber noch nicht genug an der Neuerung des HerrenstandeS, man
wollte auch uoch eine Selbstregierung der rechtgläubigen Kirche hinzufügen, und
ließ sich uicht stören, als es sich sand, daß die in der Generalsynode versammelte
Schaar der Auserwählten, die im dreifachen Feuer der Läuterung bestanden
hatten, zuletzt dennoch zu Beschlüssen gelangte, über welche die Vollblut-Ortho¬
doxie Zeter rufen mußte. Selbstständiges, orthodoxes Kircheuregiment war eben
nur die unhistorische, uuvolköthümliche Liebhaberei ewiger Doctriuärs, die es
vergaßen, daß Preußen gerade unter einem unkirchlichen, toleranten Regiment
den Gipfel seiner Macht erreicht hatte, daß es unter den Orthodoxen (den
Wöllner u. s. w.) der Spott aller Welt gewesen war.

Diese nenchriftlichen Ausschweifungen dürfen wir nicht mehr mit dem Gleich¬
muth hinnehmen, wie in den vormärzlichen Zeiten. Schon damals hat das Mi¬
nisterium Eichhorn vielen Schaden angestiftet. Es hat sich damals so mancher
junge Candidat, mehr um deö irdischen, als um des himmlischen Manna willen,
in die mystische spiritualistische Richtung treiben lassen, der jetzt der Kirche uicht minder
lästig fällt, als dem Volk. Aber damals waren es immer nur vereinzelte Fälle;
jetzt, wo sich die französische Reaction mit einer wahren Todesangst, mit geschlos¬
senen Angen in den Schoß der allein seligmachenden Kirche wirft, ist die Geleh¬
rigkeit und der Nachahmungstrieb der Deutschen zu fürchten. Erst wird mau sich
bemühen, uns zu rechtgläubigen Lutheranern zu machen, dann wird man noch im
Lutherthum die Spuren der frechen und unehrerbietigem Auflehnung gegen die
heilige Kirche Gregor'S VII. und Bonifacius deS VIII. vertilgen, bis znletzr wieder
Ein Hirt und Eine Hecate sein wird in der Welt, bis die fromme Edelfrau in
Demuth die schmutzige Kapuze des Beichtvaters küßt, und unsere Jugend in die
Klöster geschickt wird, die einzigen Asyle der Wissenschaft und der Frömmigkeit.
Es ist uun zwar wenig Chance, daß dieses Vorhaben zur Ausführung kommt;
die frechen Lehren der Naturwissenschaft und der Philologie haben sich in zu weiten
Kreisen ausgebreitet; aber es ist jedenfalls eine unnütze Kraftvergeudung, wenn
wir noch einmal den Kampf mit Mumien aufnehmen sollen, während wir hinlänglich
mit den Lebendigen zu thun haben.




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[0519] Staat, das Beamtenthum, staatsrechtlich ebenso vertreten konnte, wie der Land¬ tag den neuen volksthümlichen Staat, und welches daher eine geschichtlich be¬ gründete erste Kanuner zu bilden geeignet war: das Institut deS Staatsraths, der seit zwei Jahrhunderten zu einer verhältnißmäßig unabhängigen Mitwirkung an der legislativen Gewalt berufen war und der in seiner Zusammensetzung ebenso reformirt werden konnte als der Landtag selbst. Man hatte aber noch nicht genug an der Neuerung des HerrenstandeS, man wollte auch uoch eine Selbstregierung der rechtgläubigen Kirche hinzufügen, und ließ sich uicht stören, als es sich sand, daß die in der Generalsynode versammelte Schaar der Auserwählten, die im dreifachen Feuer der Läuterung bestanden hatten, zuletzt dennoch zu Beschlüssen gelangte, über welche die Vollblut-Ortho¬ doxie Zeter rufen mußte. Selbstständiges, orthodoxes Kircheuregiment war eben nur die unhistorische, uuvolköthümliche Liebhaberei ewiger Doctriuärs, die es vergaßen, daß Preußen gerade unter einem unkirchlichen, toleranten Regiment den Gipfel seiner Macht erreicht hatte, daß es unter den Orthodoxen (den Wöllner u. s. w.) der Spott aller Welt gewesen war. Diese nenchriftlichen Ausschweifungen dürfen wir nicht mehr mit dem Gleich¬ muth hinnehmen, wie in den vormärzlichen Zeiten. Schon damals hat das Mi¬ nisterium Eichhorn vielen Schaden angestiftet. Es hat sich damals so mancher junge Candidat, mehr um deö irdischen, als um des himmlischen Manna willen, in die mystische spiritualistische Richtung treiben lassen, der jetzt der Kirche uicht minder lästig fällt, als dem Volk. Aber damals waren es immer nur vereinzelte Fälle; jetzt, wo sich die französische Reaction mit einer wahren Todesangst, mit geschlos¬ senen Angen in den Schoß der allein seligmachenden Kirche wirft, ist die Geleh¬ rigkeit und der Nachahmungstrieb der Deutschen zu fürchten. Erst wird mau sich bemühen, uns zu rechtgläubigen Lutheranern zu machen, dann wird man noch im Lutherthum die Spuren der frechen und unehrerbietigem Auflehnung gegen die heilige Kirche Gregor'S VII. und Bonifacius deS VIII. vertilgen, bis znletzr wieder Ein Hirt und Eine Hecate sein wird in der Welt, bis die fromme Edelfrau in Demuth die schmutzige Kapuze des Beichtvaters küßt, und unsere Jugend in die Klöster geschickt wird, die einzigen Asyle der Wissenschaft und der Frömmigkeit. Es ist uun zwar wenig Chance, daß dieses Vorhaben zur Ausführung kommt; die frechen Lehren der Naturwissenschaft und der Philologie haben sich in zu weiten Kreisen ausgebreitet; aber es ist jedenfalls eine unnütze Kraftvergeudung, wenn wir noch einmal den Kampf mit Mumien aufnehmen sollen, während wir hinlänglich mit den Lebendigen zu thun haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/519>, abgerufen am 22.07.2024.