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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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lation dieser tausendrädrigen Maschine befinden muß, ist in Journalen und Flug¬
schriften zur Genüge dargelegt worden; aber unsere Negierung ist eine starke, sie
geht consequent ihren begonnenen Weg.' Vielleicht mögen die Recht haben, welche
ihn den Weg der eisernen Nothwendigkeit nennen; wir wollen hier die Politik ganz
außer Acht lassen, und nur die moralische und administrative Seite des Gegen¬
standes in Betracht nehmen. In Oestreich ist die Bureaukratie eine alte
Pflanzung. -- Alte Jahrhunderte haben sie entstehen gesehen, und jede
Generation bildete für die kommende ein junges Heer von Praktikanten, Pro-
tocollanten, Negistrauten n. s. w. heran, die nach dem Kamaschenreglement
vorwärts geschoben wurden, und endlich die Stellen ihrer in Gott entschlafenen,
oder in Gnaden qniescirten Lehrer einnahmen. Bei uns erforderte die Munici-
palverfassung eine verhältnißmäßig viel kleinere Anzahl von Beamten überhaupt.
Die Revolution und der Krieg machten den größten Theil des bestandenen Be¬
amtenstandes zu Hochverräthern, die Aspiranten zu Compromittirten; als nun für
uns eine neue Bureaukratie geschaffen werden sollte, war natürlich das erste Er¬
fordernis) "Vollblntgntgcsinntheit," und da diese uuter deu wirklich fähigen und
ehrenhaften Individuen nur sehr spärlich zu finden war, so mußte die Regierung
-- welche die niedern Aemter, wegen der unmittelbaren Berührung mit dem
Volke, unmöglich mit den der Sprachen unkundigen Ausländern besetzen konnte
-- zu jener Kategorie von Subjecten ihre Zuflucht nehmen, die sich weder Wis¬
senschaft aus der Schule, uoch Ehre ans dem Leben geholt, und die in aller
Völker Ländern stets bereit stehen dem zu dienen, der ihre nackte Erbärmlichkeit mit
einem Beamteurock zu bedecken verspricht. Diese Individuen übersprudeln stets
von Gutgesiuutheit, wissen auf deu ersten Blick ein compromittirtes Gesicht von
tausend loyalen herauszufinden, und -- machen dabei gute Geschäfte. Die Herren
von der Ehre, die Alles was nicht Portepee trägt zur Canaille rechnen,
bieten ihnen beim Fangen hilfreiche Hand, und die Gendarmerie sorgt dafür, daß
es an "Compromittirten" nicht fehlen soll. Ueberhaupt ist nichts leichter ans der
Welt, als bei uns ein "Compromittirter" zu werden. Ein Wirth ist über seinen
Collegen aufgebracht, weil jener vou seinem bessern Wein mehr verkauft als er
vou seinem schlechten, oder ein raitzischer Drognist, der seit zwanzig Jahren allein
in einem rein magyarischen oder deutschen Dorfe Handel trieb, ärgert sich über
seinen jüdischen Rivalen, der unlängst auch einen Laden öffnete, und siehe, nach
einigen Tagen wird der Gastwirth mit dem guten Wein oder der Jude mit der
billigeren Waare in der Nacht abgeholt, einige Meilen voll seinem Wohnorte
abgeführt, und überzeugt, daß er compromittirt ist, denn, er ist im Sommer
18-58 -- ans Befehl des gesetzlichen Ministeriums und des königlichen Palatins
-- mit dem Landsturm gegen Jellachich gezogen, oder hat Natioualgardeudienste in
irgend einer Festung gethan. Umsonst betheuert der Unglückliche, daß er damals dem
Befehl der Behörde gehorchen mußte und daß ihn die Bauern, welche sämmtlich mit-


lation dieser tausendrädrigen Maschine befinden muß, ist in Journalen und Flug¬
schriften zur Genüge dargelegt worden; aber unsere Negierung ist eine starke, sie
geht consequent ihren begonnenen Weg.' Vielleicht mögen die Recht haben, welche
ihn den Weg der eisernen Nothwendigkeit nennen; wir wollen hier die Politik ganz
außer Acht lassen, und nur die moralische und administrative Seite des Gegen¬
standes in Betracht nehmen. In Oestreich ist die Bureaukratie eine alte
Pflanzung. — Alte Jahrhunderte haben sie entstehen gesehen, und jede
Generation bildete für die kommende ein junges Heer von Praktikanten, Pro-
tocollanten, Negistrauten n. s. w. heran, die nach dem Kamaschenreglement
vorwärts geschoben wurden, und endlich die Stellen ihrer in Gott entschlafenen,
oder in Gnaden qniescirten Lehrer einnahmen. Bei uns erforderte die Munici-
palverfassung eine verhältnißmäßig viel kleinere Anzahl von Beamten überhaupt.
Die Revolution und der Krieg machten den größten Theil des bestandenen Be¬
amtenstandes zu Hochverräthern, die Aspiranten zu Compromittirten; als nun für
uns eine neue Bureaukratie geschaffen werden sollte, war natürlich das erste Er¬
fordernis) „Vollblntgntgcsinntheit," und da diese uuter deu wirklich fähigen und
ehrenhaften Individuen nur sehr spärlich zu finden war, so mußte die Regierung
— welche die niedern Aemter, wegen der unmittelbaren Berührung mit dem
Volke, unmöglich mit den der Sprachen unkundigen Ausländern besetzen konnte
— zu jener Kategorie von Subjecten ihre Zuflucht nehmen, die sich weder Wis¬
senschaft aus der Schule, uoch Ehre ans dem Leben geholt, und die in aller
Völker Ländern stets bereit stehen dem zu dienen, der ihre nackte Erbärmlichkeit mit
einem Beamteurock zu bedecken verspricht. Diese Individuen übersprudeln stets
von Gutgesiuutheit, wissen auf deu ersten Blick ein compromittirtes Gesicht von
tausend loyalen herauszufinden, und — machen dabei gute Geschäfte. Die Herren
von der Ehre, die Alles was nicht Portepee trägt zur Canaille rechnen,
bieten ihnen beim Fangen hilfreiche Hand, und die Gendarmerie sorgt dafür, daß
es an „Compromittirten" nicht fehlen soll. Ueberhaupt ist nichts leichter ans der
Welt, als bei uns ein „Compromittirter" zu werden. Ein Wirth ist über seinen
Collegen aufgebracht, weil jener vou seinem bessern Wein mehr verkauft als er
vou seinem schlechten, oder ein raitzischer Drognist, der seit zwanzig Jahren allein
in einem rein magyarischen oder deutschen Dorfe Handel trieb, ärgert sich über
seinen jüdischen Rivalen, der unlängst auch einen Laden öffnete, und siehe, nach
einigen Tagen wird der Gastwirth mit dem guten Wein oder der Jude mit der
billigeren Waare in der Nacht abgeholt, einige Meilen voll seinem Wohnorte
abgeführt, und überzeugt, daß er compromittirt ist, denn, er ist im Sommer
18-58 — ans Befehl des gesetzlichen Ministeriums und des königlichen Palatins
— mit dem Landsturm gegen Jellachich gezogen, oder hat Natioualgardeudienste in
irgend einer Festung gethan. Umsonst betheuert der Unglückliche, daß er damals dem
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/501>, abgerufen am 22.07.2024.