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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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enthalt und dadurch bedingter Lebensgefahr zu bewerkstelligen war. Nur ein
Mann ward später vermißt und der war wahrscheinlich entfernt von den übrigen
gefallen, da keiner ihn gesehen hatte. Aehnlich haben sich die Freiwilligen be
allen Abtheilungen unseres Corps ausgezeichnet, auch die Verlustliste zeigte eine
unverhältnißmäßige Ueberzahl derselben.

Doch zurück zu uuserer Retirade. Einigen vou uns ging sie zu schnell, und
hinter drin nächsten Graben wurde erst nochmals wieder Halt gemacht. Die
Brücken sollten hinter uns zerstört werden, lautete der Befehl; wir konnten noch
nicht wissen, ob Alle zurück seien, auch hielten sich jenseit des uus trennenden
Quer-Grabens die Plänkler des andern Corps noch und forderten uus auf, ein
Gleiches zu thun, um die Verbindung zu erhalte". Das schien einigen zwanzig
von uns, welche die Letzten waren, Grund genug, auch ohne Befehl sich an einer
durch eine kleine Unebenheit des Bodeus gedeckten Stelle festzusetzen und lustig
auf die feindlichen Schanzen loszufeuern. Jeder Schuß vou uus zog uns ganze
Salven vou jenseits zu, und wenn diese aufhörten, weil der Feind nicht sicher zu
sein schien, ob er noch einen Gegner habe, mußten wieder einzelne Schüsse von
uns sie herauslocken. Das Spiel gefiel den Unsrigen ganz wohl und die gute
Laune war bald wieder mit plattdeutschen Witzen bei der Hand.

An der Stelle hatten wir Nuhe, uns nach den anderen Seiten des Gefechts
umzusehen, um zu erspähen, wie dort die Sache stehen möge. Wir sahen nicht
viel Tröstliches. Das Hurrah der Sturmcolonuen und die kurzen Schläge des
Stnrmmarsches drangen immer noch von Zeit zu Zeit herüber, aber immer noch
von derselben Stelle, wo sie den ganzen Abend gewesen waren. Noch wenig
Terrain schien gewonnen zu sein, der neue Sturm deutete darauf, daß die frühe¬
ren Colonnen zurückgeschlagen seien und immer frische Truppen in'S Gefecht gezo¬
gen würden. Auch diese müssen zurückgeworfen sein, da das heftige Kleingewehr-
feuer sich von der Stadt entfernt anfängt, und die Eile, mit welcher dies einige
Zeit geschieht, deutet auf eiuen, für den Augenblick erfolgreichen Ausfall des
Feindes. Wenn dieser auch schnell aufgegeben scheint, so nimmt doch die Hef¬
tigkeit des Feuers allmälig ab, auch unsere Geschütze senden in längerem Zwi¬
schenraume ihre feurigen Kugeln durch die Luft. In der Stadt lodert freilich
noch immer ein unendliches Fettermeer, aber es scheint ihm doch die Nahrung
auszugehen, da alle hervorragenden Punkte zusammengestürzt sind; und uur uoch die
eine Kirche ragt stolz und unversehrt über ihre Umgebung hervor. Schwarz auf¬
steigende Rauchwolken deuten an, daß man jetzt, wo die Heftigkeit des Angriffs
nachläßt, an einigen Orten zu löschen versucht.

So begann der Kriegslärm zu verstummen und das unglückselige Drama,
welches wir heute gesehen, schien seinem Ende nahe. Doch in jedem Spectakelstück
muß noch ein Kuallcffcct kommen, der blieb denn auch hier uicht aus. "Was
war das?" frugen wir Alle gleichzeitig, als mit einem Male in der Nähe des


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enthalt und dadurch bedingter Lebensgefahr zu bewerkstelligen war. Nur ein
Mann ward später vermißt und der war wahrscheinlich entfernt von den übrigen
gefallen, da keiner ihn gesehen hatte. Aehnlich haben sich die Freiwilligen be
allen Abtheilungen unseres Corps ausgezeichnet, auch die Verlustliste zeigte eine
unverhältnißmäßige Ueberzahl derselben.

Doch zurück zu uuserer Retirade. Einigen vou uns ging sie zu schnell, und
hinter drin nächsten Graben wurde erst nochmals wieder Halt gemacht. Die
Brücken sollten hinter uns zerstört werden, lautete der Befehl; wir konnten noch
nicht wissen, ob Alle zurück seien, auch hielten sich jenseit des uus trennenden
Quer-Grabens die Plänkler des andern Corps noch und forderten uus auf, ein
Gleiches zu thun, um die Verbindung zu erhalte». Das schien einigen zwanzig
von uns, welche die Letzten waren, Grund genug, auch ohne Befehl sich an einer
durch eine kleine Unebenheit des Bodeus gedeckten Stelle festzusetzen und lustig
auf die feindlichen Schanzen loszufeuern. Jeder Schuß vou uus zog uns ganze
Salven vou jenseits zu, und wenn diese aufhörten, weil der Feind nicht sicher zu
sein schien, ob er noch einen Gegner habe, mußten wieder einzelne Schüsse von
uns sie herauslocken. Das Spiel gefiel den Unsrigen ganz wohl und die gute
Laune war bald wieder mit plattdeutschen Witzen bei der Hand.

An der Stelle hatten wir Nuhe, uns nach den anderen Seiten des Gefechts
umzusehen, um zu erspähen, wie dort die Sache stehen möge. Wir sahen nicht
viel Tröstliches. Das Hurrah der Sturmcolonuen und die kurzen Schläge des
Stnrmmarsches drangen immer noch von Zeit zu Zeit herüber, aber immer noch
von derselben Stelle, wo sie den ganzen Abend gewesen waren. Noch wenig
Terrain schien gewonnen zu sein, der neue Sturm deutete darauf, daß die frühe¬
ren Colonnen zurückgeschlagen seien und immer frische Truppen in'S Gefecht gezo¬
gen würden. Auch diese müssen zurückgeworfen sein, da das heftige Kleingewehr-
feuer sich von der Stadt entfernt anfängt, und die Eile, mit welcher dies einige
Zeit geschieht, deutet auf eiuen, für den Augenblick erfolgreichen Ausfall des
Feindes. Wenn dieser auch schnell aufgegeben scheint, so nimmt doch die Hef¬
tigkeit des Feuers allmälig ab, auch unsere Geschütze senden in längerem Zwi¬
schenraume ihre feurigen Kugeln durch die Luft. In der Stadt lodert freilich
noch immer ein unendliches Fettermeer, aber es scheint ihm doch die Nahrung
auszugehen, da alle hervorragenden Punkte zusammengestürzt sind; und uur uoch die
eine Kirche ragt stolz und unversehrt über ihre Umgebung hervor. Schwarz auf¬
steigende Rauchwolken deuten an, daß man jetzt, wo die Heftigkeit des Angriffs
nachläßt, an einigen Orten zu löschen versucht.

So begann der Kriegslärm zu verstummen und das unglückselige Drama,
welches wir heute gesehen, schien seinem Ende nahe. Doch in jedem Spectakelstück
muß noch ein Kuallcffcct kommen, der blieb denn auch hier uicht aus. „Was
war das?" frugen wir Alle gleichzeitig, als mit einem Male in der Nähe des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/467>, abgerufen am 22.07.2024.