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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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noch immer, wenn auch schwach, aus einem Hause des nahen Friedrichstadt drangen.
Die Geschütze waren ringsum verstummt, uur hin und wieder dröhnten noch
einzelne Schüsse vom jenseitigen Ufer der Eider aus der schweren Christiausen-
schen Batterie herüber. Doch war die Ruhe keine friedliche. Immer mehr Wagen
fuhren in größter Stille die Chaussee uach Friedrichstadt entlang mit Kriegsbe-
dürfnissen: Saudsäcken, Faschinen, Schanzkörben und Arbeitsgerät!) jeder Art.
Adjutanten und Ordonnanzen tauchten aus dem dichten Nebel auf, sausten bei uns
vorüber und verschwanden ebeu so schnell, als wären sie Erscheinungen eiuer andern
Welt. Wir hatten noch nicht erfahren, was für diese Nacht beabsichtigt werde, aber
wir glaubten, daß uns Allen heiße Stunden bevorstehen möchten und mancher von
uns deu folgenden Tag nicht erleben werde. -- Das machte die Stimmung wär¬
mer und herzlicher, als mau sie sonst unter diesen meist phlegmatischen und kalten
Naturen sendet. In bunten Gruppen, wie sie nur dieses Heer und diese Zeit
schassen kauu, standen Männer aller Staude und aus alleil deutschen Ländern in
lebhaftem Gespräche zusammen, und manch ernstes Wort und mancher Scherz ward
vorgebracht. Unter Anführung von Juristen, die sich weitläufig über das testa-
menwm mMaro anstießen, wurde vou deu Umstehenden lustig über Alles, was
sie hatten und was sie nicht hatten, zu Gunsten der Umstehenden testirt. Auch
ich glaube einige Rittergüter, Bauernhöfe und eine Anzahl Schwestern testirt erhalten
zu haben, große Geldsummen gar uicht zu rechnen. Allmälig erhob sich aus einer
Gruppe, und dann aus uoch eiuer und der dritten der Gesang irgend eines der
wenigen, hier heimischen Lieder, endlich wurden ans Aufforderung eines Officiers
von der gauzen Abtheilung die feierlichen Töne des oft gehörten und stets erhe¬
benden "Schleswig-Holstein" angestimmt. Es ist hier eine sehr seltene Erschei¬
nung, daß sich eine lagernde oder marschirende Abtheilung zu gemeinsamem Liede
vereinigt, vielmehr wird sicher jedesmal, wenn die eine Section das Lied vom
"Waffenschmidt" singt, die andere "Morgenroth" und eine dritte "Hinaus in
die Ferne" anstimmen, und gewöhnlich auch in diesen Liedern die Nebenlente
wenigstens verschiedene Melodien singen, wodurch eine entsetzliche Anhäufung von
Mißtöneu entsteht. Doch jeder will sich beim Singen nur selbst amüsiren, und
darum sind die Bemühungen der Officiere, diese Unart abzugewöhnen, meistens
gescheitert. Die gehobene Stimmung verließ uns auch uicht, als unser Comman¬
deur, welcher sich inzwischen bei von der Tann, dem Höchstcommandirenden aller
hier verewigten Truppen, gemeldet hatte, den Befehl brachte, wir sollten einstweilen
in Allanuquartiere zum Dorf rücken und uns dort fertig halten bis gegen Mitternacht.
Die Töne "Schleswig-Holsteins" begleiteten uns zurück in's Dorf, und nach uns
jede Abtheilung in das ihr angewiesene Quartier, und ehe wir uns trennten, war
die allgemeine Verabredung: "Gebt es zum Sturme, so mit Schleswig-Holstein."

Die Befehle, die um Mitternacht kommen sollten, blieben aus, nur eine
halbe Compagnie ward zur Deckung der umfassenden Schanz- und Brücken-


noch immer, wenn auch schwach, aus einem Hause des nahen Friedrichstadt drangen.
Die Geschütze waren ringsum verstummt, uur hin und wieder dröhnten noch
einzelne Schüsse vom jenseitigen Ufer der Eider aus der schweren Christiausen-
schen Batterie herüber. Doch war die Ruhe keine friedliche. Immer mehr Wagen
fuhren in größter Stille die Chaussee uach Friedrichstadt entlang mit Kriegsbe-
dürfnissen: Saudsäcken, Faschinen, Schanzkörben und Arbeitsgerät!) jeder Art.
Adjutanten und Ordonnanzen tauchten aus dem dichten Nebel auf, sausten bei uns
vorüber und verschwanden ebeu so schnell, als wären sie Erscheinungen eiuer andern
Welt. Wir hatten noch nicht erfahren, was für diese Nacht beabsichtigt werde, aber
wir glaubten, daß uns Allen heiße Stunden bevorstehen möchten und mancher von
uns deu folgenden Tag nicht erleben werde. — Das machte die Stimmung wär¬
mer und herzlicher, als mau sie sonst unter diesen meist phlegmatischen und kalten
Naturen sendet. In bunten Gruppen, wie sie nur dieses Heer und diese Zeit
schassen kauu, standen Männer aller Staude und aus alleil deutschen Ländern in
lebhaftem Gespräche zusammen, und manch ernstes Wort und mancher Scherz ward
vorgebracht. Unter Anführung von Juristen, die sich weitläufig über das testa-
menwm mMaro anstießen, wurde vou deu Umstehenden lustig über Alles, was
sie hatten und was sie nicht hatten, zu Gunsten der Umstehenden testirt. Auch
ich glaube einige Rittergüter, Bauernhöfe und eine Anzahl Schwestern testirt erhalten
zu haben, große Geldsummen gar uicht zu rechnen. Allmälig erhob sich aus einer
Gruppe, und dann aus uoch eiuer und der dritten der Gesang irgend eines der
wenigen, hier heimischen Lieder, endlich wurden ans Aufforderung eines Officiers
von der gauzen Abtheilung die feierlichen Töne des oft gehörten und stets erhe¬
benden „Schleswig-Holstein" angestimmt. Es ist hier eine sehr seltene Erschei¬
nung, daß sich eine lagernde oder marschirende Abtheilung zu gemeinsamem Liede
vereinigt, vielmehr wird sicher jedesmal, wenn die eine Section das Lied vom
„Waffenschmidt" singt, die andere „Morgenroth" und eine dritte „Hinaus in
die Ferne" anstimmen, und gewöhnlich auch in diesen Liedern die Nebenlente
wenigstens verschiedene Melodien singen, wodurch eine entsetzliche Anhäufung von
Mißtöneu entsteht. Doch jeder will sich beim Singen nur selbst amüsiren, und
darum sind die Bemühungen der Officiere, diese Unart abzugewöhnen, meistens
gescheitert. Die gehobene Stimmung verließ uns auch uicht, als unser Comman¬
deur, welcher sich inzwischen bei von der Tann, dem Höchstcommandirenden aller
hier verewigten Truppen, gemeldet hatte, den Befehl brachte, wir sollten einstweilen
in Allanuquartiere zum Dorf rücken und uns dort fertig halten bis gegen Mitternacht.
Die Töne „Schleswig-Holsteins" begleiteten uns zurück in's Dorf, und nach uns
jede Abtheilung in das ihr angewiesene Quartier, und ehe wir uns trennten, war
die allgemeine Verabredung: „Gebt es zum Sturme, so mit Schleswig-Holstein."

Die Befehle, die um Mitternacht kommen sollten, blieben aus, nur eine
halbe Compagnie ward zur Deckung der umfassenden Schanz- und Brücken-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/459>, abgerufen am 22.07.2024.