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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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leicht begreifen; aber sie bleiben zum Schluß als die edlen Menschen stehn, alles
kniet vor ihnen, läßt sich von ihnen segnen und küßt ihnen die Hände, dagegen
werden der "Sohn des Volkes", der sich gegen sie empört, und der preußische
Hauptmann, der sie beneidet und gegen sie intriguirt, als hoffnungslose Schurken
gebrandmarkt. Ist das beiz dem Redacteur der Cölnischen Zeitung bloße
Objectivität? Dann muß man sagen, daß sie in diesem Maß nicht zu billigen
ist. Jeder Dichter, sei er Tory oder Whig, sucht alleu Parteien gerecht zu
werden; aber seiue Liebe kann nur denen zu Theil werden, für die seine Politi¬
tischen Ansichten sich entscheiden. Wie man objectiv und gerecht sein kann, ohne
seiner Partei etwas zu vergeben , zeigt Walter Scott, den Whig und Tory mit
gleichem Juteresse liest, obgleich er'in seinen Dichtungen ebenso entschieden Tory
war, als in seinem Leben.

Der Bettler von James Park. Eine Novelle von Alexander Jung-
Leipzig, I. I. Weber.

Hier ist von keiner politischen Tendenz die Rede. Es ist der Versuch, eine
AnSuahmesigur, die mit der gewöhnlichen Natur des Menschen gar nichts gemein
hat, uicht komisch, sondern tragisch und sentimental zu behandeln; ein Versuch,
der an Wunderlichkeit Alles übertrifft, was Gichkow oder Hebbel in der Art ge¬
leistet haben. -- Ein junger hoffnungsvoller Engländer verliebt sich in eine
Deutsche, eine gewisse Marie, und läßt sich von ihr in der deutschen Sprache
und der deutscheu Philosophie unterrichten. Beides gibt ihm Veranlassung, sich
ein Tagebuch zu halten', worin er über die Liebe, Gott, die Freiheit und die
deutsche Sprache in deutscher Manier aphoristisch philosophirt. Da diese Manier,
was die Liebe, Gott und die Freiheit betrifft, schou hinreichend bekannt ist, so
halte ich es uicht für nöthig, darauf weiter einzugehn; doch ein linguistisches Frag¬
ment muß ich mittheilen. "Wie sinnvoll neckisch viele dieser deutschen Eigennamen
klingen! Tieck zum Beispiel! Wenn man diesen Namen des großen Dichters
ausspricht, allerliebst gedehnt, wie Marie ihn spricht: Deck, so ist es mir allemal,
als befände ich mich mitten in jener Mährchenwelt des deutschen Romantikers.
Rund umher in Käficheu scheu Canarienvögel, wie verwünschte Prinzen und
Prinzessinnen. Ich trete an einen der Bauer herau, und rufe scherzend, neckisch
zu dem gelblustigcu Vogel da drinnen, wie man wohl zu einem Canarienvogel zu
rufen pflegt: Deck und wieder Deck, und uun antwortet es gar munter eben¬
falls: Deck, Deck, und Deck, Deck geht es durch alle die übrigen Käfiche fort."
-- Auf ähnliche Weise wird über deu Namen Schleiermacher philosophirt. --
Jener gute Philosoph hat nur eine fixe Idee: seiner Familie stehe allemal ein
Unglück bevor, wenn ein Hausirer einem Gliede seiner Familie ein Eccehomo-
bild anbiete. Als ihm daher einmal wirklich ein Eccehomobild zum Verkauf an¬
getragen wird, verliert er alle Fassung; er kommt in diesem Zustand zu seiner
Geliebten, und findet sie im Sterben. Darüber verliert er den Verstand, und


leicht begreifen; aber sie bleiben zum Schluß als die edlen Menschen stehn, alles
kniet vor ihnen, läßt sich von ihnen segnen und küßt ihnen die Hände, dagegen
werden der „Sohn des Volkes", der sich gegen sie empört, und der preußische
Hauptmann, der sie beneidet und gegen sie intriguirt, als hoffnungslose Schurken
gebrandmarkt. Ist das beiz dem Redacteur der Cölnischen Zeitung bloße
Objectivität? Dann muß man sagen, daß sie in diesem Maß nicht zu billigen
ist. Jeder Dichter, sei er Tory oder Whig, sucht alleu Parteien gerecht zu
werden; aber seiue Liebe kann nur denen zu Theil werden, für die seine Politi¬
tischen Ansichten sich entscheiden. Wie man objectiv und gerecht sein kann, ohne
seiner Partei etwas zu vergeben , zeigt Walter Scott, den Whig und Tory mit
gleichem Juteresse liest, obgleich er'in seinen Dichtungen ebenso entschieden Tory
war, als in seinem Leben.

Der Bettler von James Park. Eine Novelle von Alexander Jung-
Leipzig, I. I. Weber.

Hier ist von keiner politischen Tendenz die Rede. Es ist der Versuch, eine
AnSuahmesigur, die mit der gewöhnlichen Natur des Menschen gar nichts gemein
hat, uicht komisch, sondern tragisch und sentimental zu behandeln; ein Versuch,
der an Wunderlichkeit Alles übertrifft, was Gichkow oder Hebbel in der Art ge¬
leistet haben. — Ein junger hoffnungsvoller Engländer verliebt sich in eine
Deutsche, eine gewisse Marie, und läßt sich von ihr in der deutschen Sprache
und der deutscheu Philosophie unterrichten. Beides gibt ihm Veranlassung, sich
ein Tagebuch zu halten', worin er über die Liebe, Gott, die Freiheit und die
deutsche Sprache in deutscher Manier aphoristisch philosophirt. Da diese Manier,
was die Liebe, Gott und die Freiheit betrifft, schou hinreichend bekannt ist, so
halte ich es uicht für nöthig, darauf weiter einzugehn; doch ein linguistisches Frag¬
ment muß ich mittheilen. „Wie sinnvoll neckisch viele dieser deutschen Eigennamen
klingen! Tieck zum Beispiel! Wenn man diesen Namen des großen Dichters
ausspricht, allerliebst gedehnt, wie Marie ihn spricht: Deck, so ist es mir allemal,
als befände ich mich mitten in jener Mährchenwelt des deutschen Romantikers.
Rund umher in Käficheu scheu Canarienvögel, wie verwünschte Prinzen und
Prinzessinnen. Ich trete an einen der Bauer herau, und rufe scherzend, neckisch
zu dem gelblustigcu Vogel da drinnen, wie man wohl zu einem Canarienvogel zu
rufen pflegt: Deck und wieder Deck, und uun antwortet es gar munter eben¬
falls: Deck, Deck, und Deck, Deck geht es durch alle die übrigen Käfiche fort."
— Auf ähnliche Weise wird über deu Namen Schleiermacher philosophirt. —
Jener gute Philosoph hat nur eine fixe Idee: seiner Familie stehe allemal ein
Unglück bevor, wenn ein Hausirer einem Gliede seiner Familie ein Eccehomo-
bild anbiete. Als ihm daher einmal wirklich ein Eccehomobild zum Verkauf an¬
getragen wird, verliert er alle Fassung; er kommt in diesem Zustand zu seiner
Geliebten, und findet sie im Sterben. Darüber verliert er den Verstand, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/437>, abgerufen am 25.08.2024.