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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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die Kriegsgäste nicht mit aus der Heimath gebracht -- zwischen seinen Pferde-
Mlen leibeigen; gewordene Söhne römischer Senatoren, sogar der Neffe eines
Bischofs von Langres, hüten seine Heerden; ein listiger Sklave römischer Herkunft
dient als Koch der Völlerei seines fränkischen Gebieters, dessen gesammte Um¬
gebung, neben den Trümmern der kunstvollsten Thermen, Säulenhallen, Atrien
mit Mosaikboden, einen durchaus bäuerischen Zuschnitt bezeugt."

Da kam das Christenthum in die Germanen, die Kirchen erhoben sich,
Klöster und Bischofsitze; das Lehnswesen entwickelte sich, die neue Gesellschaft
begann sich zu gliedern und durch Gesetze zu sichern, die königlichen Pfalzen wur¬
den gebant und um die Kirchen und die Fürstenhöfe errichtete der Adel seiue Be-
hausungen. Auf deu Trümmern der Römerstädte wuchs ein neues Leben.

"Die zweite Hälfte des ö. und die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts hat
keinen umschlossenen Ort Mainz, mit engeren Silben an einander, nnr zerrissene
Mauern mit vereinzelten Bewohnern gekannt. Die Schenkungen frommer Ein¬
falt an das Kloster Fulda, welches etwa um die Mitte des 8. Jahrhunderts
erstand, gewähren uns ein lebhaftes Bild des "goldenen Mainz" in der Mero-
wingerzeit. Im weiten Umfang, zwischen der königlichen Pfalz, den Kirchen und
Capellen ein zahlreicher fränkischer Adel im vereinzelten, oder gassenartig benach¬
barten Gehöften angesiedelt; zu ihren Häusern und Höfen gehören Weinberge
innerhalb der Mauern, und außerhalb, besonders nach dem römischen Castrum,
dem Kästrich und Se. Alban zu; zu deu urbaren Aeckern drinnen und draußen
eine Meuge Leibeigener, alle deutscher Namen. Ganz Mainz und sein Weichbild
sind eine Ansiedelung kriegsadeliger Landbesitzer, denen des Königs Aufenthalt
und das Ansehen des Klerus in ihrer Mitte ein noch vornehmeres Gepräge
gewährt. Unter ihrem hörigen Gesinde tritt noch keine Spur von unabhängigerer
Gewerbthätigkeit heraus; keine Kaufmannsgilde hat bis zur Karolingerzeit zwischen
Geistlichkeit, städtischem Adel und Leibeigenen freieren Spielraum für ihre Thä¬
tigkeit gefunden, wenngleich das einförmige Leben jener genießenden Altbürger
und des Klerus uicht ohne Verkehr, Austausch, Kunstfleiß und Handwerk gedacht
werden kaun."

Aus den leibeignen Arbeitern werden- Handwerker, aus den Edeln hier und
da patrizische Familien, die große Klasse der persönlich Freien ohne Grundbesitz
verbindet sich zu Schutzgilden, aus denen allmälig die Zünfte sich entwickeln,
Handel und Handwerk erblühen, die Städte erhalten Mauern, die Unfreien die
persönlichen Rechte der Freien, der Herr, Kaiser oder Bischof braucht die Hülse
der Bürger, sie erhalten und ertrotzen Privilegien, zuletzt freies Selbstregiment;
schließen große Bündnisse unter einander, und geben sich Verfassungen.

Am frühsten entwickelten sich die mittelalterlichen Städte auf dem alten
Römergrund, später, aber mit nicht geringerer Energie, im alten Sachsenlaud, zu¬
letzt in den östlichen Grenzländern ans slavischem Grunde. -- Zweihundert Jahr


die Kriegsgäste nicht mit aus der Heimath gebracht — zwischen seinen Pferde-
Mlen leibeigen; gewordene Söhne römischer Senatoren, sogar der Neffe eines
Bischofs von Langres, hüten seine Heerden; ein listiger Sklave römischer Herkunft
dient als Koch der Völlerei seines fränkischen Gebieters, dessen gesammte Um¬
gebung, neben den Trümmern der kunstvollsten Thermen, Säulenhallen, Atrien
mit Mosaikboden, einen durchaus bäuerischen Zuschnitt bezeugt."

Da kam das Christenthum in die Germanen, die Kirchen erhoben sich,
Klöster und Bischofsitze; das Lehnswesen entwickelte sich, die neue Gesellschaft
begann sich zu gliedern und durch Gesetze zu sichern, die königlichen Pfalzen wur¬
den gebant und um die Kirchen und die Fürstenhöfe errichtete der Adel seiue Be-
hausungen. Auf deu Trümmern der Römerstädte wuchs ein neues Leben.

„Die zweite Hälfte des ö. und die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts hat
keinen umschlossenen Ort Mainz, mit engeren Silben an einander, nnr zerrissene
Mauern mit vereinzelten Bewohnern gekannt. Die Schenkungen frommer Ein¬
falt an das Kloster Fulda, welches etwa um die Mitte des 8. Jahrhunderts
erstand, gewähren uns ein lebhaftes Bild des „goldenen Mainz" in der Mero-
wingerzeit. Im weiten Umfang, zwischen der königlichen Pfalz, den Kirchen und
Capellen ein zahlreicher fränkischer Adel im vereinzelten, oder gassenartig benach¬
barten Gehöften angesiedelt; zu ihren Häusern und Höfen gehören Weinberge
innerhalb der Mauern, und außerhalb, besonders nach dem römischen Castrum,
dem Kästrich und Se. Alban zu; zu deu urbaren Aeckern drinnen und draußen
eine Meuge Leibeigener, alle deutscher Namen. Ganz Mainz und sein Weichbild
sind eine Ansiedelung kriegsadeliger Landbesitzer, denen des Königs Aufenthalt
und das Ansehen des Klerus in ihrer Mitte ein noch vornehmeres Gepräge
gewährt. Unter ihrem hörigen Gesinde tritt noch keine Spur von unabhängigerer
Gewerbthätigkeit heraus; keine Kaufmannsgilde hat bis zur Karolingerzeit zwischen
Geistlichkeit, städtischem Adel und Leibeigenen freieren Spielraum für ihre Thä¬
tigkeit gefunden, wenngleich das einförmige Leben jener genießenden Altbürger
und des Klerus uicht ohne Verkehr, Austausch, Kunstfleiß und Handwerk gedacht
werden kaun."

Aus den leibeignen Arbeitern werden- Handwerker, aus den Edeln hier und
da patrizische Familien, die große Klasse der persönlich Freien ohne Grundbesitz
verbindet sich zu Schutzgilden, aus denen allmälig die Zünfte sich entwickeln,
Handel und Handwerk erblühen, die Städte erhalten Mauern, die Unfreien die
persönlichen Rechte der Freien, der Herr, Kaiser oder Bischof braucht die Hülse
der Bürger, sie erhalten und ertrotzen Privilegien, zuletzt freies Selbstregiment;
schließen große Bündnisse unter einander, und geben sich Verfassungen.

Am frühsten entwickelten sich die mittelalterlichen Städte auf dem alten
Römergrund, später, aber mit nicht geringerer Energie, im alten Sachsenlaud, zu¬
letzt in den östlichen Grenzländern ans slavischem Grunde. — Zweihundert Jahr


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[0426] die Kriegsgäste nicht mit aus der Heimath gebracht — zwischen seinen Pferde- Mlen leibeigen; gewordene Söhne römischer Senatoren, sogar der Neffe eines Bischofs von Langres, hüten seine Heerden; ein listiger Sklave römischer Herkunft dient als Koch der Völlerei seines fränkischen Gebieters, dessen gesammte Um¬ gebung, neben den Trümmern der kunstvollsten Thermen, Säulenhallen, Atrien mit Mosaikboden, einen durchaus bäuerischen Zuschnitt bezeugt." Da kam das Christenthum in die Germanen, die Kirchen erhoben sich, Klöster und Bischofsitze; das Lehnswesen entwickelte sich, die neue Gesellschaft begann sich zu gliedern und durch Gesetze zu sichern, die königlichen Pfalzen wur¬ den gebant und um die Kirchen und die Fürstenhöfe errichtete der Adel seiue Be- hausungen. Auf deu Trümmern der Römerstädte wuchs ein neues Leben. „Die zweite Hälfte des ö. und die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts hat keinen umschlossenen Ort Mainz, mit engeren Silben an einander, nnr zerrissene Mauern mit vereinzelten Bewohnern gekannt. Die Schenkungen frommer Ein¬ falt an das Kloster Fulda, welches etwa um die Mitte des 8. Jahrhunderts erstand, gewähren uns ein lebhaftes Bild des „goldenen Mainz" in der Mero- wingerzeit. Im weiten Umfang, zwischen der königlichen Pfalz, den Kirchen und Capellen ein zahlreicher fränkischer Adel im vereinzelten, oder gassenartig benach¬ barten Gehöften angesiedelt; zu ihren Häusern und Höfen gehören Weinberge innerhalb der Mauern, und außerhalb, besonders nach dem römischen Castrum, dem Kästrich und Se. Alban zu; zu deu urbaren Aeckern drinnen und draußen eine Meuge Leibeigener, alle deutscher Namen. Ganz Mainz und sein Weichbild sind eine Ansiedelung kriegsadeliger Landbesitzer, denen des Königs Aufenthalt und das Ansehen des Klerus in ihrer Mitte ein noch vornehmeres Gepräge gewährt. Unter ihrem hörigen Gesinde tritt noch keine Spur von unabhängigerer Gewerbthätigkeit heraus; keine Kaufmannsgilde hat bis zur Karolingerzeit zwischen Geistlichkeit, städtischem Adel und Leibeigenen freieren Spielraum für ihre Thä¬ tigkeit gefunden, wenngleich das einförmige Leben jener genießenden Altbürger und des Klerus uicht ohne Verkehr, Austausch, Kunstfleiß und Handwerk gedacht werden kaun." Aus den leibeignen Arbeitern werden- Handwerker, aus den Edeln hier und da patrizische Familien, die große Klasse der persönlich Freien ohne Grundbesitz verbindet sich zu Schutzgilden, aus denen allmälig die Zünfte sich entwickeln, Handel und Handwerk erblühen, die Städte erhalten Mauern, die Unfreien die persönlichen Rechte der Freien, der Herr, Kaiser oder Bischof braucht die Hülse der Bürger, sie erhalten und ertrotzen Privilegien, zuletzt freies Selbstregiment; schließen große Bündnisse unter einander, und geben sich Verfassungen. Am frühsten entwickelten sich die mittelalterlichen Städte auf dem alten Römergrund, später, aber mit nicht geringerer Energie, im alten Sachsenlaud, zu¬ letzt in den östlichen Grenzländern ans slavischem Grunde. — Zweihundert Jahr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/426>, abgerufen am 24.07.2024.