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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Hilfe, um die verbrecherische Presse zu vernichten, und verpflichtete sich, "den Schmäh¬
schriften, deren Frechheit der Negierung zur Schande gereiche, einen starken Damm
entgegenzustellen, und ein der Größe des Uebels angemessenes Mittel zu finden."

Das sicherste Mittel war ohne Zweifel, das alte Gesetz, welches den: Publi-
cum und der Presse hermetisch die Sitzungen des Parlaments verschloß, wieder in
Wirksamkeit zu setzen. Dieser Meinung waren die Heftigsten aber nicht die Klügsten.
Jeden Monat, vom Februar 1712 bis zum April desselben Jahres erschien diese
Debatte, die alle Welt in Verlegenheit setzte, auf der Tagesordnung des Unter¬
hauses. Wie sollte mau eine Öffentlichkeit verhindern, die in Aller Interesse
lag? Wie wollte man das Geheimniß bewahren, das Jeder zu verletzen bereit
war und Jeder zu schonen sich stellte? Der Herausgeber des van^ Oouraiü mußte
als Sündenbock dienen; er wurde eingesperrt, weil er eine "Denkschrift der
Generalstaaten von Holland" mit Anmerkungen gedruckt hatte; aber dabei blieb
mau steheu. Weder die Whigs noch die Tories wußten, wie sie verfahren sollten.
"Unsere Staatsmänner sind in großer Verlegenheit," schreibt Swift an Stella,
"sie möchten die Zeitungen für ihre Gegner unterdrücken, und sie für sich allem
bestehen lasse". Viele Mitglieder des Unterhauses zerbrechen sich den Kopf über die
Mittel und halten die Sache nicht für ausführbar." -- Endlich glaubte man einen
Ausweg gefunden zu haben. Die Whigs waren damals am Ruder, und mau weiß,
daß in Nestrictivmaßregelu Niemand geschickter ist, als ein altes Oppositiousmitglied.
Die Whigs ersannen jetzt die sinnreiche Maßregel, welche die ZeitnngSpresse zu
fesseln versprach, ohne doch den Schein zu haben, die Preßfreiheit zu beeinträch-
tigen. Verschiedene einer Abgabe unterworfene Cousumtiousartikel, "Seife, Zucker,
Papier, Fensterglas, Pergament," waren in einer langen Parlamentsbill aufge¬
zählt, und am Eude desselben stand ganz harmlos und unscheinbar ein kleiner
Paragraph, welcher den Zeitungen eine Stempelabgabe vou einem halben Penny
für jeden halben Bogen, von einem Penny für den ganzen Bogen und vou
11 Pence für jede Anzeige auflegte.

Damit war der Zcitungsstempel eingeführt. Die Wirkung der neuen Ma߬
regel war groß, obgleich uicht ganz so, wie man erwartet hatte; viele Blätter
gingen ein; viele vereinigten sich mit andern. Die Ueberlebenden erbteu die
Leser der Gestorbene", und in letzter Instanz gewann doch wieder die Presse.

Ohne die Veröffentlichung der Parlamentödebatten anzuerkennen, gestattete
man sie stillschweigend, und die Zeitungen erwarben sich eiuen wahrhaften Ein¬
fluß. Mehr Capital war nöthig, um sie zu begründen, mehr Anzeigen, um ihr
Fortbestehen zu sichern. Was bis jetzt ein kleines Geschäft gewesen, wird nun
zu einem großartigen Unternehmen. Die Arbeit wird unter zahlreiche gutbezahlte
Mitarbeiter vertheilt. Jede Partei will eine Zeitung zu ihrer Vertheidigung
haben, und da die Negierung selbst nur bestehen kauu, wenn sie sich auf eine
Partei stützt, benutzte sie die Gelegenheit und ließ das Gesetz ruhen. Als Georg I.


Hilfe, um die verbrecherische Presse zu vernichten, und verpflichtete sich, „den Schmäh¬
schriften, deren Frechheit der Negierung zur Schande gereiche, einen starken Damm
entgegenzustellen, und ein der Größe des Uebels angemessenes Mittel zu finden."

Das sicherste Mittel war ohne Zweifel, das alte Gesetz, welches den: Publi-
cum und der Presse hermetisch die Sitzungen des Parlaments verschloß, wieder in
Wirksamkeit zu setzen. Dieser Meinung waren die Heftigsten aber nicht die Klügsten.
Jeden Monat, vom Februar 1712 bis zum April desselben Jahres erschien diese
Debatte, die alle Welt in Verlegenheit setzte, auf der Tagesordnung des Unter¬
hauses. Wie sollte mau eine Öffentlichkeit verhindern, die in Aller Interesse
lag? Wie wollte man das Geheimniß bewahren, das Jeder zu verletzen bereit
war und Jeder zu schonen sich stellte? Der Herausgeber des van^ Oouraiü mußte
als Sündenbock dienen; er wurde eingesperrt, weil er eine „Denkschrift der
Generalstaaten von Holland" mit Anmerkungen gedruckt hatte; aber dabei blieb
mau steheu. Weder die Whigs noch die Tories wußten, wie sie verfahren sollten.
„Unsere Staatsmänner sind in großer Verlegenheit," schreibt Swift an Stella,
„sie möchten die Zeitungen für ihre Gegner unterdrücken, und sie für sich allem
bestehen lasse». Viele Mitglieder des Unterhauses zerbrechen sich den Kopf über die
Mittel und halten die Sache nicht für ausführbar." — Endlich glaubte man einen
Ausweg gefunden zu haben. Die Whigs waren damals am Ruder, und mau weiß,
daß in Nestrictivmaßregelu Niemand geschickter ist, als ein altes Oppositiousmitglied.
Die Whigs ersannen jetzt die sinnreiche Maßregel, welche die ZeitnngSpresse zu
fesseln versprach, ohne doch den Schein zu haben, die Preßfreiheit zu beeinträch-
tigen. Verschiedene einer Abgabe unterworfene Cousumtiousartikel, „Seife, Zucker,
Papier, Fensterglas, Pergament," waren in einer langen Parlamentsbill aufge¬
zählt, und am Eude desselben stand ganz harmlos und unscheinbar ein kleiner
Paragraph, welcher den Zeitungen eine Stempelabgabe vou einem halben Penny
für jeden halben Bogen, von einem Penny für den ganzen Bogen und vou
11 Pence für jede Anzeige auflegte.

Damit war der Zcitungsstempel eingeführt. Die Wirkung der neuen Ma߬
regel war groß, obgleich uicht ganz so, wie man erwartet hatte; viele Blätter
gingen ein; viele vereinigten sich mit andern. Die Ueberlebenden erbteu die
Leser der Gestorbene», und in letzter Instanz gewann doch wieder die Presse.

Ohne die Veröffentlichung der Parlamentödebatten anzuerkennen, gestattete
man sie stillschweigend, und die Zeitungen erwarben sich eiuen wahrhaften Ein¬
fluß. Mehr Capital war nöthig, um sie zu begründen, mehr Anzeigen, um ihr
Fortbestehen zu sichern. Was bis jetzt ein kleines Geschäft gewesen, wird nun
zu einem großartigen Unternehmen. Die Arbeit wird unter zahlreiche gutbezahlte
Mitarbeiter vertheilt. Jede Partei will eine Zeitung zu ihrer Vertheidigung
haben, und da die Negierung selbst nur bestehen kauu, wenn sie sich auf eine
Partei stützt, benutzte sie die Gelegenheit und ließ das Gesetz ruhen. Als Georg I.


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[0420] Hilfe, um die verbrecherische Presse zu vernichten, und verpflichtete sich, „den Schmäh¬ schriften, deren Frechheit der Negierung zur Schande gereiche, einen starken Damm entgegenzustellen, und ein der Größe des Uebels angemessenes Mittel zu finden." Das sicherste Mittel war ohne Zweifel, das alte Gesetz, welches den: Publi- cum und der Presse hermetisch die Sitzungen des Parlaments verschloß, wieder in Wirksamkeit zu setzen. Dieser Meinung waren die Heftigsten aber nicht die Klügsten. Jeden Monat, vom Februar 1712 bis zum April desselben Jahres erschien diese Debatte, die alle Welt in Verlegenheit setzte, auf der Tagesordnung des Unter¬ hauses. Wie sollte mau eine Öffentlichkeit verhindern, die in Aller Interesse lag? Wie wollte man das Geheimniß bewahren, das Jeder zu verletzen bereit war und Jeder zu schonen sich stellte? Der Herausgeber des van^ Oouraiü mußte als Sündenbock dienen; er wurde eingesperrt, weil er eine „Denkschrift der Generalstaaten von Holland" mit Anmerkungen gedruckt hatte; aber dabei blieb mau steheu. Weder die Whigs noch die Tories wußten, wie sie verfahren sollten. „Unsere Staatsmänner sind in großer Verlegenheit," schreibt Swift an Stella, „sie möchten die Zeitungen für ihre Gegner unterdrücken, und sie für sich allem bestehen lasse». Viele Mitglieder des Unterhauses zerbrechen sich den Kopf über die Mittel und halten die Sache nicht für ausführbar." — Endlich glaubte man einen Ausweg gefunden zu haben. Die Whigs waren damals am Ruder, und mau weiß, daß in Nestrictivmaßregelu Niemand geschickter ist, als ein altes Oppositiousmitglied. Die Whigs ersannen jetzt die sinnreiche Maßregel, welche die ZeitnngSpresse zu fesseln versprach, ohne doch den Schein zu haben, die Preßfreiheit zu beeinträch- tigen. Verschiedene einer Abgabe unterworfene Cousumtiousartikel, „Seife, Zucker, Papier, Fensterglas, Pergament," waren in einer langen Parlamentsbill aufge¬ zählt, und am Eude desselben stand ganz harmlos und unscheinbar ein kleiner Paragraph, welcher den Zeitungen eine Stempelabgabe vou einem halben Penny für jeden halben Bogen, von einem Penny für den ganzen Bogen und vou 11 Pence für jede Anzeige auflegte. Damit war der Zcitungsstempel eingeführt. Die Wirkung der neuen Ma߬ regel war groß, obgleich uicht ganz so, wie man erwartet hatte; viele Blätter gingen ein; viele vereinigten sich mit andern. Die Ueberlebenden erbteu die Leser der Gestorbene», und in letzter Instanz gewann doch wieder die Presse. Ohne die Veröffentlichung der Parlamentödebatten anzuerkennen, gestattete man sie stillschweigend, und die Zeitungen erwarben sich eiuen wahrhaften Ein¬ fluß. Mehr Capital war nöthig, um sie zu begründen, mehr Anzeigen, um ihr Fortbestehen zu sichern. Was bis jetzt ein kleines Geschäft gewesen, wird nun zu einem großartigen Unternehmen. Die Arbeit wird unter zahlreiche gutbezahlte Mitarbeiter vertheilt. Jede Partei will eine Zeitung zu ihrer Vertheidigung haben, und da die Negierung selbst nur bestehen kauu, wenn sie sich auf eine Partei stützt, benutzte sie die Gelegenheit und ließ das Gesetz ruhen. Als Georg I.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/420>, abgerufen am 24.07.2024.