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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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An der Zimmerthiir trat mir eine bildschöne junge Dame in größter Aufregung
entgegen und rief mir mit gerungenen Händen zu: Um Gotteswillen, mein Herr,
geben Sie mir Nachricht von meinem Verlobten, kein Mensch will hier etwas
von ihm wissen; man will mich schonen, man will mich täuschen! Meine Lippen
zauberten das kurze Wort "todt" auszusprechen, aber es stand wahrscheinlich sehr
leserlich auf meinem Gesicht geschrieben, denn sie rief in furchtbarer Angst: "Er
ist todt, er ist todt!" Ich vermochte nicht eine Rede zu halten und neigte stumm
und ehrfurchtsvoll meinen Kopf. "Also todt," schrie sie in herzzerschneidenden
Tönen und stürzte ohnmächtig im Zimmer zusammen, wie durch's Herz geschossen.
Eine alte Tante rennt von der einen Seite herzu, ich vou der andern, ich trage
die Ohnmächtige ans das Sopha, hole Gläser Wasser, ergreife endlich meinen
Helm und eile aus dem Gasthause, mit dem zweifelhaften Trost, daß mein Bei¬
stand im Augenblick doch nichts nützen könne. Nach einer Weile kam ich resignirt
zurück; die Braut saß da, wie Niobe, bleich, kalt und ohne Thränen. Endlich
bat sie mich mit gebrochener Stimme ihr die näheren Umstände von der Verwun¬
dung und dem Tode ihres Bräutigams zu erzählen. Ich versuchte eine ausführ¬
liche Schilderung zu machen, zweifele aber, daß ich den kriegerischen Takt des
schwedischen Hauptmanns im Wallenstein hatte, wenigstens mußte ich mich öfter
räuspem, als für deu Fluß meiner Rede wünschenswert^ war. Sie saß aber
auch zu melancholisch vor mir. Endlich bat sie mich gar, sie zu dem Grabe
des Todten zu begleiten. Auf dem frischen Grabe steckte eine kleine schwarzroth-
goldene Fahne, zum Zeichen, daß dort ein Soldat lag. Sie warf sich schluchzend
ans dem Grabe nieder und lag lange mit gefalteten Händen, wahrend ich traurig
.daneben stand und einen Augenblick nicht ganz sicher war, ob ich ihr anch das
rechte Grab gezeigt hatte. Meine Tischtameradeu behaupteten später, es sei das
eiues dicken Wachtmeisters gewesen, der an demselben Tage gestorben war. Aber
das war eine unwürdige Verleumdung. Wenn sie betete, wie ich glaube, wird
jedenfalls ihr Gebet am rechten Orte angekommen sein. Endlich führte ich sie
nach der Stadt zurück, sie hing gebrochen an meinem Arm, wie eine Sterbende.
Noch an demselben Abend wurde die Unglückliche von einem heftigen Nervenfieber
ergriffen und hat wochenlang in Rendsburg gelegen. Eine einfältige Kugel hatte
zwei blühende Menschenleben vernichtet. Man gewöhnt sich aber im Kriege anch
an so etwas.

Das also war der gemüthliche Morgen, den ich mir in der Regennacht so
schön ausgemalt hatte. Zank mit Künstlern, Marketenderinnen und widerspen¬
stigen Additionsexempeln und zuletzt uoch eine ungeheure Quantität von tragischein
Mitgefühl. In wahrhaft philosophischer Stimmung ging ich in'ö Gasthaus zum
verspäteten Mittagstische. Dort dachte mau uicht an die Schrecken des Krieges
und hatte wenig Sympathien mit den Leiden eines Adjutanten. Eine volle
Bowle stand ans der Tafel, lustige Gruppen saßen umher und hielten mir die


An der Zimmerthiir trat mir eine bildschöne junge Dame in größter Aufregung
entgegen und rief mir mit gerungenen Händen zu: Um Gotteswillen, mein Herr,
geben Sie mir Nachricht von meinem Verlobten, kein Mensch will hier etwas
von ihm wissen; man will mich schonen, man will mich täuschen! Meine Lippen
zauberten das kurze Wort „todt" auszusprechen, aber es stand wahrscheinlich sehr
leserlich auf meinem Gesicht geschrieben, denn sie rief in furchtbarer Angst: „Er
ist todt, er ist todt!" Ich vermochte nicht eine Rede zu halten und neigte stumm
und ehrfurchtsvoll meinen Kopf. „Also todt," schrie sie in herzzerschneidenden
Tönen und stürzte ohnmächtig im Zimmer zusammen, wie durch's Herz geschossen.
Eine alte Tante rennt von der einen Seite herzu, ich vou der andern, ich trage
die Ohnmächtige ans das Sopha, hole Gläser Wasser, ergreife endlich meinen
Helm und eile aus dem Gasthause, mit dem zweifelhaften Trost, daß mein Bei¬
stand im Augenblick doch nichts nützen könne. Nach einer Weile kam ich resignirt
zurück; die Braut saß da, wie Niobe, bleich, kalt und ohne Thränen. Endlich
bat sie mich mit gebrochener Stimme ihr die näheren Umstände von der Verwun¬
dung und dem Tode ihres Bräutigams zu erzählen. Ich versuchte eine ausführ¬
liche Schilderung zu machen, zweifele aber, daß ich den kriegerischen Takt des
schwedischen Hauptmanns im Wallenstein hatte, wenigstens mußte ich mich öfter
räuspem, als für deu Fluß meiner Rede wünschenswert^ war. Sie saß aber
auch zu melancholisch vor mir. Endlich bat sie mich gar, sie zu dem Grabe
des Todten zu begleiten. Auf dem frischen Grabe steckte eine kleine schwarzroth-
goldene Fahne, zum Zeichen, daß dort ein Soldat lag. Sie warf sich schluchzend
ans dem Grabe nieder und lag lange mit gefalteten Händen, wahrend ich traurig
.daneben stand und einen Augenblick nicht ganz sicher war, ob ich ihr anch das
rechte Grab gezeigt hatte. Meine Tischtameradeu behaupteten später, es sei das
eiues dicken Wachtmeisters gewesen, der an demselben Tage gestorben war. Aber
das war eine unwürdige Verleumdung. Wenn sie betete, wie ich glaube, wird
jedenfalls ihr Gebet am rechten Orte angekommen sein. Endlich führte ich sie
nach der Stadt zurück, sie hing gebrochen an meinem Arm, wie eine Sterbende.
Noch an demselben Abend wurde die Unglückliche von einem heftigen Nervenfieber
ergriffen und hat wochenlang in Rendsburg gelegen. Eine einfältige Kugel hatte
zwei blühende Menschenleben vernichtet. Man gewöhnt sich aber im Kriege anch
an so etwas.

Das also war der gemüthliche Morgen, den ich mir in der Regennacht so
schön ausgemalt hatte. Zank mit Künstlern, Marketenderinnen und widerspen¬
stigen Additionsexempeln und zuletzt uoch eine ungeheure Quantität von tragischein
Mitgefühl. In wahrhaft philosophischer Stimmung ging ich in'ö Gasthaus zum
verspäteten Mittagstische. Dort dachte mau uicht an die Schrecken des Krieges
und hatte wenig Sympathien mit den Leiden eines Adjutanten. Eine volle
Bowle stand ans der Tafel, lustige Gruppen saßen umher und hielten mir die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/416>, abgerufen am 24.07.2024.