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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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gestützt. Es wurde vom Sturme der nachfolgenden Ereignisse verweht; mit ihm
war die literarische Thätigkeit des Redacteurs in Ungarn zu Ende.

Pastor Wimmer kam nach England, nachdem er in Berlin vergebens ver¬
sucht hatte, seinen früheren Gönner, den König von Preußen, für die Sache
Ungarns zu interessiren. Der Bibelmann fand in Sans-souci verschlossene
Thüre"; die Herren von Manteuffel und Hinkeldey ließen ihn an der Spree
nicht festen Fuß fassen, und Pastor Wimmer ging mit seiner Tochter nach Ame¬
rika, wo ihm eine geistliche Pfründe über die leiblichen Bedürfnisse des Lebens
hinweghelfen soll.*) --

Die Stellung und Thätigkeit Pulszky's während der Zeit der ungarischen
Erhebung ist sattsam bekannt. Wenige Menschen, welche in derselben eine Rolle
spielten, ja vielleicht Keiner von Allen kann sich so vieler erbitterter Feinde rühmen
als er. Am Kaiserhofe zu Wien, in den Bureaus der Minister und speciell in
dem Herzen des Herrn Dr. Bach, in den loyalen, sogenannten schwarzgelben
Kreisen der Residenz und in den Quartieren der Officiere ist der Name Pulszky's
zehnmal verhaßter als der Kossuth's, Bem's, Perczel's, Szemere's und all der
anderen "Rebellen", die noch leben oder vom Leben zum Tode gebracht wurden.
Der Grund dieses Hasses liegt in der psychologischen Eigenthümlichkeit der mensch¬
lichen Natur, den offenen Feind weniger zu fürchten, ihm leichter zu verzeihen,
als dem unsichtbaren Gegner, der nirgend sichtbar, niemals zu fassen, auf keine
Weise eines thatsächlichen Verbrechens zu überführen, und dennoch rödtend, ver¬
nichtend wirkt. Es sei damit durchaus nicht gesagt, daß Herr v. Pulszky ein
Mörder oder Giftmischer sei, es sei bei Leibe damit auch nicht gemeint, daß der
vormalige Staatssecretär König Ferdinand's V. die Hand bei der Ermordung des
Grafen Latour mit im Spiele hatte. Die Untersuchungsacten über diesen faulen
Fleck ruhen noch immer im Schooße des Militärgerichts zu Wien; und sind auch
die Güter Pulszky's und seiner Frau bisher noch immer sequestrirt, so bleibt es
doch auffallend, daß sein Name in der Liste der Hauptvroscribirren nicht genannt,
daß er nicht steckbrieflich wie die Uebrigen verfolgt, ja daß bis auf den heutigen
Tag nicht einmal eine Untersuchung wegen Hochverrath gegen ihn eingeleitet
wurde. Man hat freilich ohne Erfolg in Ungarn nach dem Documente gestöbert,
welches Pulszky im Namen der ungarischen Regierung'zum Agenten für London
ernannt, aber der Umstand, daß dieses armselige Papier nicht gefunden wurde,
konnte allein unmöglich der Grund sein, warum man dem declarirteu envo^e Kossuth's
nicht den Proceß machte. Die östreichische Regierung wird sich ein weiteres nutz¬
loses Suchen ersparen. Das Kreditiv befindet sich in London, in Pulszky's Hän-
den, und er ist so sehr entfernt, seine Theilnahme an der Revolution zu leugnen,
daß er, aus Verlangen, eine Copie oder auch das Original mit Vergnügen der



Es heißt, daß er vor Kurzem wieder nach Europa zurückgekehrt sei.
Grenzboten. IV. 1850.

gestützt. Es wurde vom Sturme der nachfolgenden Ereignisse verweht; mit ihm
war die literarische Thätigkeit des Redacteurs in Ungarn zu Ende.

Pastor Wimmer kam nach England, nachdem er in Berlin vergebens ver¬
sucht hatte, seinen früheren Gönner, den König von Preußen, für die Sache
Ungarns zu interessiren. Der Bibelmann fand in Sans-souci verschlossene
Thüre«; die Herren von Manteuffel und Hinkeldey ließen ihn an der Spree
nicht festen Fuß fassen, und Pastor Wimmer ging mit seiner Tochter nach Ame¬
rika, wo ihm eine geistliche Pfründe über die leiblichen Bedürfnisse des Lebens
hinweghelfen soll.*) —

Die Stellung und Thätigkeit Pulszky's während der Zeit der ungarischen
Erhebung ist sattsam bekannt. Wenige Menschen, welche in derselben eine Rolle
spielten, ja vielleicht Keiner von Allen kann sich so vieler erbitterter Feinde rühmen
als er. Am Kaiserhofe zu Wien, in den Bureaus der Minister und speciell in
dem Herzen des Herrn Dr. Bach, in den loyalen, sogenannten schwarzgelben
Kreisen der Residenz und in den Quartieren der Officiere ist der Name Pulszky's
zehnmal verhaßter als der Kossuth's, Bem's, Perczel's, Szemere's und all der
anderen „Rebellen", die noch leben oder vom Leben zum Tode gebracht wurden.
Der Grund dieses Hasses liegt in der psychologischen Eigenthümlichkeit der mensch¬
lichen Natur, den offenen Feind weniger zu fürchten, ihm leichter zu verzeihen,
als dem unsichtbaren Gegner, der nirgend sichtbar, niemals zu fassen, auf keine
Weise eines thatsächlichen Verbrechens zu überführen, und dennoch rödtend, ver¬
nichtend wirkt. Es sei damit durchaus nicht gesagt, daß Herr v. Pulszky ein
Mörder oder Giftmischer sei, es sei bei Leibe damit auch nicht gemeint, daß der
vormalige Staatssecretär König Ferdinand's V. die Hand bei der Ermordung des
Grafen Latour mit im Spiele hatte. Die Untersuchungsacten über diesen faulen
Fleck ruhen noch immer im Schooße des Militärgerichts zu Wien; und sind auch
die Güter Pulszky's und seiner Frau bisher noch immer sequestrirt, so bleibt es
doch auffallend, daß sein Name in der Liste der Hauptvroscribirren nicht genannt,
daß er nicht steckbrieflich wie die Uebrigen verfolgt, ja daß bis auf den heutigen
Tag nicht einmal eine Untersuchung wegen Hochverrath gegen ihn eingeleitet
wurde. Man hat freilich ohne Erfolg in Ungarn nach dem Documente gestöbert,
welches Pulszky im Namen der ungarischen Regierung'zum Agenten für London
ernannt, aber der Umstand, daß dieses armselige Papier nicht gefunden wurde,
konnte allein unmöglich der Grund sein, warum man dem declarirteu envo^e Kossuth's
nicht den Proceß machte. Die östreichische Regierung wird sich ein weiteres nutz¬
loses Suchen ersparen. Das Kreditiv befindet sich in London, in Pulszky's Hän-
den, und er ist so sehr entfernt, seine Theilnahme an der Revolution zu leugnen,
daß er, aus Verlangen, eine Copie oder auch das Original mit Vergnügen der



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[0393] gestützt. Es wurde vom Sturme der nachfolgenden Ereignisse verweht; mit ihm war die literarische Thätigkeit des Redacteurs in Ungarn zu Ende. Pastor Wimmer kam nach England, nachdem er in Berlin vergebens ver¬ sucht hatte, seinen früheren Gönner, den König von Preußen, für die Sache Ungarns zu interessiren. Der Bibelmann fand in Sans-souci verschlossene Thüre«; die Herren von Manteuffel und Hinkeldey ließen ihn an der Spree nicht festen Fuß fassen, und Pastor Wimmer ging mit seiner Tochter nach Ame¬ rika, wo ihm eine geistliche Pfründe über die leiblichen Bedürfnisse des Lebens hinweghelfen soll.*) — Die Stellung und Thätigkeit Pulszky's während der Zeit der ungarischen Erhebung ist sattsam bekannt. Wenige Menschen, welche in derselben eine Rolle spielten, ja vielleicht Keiner von Allen kann sich so vieler erbitterter Feinde rühmen als er. Am Kaiserhofe zu Wien, in den Bureaus der Minister und speciell in dem Herzen des Herrn Dr. Bach, in den loyalen, sogenannten schwarzgelben Kreisen der Residenz und in den Quartieren der Officiere ist der Name Pulszky's zehnmal verhaßter als der Kossuth's, Bem's, Perczel's, Szemere's und all der anderen „Rebellen", die noch leben oder vom Leben zum Tode gebracht wurden. Der Grund dieses Hasses liegt in der psychologischen Eigenthümlichkeit der mensch¬ lichen Natur, den offenen Feind weniger zu fürchten, ihm leichter zu verzeihen, als dem unsichtbaren Gegner, der nirgend sichtbar, niemals zu fassen, auf keine Weise eines thatsächlichen Verbrechens zu überführen, und dennoch rödtend, ver¬ nichtend wirkt. Es sei damit durchaus nicht gesagt, daß Herr v. Pulszky ein Mörder oder Giftmischer sei, es sei bei Leibe damit auch nicht gemeint, daß der vormalige Staatssecretär König Ferdinand's V. die Hand bei der Ermordung des Grafen Latour mit im Spiele hatte. Die Untersuchungsacten über diesen faulen Fleck ruhen noch immer im Schooße des Militärgerichts zu Wien; und sind auch die Güter Pulszky's und seiner Frau bisher noch immer sequestrirt, so bleibt es doch auffallend, daß sein Name in der Liste der Hauptvroscribirren nicht genannt, daß er nicht steckbrieflich wie die Uebrigen verfolgt, ja daß bis auf den heutigen Tag nicht einmal eine Untersuchung wegen Hochverrath gegen ihn eingeleitet wurde. Man hat freilich ohne Erfolg in Ungarn nach dem Documente gestöbert, welches Pulszky im Namen der ungarischen Regierung'zum Agenten für London ernannt, aber der Umstand, daß dieses armselige Papier nicht gefunden wurde, konnte allein unmöglich der Grund sein, warum man dem declarirteu envo^e Kossuth's nicht den Proceß machte. Die östreichische Regierung wird sich ein weiteres nutz¬ loses Suchen ersparen. Das Kreditiv befindet sich in London, in Pulszky's Hän- den, und er ist so sehr entfernt, seine Theilnahme an der Revolution zu leugnen, daß er, aus Verlangen, eine Copie oder auch das Original mit Vergnügen der Es heißt, daß er vor Kurzem wieder nach Europa zurückgekehrt sei. Grenzboten. IV. 1850.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/393>, abgerufen am 22.07.2024.