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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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für die betreffende Angelegenheit in Bewegung zu setzen, und vergebens bemühten
sich die Weber, eine Uutersuchuugscommisswu zu erzwingen.

Während dem Win der Herbst. Die Kläger konnten in ihrer Lage un¬
möglich länger verharren. Es blieb ihnen nichts übrig, als die Grnudherrschast
der Frau v. D. zu verlassen, und ein Glück war eS für sie, daß ihnen in der
von Sobieöti gestifteten deutscheu Colonie am Wieprzflnß Aufnahme gewährt
wurde. Sie hatten Alles eingebüßt, nebenbei anch den Glauben an eine Justiz
in Polen. Zwei Jahre später sprach ich eiuen der verunglückten Tuchweber in
Ludim. Nach seiner Mittheilung befand sich der Proceß uoch völlig in demselben
Zustande und war uicht um deu kleiusten Schritt vorwärts gerückt. "Beim Gu-
bernialgericht," sprach der ehrliche Bursch kopfschüttelnd, "ist gerade gar nichts
auszuwirken. Es scheint auf die Sache gar nicht eingehen zu wollen, entweder
weil die Beamten alle von den Geldgeschenken der Frau v. D. zu Dank ver¬
pflichtet worden sind, oder weil sie die Freundschaft dieser reichen Fran nicht der
Freundschaft mit armen verunglücktem Handwerkern aufopfern wollen. Nach der
Uebersiedlung in ein anderes Gubernium sei vollends gar nichts mehr anzufangen,
und sie, die Kläger, seien uur froh, daß das Gericht uicht darau denke, eine
Kostenliqnidation zu macheu. Doch haben sie die Absicht uoch uicht aufgegeben,
die Klage dem Fürsten Paskewicz vorzulegen; freilich sei auch der Glaube an den
Erfolg dieses Schrittes sehr schwach, sonst würde man ihn schon unternommen
haben." -- Es schien deu ehrlichen Deutschen ein schwermüthiger Trost zu sein,
daß sie doch noch eine kleine Hoffnung hatten, ihr Recht zu finden, und um diese
behagliche Aussicht uicht zu verlieren, zogen sie es vor, beim Fürsten Statthalter
lieber nicht zu klagen.

ES war in deu ersten Jahren des vorigen Jahrzehntes, als der Inhaber von
fünf Dörfern und einem Städtchen im Gubernium S. einen deutschen Hauslehrer
engagirte. Das bedungene Honorar betrug für'ö Jahr 3,000 Gulden (300 Thlr.).
Drei Jahre erfüllte der Hauslehrer seine contractliche Dienstpflicht, erhielt aber
während dieser Zeit von seinem Gehalt mir 2,000 Gulden in drei verschiedenen
Summen. Am Eude des dritten Jahres betrug daher die Schuld des Herrn
v. W. 7,000 Gulden. Die beiden Zöglinge waren so weit, daß der Gutsherr
den Hauslehrer entbehren konnte, um so mehr, da er die Söhne nach Petersburg
zu schicken beabsichtigte. Sein Wunsch war nun, dem Hauslehrer deu Abschied
zu geben, ohne dadurch seiner Casse einen Schaden zuzufügen. Er suchte deshalb
Zank, und der war leicht herbeizuführen, da die nichtswürdige Behandlung des
Gesindes und der Bauern den Hauslehrer öfter zu veranlassen pflegte, die ge¬
mißhandelten Leute zu vertheidigen. Ein Bauer, welcher die Grnndherrschaft ver¬
lassen und sich auf die Besitzung eines Postmeisters übersiedeln wollte, gab die
Veranlassung. Er wurde furchtbar zerhaue", wie ein Züchtling seiner Haare be¬
raubt und nackend mit einer um den Hals geschlungenen Kette vor der Thüre


für die betreffende Angelegenheit in Bewegung zu setzen, und vergebens bemühten
sich die Weber, eine Uutersuchuugscommisswu zu erzwingen.

Während dem Win der Herbst. Die Kläger konnten in ihrer Lage un¬
möglich länger verharren. Es blieb ihnen nichts übrig, als die Grnudherrschast
der Frau v. D. zu verlassen, und ein Glück war eS für sie, daß ihnen in der
von Sobieöti gestifteten deutscheu Colonie am Wieprzflnß Aufnahme gewährt
wurde. Sie hatten Alles eingebüßt, nebenbei anch den Glauben an eine Justiz
in Polen. Zwei Jahre später sprach ich eiuen der verunglückten Tuchweber in
Ludim. Nach seiner Mittheilung befand sich der Proceß uoch völlig in demselben
Zustande und war uicht um deu kleiusten Schritt vorwärts gerückt. „Beim Gu-
bernialgericht," sprach der ehrliche Bursch kopfschüttelnd, „ist gerade gar nichts
auszuwirken. Es scheint auf die Sache gar nicht eingehen zu wollen, entweder
weil die Beamten alle von den Geldgeschenken der Frau v. D. zu Dank ver¬
pflichtet worden sind, oder weil sie die Freundschaft dieser reichen Fran nicht der
Freundschaft mit armen verunglücktem Handwerkern aufopfern wollen. Nach der
Uebersiedlung in ein anderes Gubernium sei vollends gar nichts mehr anzufangen,
und sie, die Kläger, seien uur froh, daß das Gericht uicht darau denke, eine
Kostenliqnidation zu macheu. Doch haben sie die Absicht uoch uicht aufgegeben,
die Klage dem Fürsten Paskewicz vorzulegen; freilich sei auch der Glaube an den
Erfolg dieses Schrittes sehr schwach, sonst würde man ihn schon unternommen
haben." — Es schien deu ehrlichen Deutschen ein schwermüthiger Trost zu sein,
daß sie doch noch eine kleine Hoffnung hatten, ihr Recht zu finden, und um diese
behagliche Aussicht uicht zu verlieren, zogen sie es vor, beim Fürsten Statthalter
lieber nicht zu klagen.

ES war in deu ersten Jahren des vorigen Jahrzehntes, als der Inhaber von
fünf Dörfern und einem Städtchen im Gubernium S. einen deutschen Hauslehrer
engagirte. Das bedungene Honorar betrug für'ö Jahr 3,000 Gulden (300 Thlr.).
Drei Jahre erfüllte der Hauslehrer seine contractliche Dienstpflicht, erhielt aber
während dieser Zeit von seinem Gehalt mir 2,000 Gulden in drei verschiedenen
Summen. Am Eude des dritten Jahres betrug daher die Schuld des Herrn
v. W. 7,000 Gulden. Die beiden Zöglinge waren so weit, daß der Gutsherr
den Hauslehrer entbehren konnte, um so mehr, da er die Söhne nach Petersburg
zu schicken beabsichtigte. Sein Wunsch war nun, dem Hauslehrer deu Abschied
zu geben, ohne dadurch seiner Casse einen Schaden zuzufügen. Er suchte deshalb
Zank, und der war leicht herbeizuführen, da die nichtswürdige Behandlung des
Gesindes und der Bauern den Hauslehrer öfter zu veranlassen pflegte, die ge¬
mißhandelten Leute zu vertheidigen. Ein Bauer, welcher die Grnndherrschaft ver¬
lassen und sich auf die Besitzung eines Postmeisters übersiedeln wollte, gab die
Veranlassung. Er wurde furchtbar zerhaue«, wie ein Züchtling seiner Haare be¬
raubt und nackend mit einer um den Hals geschlungenen Kette vor der Thüre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/354>, abgerufen am 22.07.2024.