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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Die Siaatsregiernng Sachsens und die einundzwanzig
Professoren. Von einem aus ihrer Mitte.

Es ist nicht gut, wenn man zu geistreich ist; wenn man es nicht möglich
machen kann, seinen "Geist" wenigstens auf einen Augenblick bei Seite zu legen.
Denn eS gibt Verhältnisse, in denen lediglich der gesunde Menschenverstand und
das Rechtsgefühl zu entscheiden haben; in denen jede Einmischung philosophischer
Reflexionen die Sache verwirrt. -- So ist es dem Verfasser der vorliegenden
Schrift ergangen. Er hat sich durch die Mannigfaltigkeit seiner Gesichtspunkte
so verwirren lassen, daß er nicht nnr alle Parteien mit gleicher Ungerechtigkeit be¬
handelt, sondern daß man anch, wenn man nicht wüßte, daß man es mit einem
Ehrenmann zu thun hat, auf die seltsamsten Ideen über seine eigne Handlungs¬
weise kommen müßte. --

Der Streitpunkt, um den es sich zwischen der Regierung und dem Senat
einzig und allein handeln kann, ist der Nechtspnnkt. Die Negierung hat sich
für berechtigt gehalten, die Rechtögiltigkeit der letzten Verfassung ans formalen und
materiellen Gründen anzufechten und demnach die vorige Verfassung wieder in
Kraft treten zu lassen; sie hat folgerichtig den Senat für verpflichtet gehalten, das
nach derselben ihm zustehende Wahlrecht auszuüben.

Der Senat im Gegentheil (ich sage: Senat, denn der Wille einer Cor¬
poration kann nur dnrch die in rechtmäßiger Abstimmung sich ergebende Majorität
ausgedrückt werden), der Senat hat die Regierung nicht für berechtigt gehalten,
die Nechtsungiltigkeit der letzten Verfassung auszusprechen, und folgerichtig sich für
verpflichtet, an einem nach seiner Ansicht rechtswidrigen Schritt keinen Theil zu
nehmen.

Die Einfachheit dieses Rechtsstreits wird nicht durch die allgemeine Betrach-
tung alterirt, daß in Fällen, wo es sich um unser Wohl und Wehe handelt, das
Recht erst durch Motive politischer Opportunist Fleisch und Blut erhält. Diese
mitwirkenden Motive bleiben der Seele des Einzelnen anheimgestellt; zur Fällung
des Urtheils können sie nichts beitragen. Wieviel in diesem Fall der Einzelne
dnrch politische Erwägung bestimmt worden ist, den Rechtsboden mit Energie zu
behaupten, hat auf das Urtheil darüber keinen Einfluß; die Negierung hat sich
ans deu Rechtsboden gestützt, der Senat, der nnr insoweit politische Corporation
ist, als die Verfassung es präcisirt, d. h. nur als Wahlkörper sür die erste
Kammer der Verfassung von 1831, hatte sich einzig und allein die Frage vorzu¬
legen: sind wir noch dieser Wahlkörper? d. h. besteht die Verfassung von 1831
noch zu Recht? -- Ließ er seine Renitenz aus irgend welchen andern politischen


Die Siaatsregiernng Sachsens und die einundzwanzig
Professoren. Von einem aus ihrer Mitte.

Es ist nicht gut, wenn man zu geistreich ist; wenn man es nicht möglich
machen kann, seinen „Geist" wenigstens auf einen Augenblick bei Seite zu legen.
Denn eS gibt Verhältnisse, in denen lediglich der gesunde Menschenverstand und
das Rechtsgefühl zu entscheiden haben; in denen jede Einmischung philosophischer
Reflexionen die Sache verwirrt. — So ist es dem Verfasser der vorliegenden
Schrift ergangen. Er hat sich durch die Mannigfaltigkeit seiner Gesichtspunkte
so verwirren lassen, daß er nicht nnr alle Parteien mit gleicher Ungerechtigkeit be¬
handelt, sondern daß man anch, wenn man nicht wüßte, daß man es mit einem
Ehrenmann zu thun hat, auf die seltsamsten Ideen über seine eigne Handlungs¬
weise kommen müßte. —

Der Streitpunkt, um den es sich zwischen der Regierung und dem Senat
einzig und allein handeln kann, ist der Nechtspnnkt. Die Negierung hat sich
für berechtigt gehalten, die Rechtögiltigkeit der letzten Verfassung ans formalen und
materiellen Gründen anzufechten und demnach die vorige Verfassung wieder in
Kraft treten zu lassen; sie hat folgerichtig den Senat für verpflichtet gehalten, das
nach derselben ihm zustehende Wahlrecht auszuüben.

Der Senat im Gegentheil (ich sage: Senat, denn der Wille einer Cor¬
poration kann nur dnrch die in rechtmäßiger Abstimmung sich ergebende Majorität
ausgedrückt werden), der Senat hat die Regierung nicht für berechtigt gehalten,
die Nechtsungiltigkeit der letzten Verfassung auszusprechen, und folgerichtig sich für
verpflichtet, an einem nach seiner Ansicht rechtswidrigen Schritt keinen Theil zu
nehmen.

Die Einfachheit dieses Rechtsstreits wird nicht durch die allgemeine Betrach-
tung alterirt, daß in Fällen, wo es sich um unser Wohl und Wehe handelt, das
Recht erst durch Motive politischer Opportunist Fleisch und Blut erhält. Diese
mitwirkenden Motive bleiben der Seele des Einzelnen anheimgestellt; zur Fällung
des Urtheils können sie nichts beitragen. Wieviel in diesem Fall der Einzelne
dnrch politische Erwägung bestimmt worden ist, den Rechtsboden mit Energie zu
behaupten, hat auf das Urtheil darüber keinen Einfluß; die Negierung hat sich
ans deu Rechtsboden gestützt, der Senat, der nnr insoweit politische Corporation
ist, als die Verfassung es präcisirt, d. h. nur als Wahlkörper sür die erste
Kammer der Verfassung von 1831, hatte sich einzig und allein die Frage vorzu¬
legen: sind wir noch dieser Wahlkörper? d. h. besteht die Verfassung von 1831
noch zu Recht? — Ließ er seine Renitenz aus irgend welchen andern politischen


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[0341] Die Siaatsregiernng Sachsens und die einundzwanzig Professoren. Von einem aus ihrer Mitte. Es ist nicht gut, wenn man zu geistreich ist; wenn man es nicht möglich machen kann, seinen „Geist" wenigstens auf einen Augenblick bei Seite zu legen. Denn eS gibt Verhältnisse, in denen lediglich der gesunde Menschenverstand und das Rechtsgefühl zu entscheiden haben; in denen jede Einmischung philosophischer Reflexionen die Sache verwirrt. — So ist es dem Verfasser der vorliegenden Schrift ergangen. Er hat sich durch die Mannigfaltigkeit seiner Gesichtspunkte so verwirren lassen, daß er nicht nnr alle Parteien mit gleicher Ungerechtigkeit be¬ handelt, sondern daß man anch, wenn man nicht wüßte, daß man es mit einem Ehrenmann zu thun hat, auf die seltsamsten Ideen über seine eigne Handlungs¬ weise kommen müßte. — Der Streitpunkt, um den es sich zwischen der Regierung und dem Senat einzig und allein handeln kann, ist der Nechtspnnkt. Die Negierung hat sich für berechtigt gehalten, die Rechtögiltigkeit der letzten Verfassung ans formalen und materiellen Gründen anzufechten und demnach die vorige Verfassung wieder in Kraft treten zu lassen; sie hat folgerichtig den Senat für verpflichtet gehalten, das nach derselben ihm zustehende Wahlrecht auszuüben. Der Senat im Gegentheil (ich sage: Senat, denn der Wille einer Cor¬ poration kann nur dnrch die in rechtmäßiger Abstimmung sich ergebende Majorität ausgedrückt werden), der Senat hat die Regierung nicht für berechtigt gehalten, die Nechtsungiltigkeit der letzten Verfassung auszusprechen, und folgerichtig sich für verpflichtet, an einem nach seiner Ansicht rechtswidrigen Schritt keinen Theil zu nehmen. Die Einfachheit dieses Rechtsstreits wird nicht durch die allgemeine Betrach- tung alterirt, daß in Fällen, wo es sich um unser Wohl und Wehe handelt, das Recht erst durch Motive politischer Opportunist Fleisch und Blut erhält. Diese mitwirkenden Motive bleiben der Seele des Einzelnen anheimgestellt; zur Fällung des Urtheils können sie nichts beitragen. Wieviel in diesem Fall der Einzelne dnrch politische Erwägung bestimmt worden ist, den Rechtsboden mit Energie zu behaupten, hat auf das Urtheil darüber keinen Einfluß; die Negierung hat sich ans deu Rechtsboden gestützt, der Senat, der nnr insoweit politische Corporation ist, als die Verfassung es präcisirt, d. h. nur als Wahlkörper sür die erste Kammer der Verfassung von 1831, hatte sich einzig und allein die Frage vorzu¬ legen: sind wir noch dieser Wahlkörper? d. h. besteht die Verfassung von 1831 noch zu Recht? — Ließ er seine Renitenz aus irgend welchen andern politischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/341>, abgerufen am 23.06.2024.