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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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nur, wie fest es in ihm selber wurzelt. Die Heiligenbilder der Menschheit sind
auch die seinigen, in seinem Leben wie in seiner Dichtung hat er sie zuweilen
angetastet, aber stets mit dem Gefühl, daß er eigentlich einen Frevel begehe.
Die Stärke des Blutes und der Ernst des Gewissens cvllidireu mit einander;
bald spricht das Eine, bald das Andere, aber immer ist der Streit lebhaft genug,
um eine tragische Stimmung hervorzurufen.

Bei Heine ist das Gewissen vollkommen inhaltlos; er hat kein Heiligthum,
an dem seiue Leidenschaft Kirchenraub begehen könnte, und ehrlich gesagt, mit
seiner Leidenschaft ist es auch nicht weit her. Er ist kein Räuber und Mörder,
obgleich er mitunter dafür gelten möchte. Daß ein sentimentaler Kaufmannsjüng¬
ling, indem er sich vor seiner Schönen auf ein Knie niederläßt, statt der Er¬
klärungen aus Alberti's Complimentirbuch eine originelle wagt, in welcher er
seine eigene Empfindung irouisirt, "Madame, ich liebe Sie," u. s. w., ist noch
kein übertriebener Heroismus. Wenn er einen gewaltigen Anlauf nimmt, wie
z. B. in der Götterdämmerung, so sieht man wohl, daß seine Phantasie fähig ist,
sich in schmutzigen Bildern zu ergehen, aber man sieht nicht die Nothwendigkeit
davon, man merkt, daß nicht innerliche Wildheit, sondern die bloße Eitelkeit,
Aufsehen zu erregen, ihn in den Sumpf treibt.

Wie seiue Frivolität, so ist auch sein Pathos eine Lüge. Es ist in dieser
hohlen Seele keine Liebe und kein Haß. Nicht seiue Cyuismeu, sondern die
Koketterie, mit der er mitunter ein salbungsvolles, leidendes Christnsgesicht auf¬
steckt, um über Unschuld und Tugend, über Liebe und Ehre, über Freiheit und
Vaterland zu declamiren. Es ist Beides, Frivolität und Pcithoö, auf seiue ur¬
sprünglichen Standesgenossen berechnet, die Philister des Comptoirs, denen Beides
neu ist, Beides imponirt.

Heine hat zwar die romantische Schule den Frauzosen gegeuüber in mit¬
unter ganz treffenden Aperyus lächerlich gemacht, aber er nenut seinen "Atta
Troll" in der Dedication an Larnhagen selber "das letzte Waldlied der Ro¬
mantik". Mit Recht. Seine Poesie enthält die einzige Wendung, welche der
Romantik uoch übrig blieb. Das Ergötzen an einem leeren Klingklang, zu dem
mau sich gezogen fühlt, gerade weil mau ihn uicht versteht, mußte zuletzt dahin
führen, daß man in demselben Augenblick über das Mysterium lacht, wo man
davor schaudert -- ein Fortschritt, den zu machen Friedrich Schlegel nur durch
seiue Pedanterie gehindert wurde. In der Lucinde z. B. ist der Zopf zu sichtbar,
als daß man die tollen Capricciosprünge für natürlich nehmen sollte.

Bei Heine sind diese Sprünge vollständige Natur. Er hat die confuse
Bildung des Nestauratiousalters nicht, wie seine nächsten Vorbilder, mit dem
Fleiß eines über die neuen Vorstellungen erstaunten Gelehrten, souderu mit der
Nachlässigkeit eines unbeschäftigten, aber empfänglichen und leicht beweglichen Di¬
lettanten ausgenommen. Seine Phantasie ist ein Kaleidoskop, in welchem die


nur, wie fest es in ihm selber wurzelt. Die Heiligenbilder der Menschheit sind
auch die seinigen, in seinem Leben wie in seiner Dichtung hat er sie zuweilen
angetastet, aber stets mit dem Gefühl, daß er eigentlich einen Frevel begehe.
Die Stärke des Blutes und der Ernst des Gewissens cvllidireu mit einander;
bald spricht das Eine, bald das Andere, aber immer ist der Streit lebhaft genug,
um eine tragische Stimmung hervorzurufen.

Bei Heine ist das Gewissen vollkommen inhaltlos; er hat kein Heiligthum,
an dem seiue Leidenschaft Kirchenraub begehen könnte, und ehrlich gesagt, mit
seiner Leidenschaft ist es auch nicht weit her. Er ist kein Räuber und Mörder,
obgleich er mitunter dafür gelten möchte. Daß ein sentimentaler Kaufmannsjüng¬
ling, indem er sich vor seiner Schönen auf ein Knie niederläßt, statt der Er¬
klärungen aus Alberti's Complimentirbuch eine originelle wagt, in welcher er
seine eigene Empfindung irouisirt, „Madame, ich liebe Sie," u. s. w., ist noch
kein übertriebener Heroismus. Wenn er einen gewaltigen Anlauf nimmt, wie
z. B. in der Götterdämmerung, so sieht man wohl, daß seine Phantasie fähig ist,
sich in schmutzigen Bildern zu ergehen, aber man sieht nicht die Nothwendigkeit
davon, man merkt, daß nicht innerliche Wildheit, sondern die bloße Eitelkeit,
Aufsehen zu erregen, ihn in den Sumpf treibt.

Wie seiue Frivolität, so ist auch sein Pathos eine Lüge. Es ist in dieser
hohlen Seele keine Liebe und kein Haß. Nicht seiue Cyuismeu, sondern die
Koketterie, mit der er mitunter ein salbungsvolles, leidendes Christnsgesicht auf¬
steckt, um über Unschuld und Tugend, über Liebe und Ehre, über Freiheit und
Vaterland zu declamiren. Es ist Beides, Frivolität und Pcithoö, auf seiue ur¬
sprünglichen Standesgenossen berechnet, die Philister des Comptoirs, denen Beides
neu ist, Beides imponirt.

Heine hat zwar die romantische Schule den Frauzosen gegeuüber in mit¬
unter ganz treffenden Aperyus lächerlich gemacht, aber er nenut seinen „Atta
Troll" in der Dedication an Larnhagen selber „das letzte Waldlied der Ro¬
mantik". Mit Recht. Seine Poesie enthält die einzige Wendung, welche der
Romantik uoch übrig blieb. Das Ergötzen an einem leeren Klingklang, zu dem
mau sich gezogen fühlt, gerade weil mau ihn uicht versteht, mußte zuletzt dahin
führen, daß man in demselben Augenblick über das Mysterium lacht, wo man
davor schaudert — ein Fortschritt, den zu machen Friedrich Schlegel nur durch
seiue Pedanterie gehindert wurde. In der Lucinde z. B. ist der Zopf zu sichtbar,
als daß man die tollen Capricciosprünge für natürlich nehmen sollte.

Bei Heine sind diese Sprünge vollständige Natur. Er hat die confuse
Bildung des Nestauratiousalters nicht, wie seine nächsten Vorbilder, mit dem
Fleiß eines über die neuen Vorstellungen erstaunten Gelehrten, souderu mit der
Nachlässigkeit eines unbeschäftigten, aber empfänglichen und leicht beweglichen Di¬
lettanten ausgenommen. Seine Phantasie ist ein Kaleidoskop, in welchem die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/332>, abgerufen am 22.07.2024.