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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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für möglich halte, den Krieg gegen eine augenscheinliche Uebermacht auf die ganz
gewöhnliche Weise führen zu können, einen Krieg, in dem es sich um die Existenz
des Staates und deu Wohlstand einer ganzen Generation handelte; ob es nicht
die Pflicht der Selbsterhaltung gehste, dasjenige Mittel anzuwenden, auf welches
die liberale Partei schon so lange hingewiesen hatte, nämlich die Fahne des freien,
constitutionellen Systems gegen den Despotismus aufzupflanzen. Man konnte
das Ministerium fragen, ob es sich nach seinen Antecedentien für den geeigneten
Vertreter dieses Systems hielte, und ob nicht die erste patriotische That, welche
das Wohl Preußens von ihm erforderte, seine eigene Aufopferung wäre.

Allein man konnte in diesem Fall ein Ange zudrücken; denn wenn man sich
rücksichtslos auf das Gebiet der Thatsachen begab, so war mit ziemlicher Be¬
stimmtheit vorauszusehen, daß eine Folge die andere nach sich ziehen müsse.

Aber das kounte man freilich nicht einmal bei einem Manteuffel voraussehen,
daß er unmittelbar nach dem Kriegsgeschrei damit anfangen würde, denjenigen
Punkt freiwillig aufzugeben, deu er uicht nur in einer Zeit, wo der Unruhstifter
Nadowitz noch über ihn dominirte, sondern nach Entfernung desselben, als einzigen
Grund des Krieges bezeichnet hatte: den Schutz Kurhesseus gegen die angeblichen
Bundestruppen; ihn aufzugeben, nachdem das ungeheure Opfer der Mobilisierung
der Armee bereits gebracht, das erste Blut bereits geflossen war. Das ist doch
die sonderbarste Art von der Welt, Preußens Ehre zu wahren.

Daß aber die Räumung Fulda's nicht eine blos strategische Maßregel, daß
sie ein politischer Schritt ist, kann man ans jeder Zeile der Deutschen Reform
herauslesen. Sie winselt wieder ebenso wie an jenem Tage, als Nadowitz ge¬
stürzt wurde, und die Blätter der Liga sprechen wieder ebenso human und milde
von Preußen, als damals.

Zwar wird voraussichtlich in einigen Tagen wieder ein furchtbares Geschrei
vou der preußischen Ehre gemacht werden, denn das Ministerium geht nie in gerader
Linie, es läßt sich, da es den Grund seines Handelns nicht in sich selbst findet,
durch jede Stimmung leiten, die von dieser oder jener Seite vernehmlich genng
ans es eindringt. Aber es wird dadurch seine Lage zu deu Verhandlungen nnr
erschweren, so wie es jetzt schou uicht hoffen darf, daß ihm die fünf erschossenen
Oestreicher geschenkt sein werden; zum Krieg wird es wenigstens durch seinen
Willen nicht kommen -- denn es handelt sich nicht um einen Gegensatz des Wil¬
lens, souderu um bloße kleinliche Rancune -- falls nicht der Krieg, wie es gar
nicht unmöglich ist, wider den Willen der Betheiligten durch sich selbst entbrennt.

Wir dürfen uns nicht verschweigen, daß wir die Freude über einen im
Princip vou uns völlig gebilligten Krieg nnr mit halbem Herzen empfanden.
Ein Krieg ist kein Kinderspiel, am wenigsten ein Bürgerkrieg; wenn man um
höherer Ideen willen ihn eingeht, so will man wenigstens, daß er mit einem
klaren, leitenden Verstand geführt werde; daß, wenn man bei einem üblen Ausgang


für möglich halte, den Krieg gegen eine augenscheinliche Uebermacht auf die ganz
gewöhnliche Weise führen zu können, einen Krieg, in dem es sich um die Existenz
des Staates und deu Wohlstand einer ganzen Generation handelte; ob es nicht
die Pflicht der Selbsterhaltung gehste, dasjenige Mittel anzuwenden, auf welches
die liberale Partei schon so lange hingewiesen hatte, nämlich die Fahne des freien,
constitutionellen Systems gegen den Despotismus aufzupflanzen. Man konnte
das Ministerium fragen, ob es sich nach seinen Antecedentien für den geeigneten
Vertreter dieses Systems hielte, und ob nicht die erste patriotische That, welche
das Wohl Preußens von ihm erforderte, seine eigene Aufopferung wäre.

Allein man konnte in diesem Fall ein Ange zudrücken; denn wenn man sich
rücksichtslos auf das Gebiet der Thatsachen begab, so war mit ziemlicher Be¬
stimmtheit vorauszusehen, daß eine Folge die andere nach sich ziehen müsse.

Aber das kounte man freilich nicht einmal bei einem Manteuffel voraussehen,
daß er unmittelbar nach dem Kriegsgeschrei damit anfangen würde, denjenigen
Punkt freiwillig aufzugeben, deu er uicht nur in einer Zeit, wo der Unruhstifter
Nadowitz noch über ihn dominirte, sondern nach Entfernung desselben, als einzigen
Grund des Krieges bezeichnet hatte: den Schutz Kurhesseus gegen die angeblichen
Bundestruppen; ihn aufzugeben, nachdem das ungeheure Opfer der Mobilisierung
der Armee bereits gebracht, das erste Blut bereits geflossen war. Das ist doch
die sonderbarste Art von der Welt, Preußens Ehre zu wahren.

Daß aber die Räumung Fulda's nicht eine blos strategische Maßregel, daß
sie ein politischer Schritt ist, kann man ans jeder Zeile der Deutschen Reform
herauslesen. Sie winselt wieder ebenso wie an jenem Tage, als Nadowitz ge¬
stürzt wurde, und die Blätter der Liga sprechen wieder ebenso human und milde
von Preußen, als damals.

Zwar wird voraussichtlich in einigen Tagen wieder ein furchtbares Geschrei
vou der preußischen Ehre gemacht werden, denn das Ministerium geht nie in gerader
Linie, es läßt sich, da es den Grund seines Handelns nicht in sich selbst findet,
durch jede Stimmung leiten, die von dieser oder jener Seite vernehmlich genng
ans es eindringt. Aber es wird dadurch seine Lage zu deu Verhandlungen nnr
erschweren, so wie es jetzt schou uicht hoffen darf, daß ihm die fünf erschossenen
Oestreicher geschenkt sein werden; zum Krieg wird es wenigstens durch seinen
Willen nicht kommen — denn es handelt sich nicht um einen Gegensatz des Wil¬
lens, souderu um bloße kleinliche Rancune — falls nicht der Krieg, wie es gar
nicht unmöglich ist, wider den Willen der Betheiligten durch sich selbst entbrennt.

Wir dürfen uns nicht verschweigen, daß wir die Freude über einen im
Princip vou uns völlig gebilligten Krieg nnr mit halbem Herzen empfanden.
Ein Krieg ist kein Kinderspiel, am wenigsten ein Bürgerkrieg; wenn man um
höherer Ideen willen ihn eingeht, so will man wenigstens, daß er mit einem
klaren, leitenden Verstand geführt werde; daß, wenn man bei einem üblen Ausgang


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[0317] für möglich halte, den Krieg gegen eine augenscheinliche Uebermacht auf die ganz gewöhnliche Weise führen zu können, einen Krieg, in dem es sich um die Existenz des Staates und deu Wohlstand einer ganzen Generation handelte; ob es nicht die Pflicht der Selbsterhaltung gehste, dasjenige Mittel anzuwenden, auf welches die liberale Partei schon so lange hingewiesen hatte, nämlich die Fahne des freien, constitutionellen Systems gegen den Despotismus aufzupflanzen. Man konnte das Ministerium fragen, ob es sich nach seinen Antecedentien für den geeigneten Vertreter dieses Systems hielte, und ob nicht die erste patriotische That, welche das Wohl Preußens von ihm erforderte, seine eigene Aufopferung wäre. Allein man konnte in diesem Fall ein Ange zudrücken; denn wenn man sich rücksichtslos auf das Gebiet der Thatsachen begab, so war mit ziemlicher Be¬ stimmtheit vorauszusehen, daß eine Folge die andere nach sich ziehen müsse. Aber das kounte man freilich nicht einmal bei einem Manteuffel voraussehen, daß er unmittelbar nach dem Kriegsgeschrei damit anfangen würde, denjenigen Punkt freiwillig aufzugeben, deu er uicht nur in einer Zeit, wo der Unruhstifter Nadowitz noch über ihn dominirte, sondern nach Entfernung desselben, als einzigen Grund des Krieges bezeichnet hatte: den Schutz Kurhesseus gegen die angeblichen Bundestruppen; ihn aufzugeben, nachdem das ungeheure Opfer der Mobilisierung der Armee bereits gebracht, das erste Blut bereits geflossen war. Das ist doch die sonderbarste Art von der Welt, Preußens Ehre zu wahren. Daß aber die Räumung Fulda's nicht eine blos strategische Maßregel, daß sie ein politischer Schritt ist, kann man ans jeder Zeile der Deutschen Reform herauslesen. Sie winselt wieder ebenso wie an jenem Tage, als Nadowitz ge¬ stürzt wurde, und die Blätter der Liga sprechen wieder ebenso human und milde von Preußen, als damals. Zwar wird voraussichtlich in einigen Tagen wieder ein furchtbares Geschrei vou der preußischen Ehre gemacht werden, denn das Ministerium geht nie in gerader Linie, es läßt sich, da es den Grund seines Handelns nicht in sich selbst findet, durch jede Stimmung leiten, die von dieser oder jener Seite vernehmlich genng ans es eindringt. Aber es wird dadurch seine Lage zu deu Verhandlungen nnr erschweren, so wie es jetzt schou uicht hoffen darf, daß ihm die fünf erschossenen Oestreicher geschenkt sein werden; zum Krieg wird es wenigstens durch seinen Willen nicht kommen — denn es handelt sich nicht um einen Gegensatz des Wil¬ lens, souderu um bloße kleinliche Rancune — falls nicht der Krieg, wie es gar nicht unmöglich ist, wider den Willen der Betheiligten durch sich selbst entbrennt. Wir dürfen uns nicht verschweigen, daß wir die Freude über einen im Princip vou uns völlig gebilligten Krieg nnr mit halbem Herzen empfanden. Ein Krieg ist kein Kinderspiel, am wenigsten ein Bürgerkrieg; wenn man um höherer Ideen willen ihn eingeht, so will man wenigstens, daß er mit einem klaren, leitenden Verstand geführt werde; daß, wenn man bei einem üblen Ausgang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/317>, abgerufen am 22.07.2024.