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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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werksdirector Schwedcs und Oberst Weiß zu "provisorischen" Vorständen des
Innern, der Finanzen, des Kriegs erhoben; das Auswärtige versah einstweilen
Legationsrath v. Meyer. Die Abneigung gegen Wipp ermann scheint zu
jener Zeit an hoher Stelle noch nicht überwunden gewesen zu sein; doch wurde
er ans Eberhard's Verlangen als vortragender Rath in's Ministerium des Jnnern
gezogen und zum Landtagscommissar für den am 13. März wieder zusammentre¬
tender Landtag bestellt.

Die Hanauer Deputation fuhr am Abend des 11. März bei Fackelschein
triumphirend ab. Den Hanauer Bürgern oder vielmehr den damals aus ganz
Süddeutschland dort zusammengeströmten Abenteurern soll die Gewährung ihrer
dictatorischen Forderungen sehr überraschend, ja zum Theil sehr unwillkommen ge¬
wesen sein. Man feierte Sonntags den 12. März unter freiem Himmel einen
Dankgottesdienst. Ob neben deu Sünden der Fürsten anch die der Unterthanen
zur Sprache gekommen siud, weiß ich nicht. Die Namen der populären Minister
wurden im ganzen Lande mit Jubel begrüßt; doch äußerten viele besonnene
Freunde der Freiheit schon damals die Besorgniß, daß an den auf solche Weise
erpreßten Zugeständnissen ein Unsegen haften werde. Ohne Zweifel würde, sich
die Stellung des Märzmiuisteriums bedeutend gebessert haben, wenn sich ein Weg
hätte finden lassen, auf welchem dem Fürsten, gegenüber der durch die Hanauer
Adresse ihm zugefügten öffentlichen Kränkung, auch irgeud eine öffentliche Genug-
thuung hätte verschafft werden können.

Fassen wir nun zunächst den Mann in's Auge, nach welchem das März¬
ministerium gewöhnlich benannt worden ist, obgleich nicht er, vielmehr Wipper¬
mann der ausgezeichnetste staatsmännische Kopf und das beherrschende Princip in
diesem Cabinet gewesen zu sein scheint. Bernhard Eberhard, aus der Graf¬
schaft Hanau gebürtig, angehender Fünfziger, domo liovus, früher vielgesuchter
Obergerichtöauwalt, nachher Bürgermeister (seit Erlaß der Gemeindeordnung Ober¬
bürgermeister) in Hanau. Er war eins der einflußreichsten Mitglieder des con-
stituirenden Landtags, desgleichen Mitglied des langen Parlaments, nachher wieder¬
holt zum Deputirten gewählt; doch hatte er die Wahl zum letzten vormärzlichen
Landtag nicht angenommen, man sagt ans einer, allerdings wohl gerechtfertigten,
Sorge für die Zukunft seiner Kiuder. Als Landtagsabgeordneter hat er nicht blos
in Rechtsfragen, soudern auch in Budgetsachen, und als Mitglied des permanenten
Ausschusses die wichtigste Dienste geleistet, wirkte in gemäßigt-liberalem Sinne,
ging Hand in Hand mit Schönburg und Dedolph, stand indeß weiter nach links,
als sein Ministercollege Herr von Baumbach. Schon zwei Tage nach dem Be¬
kanntwerden der Februarrevolution wendete er sich mit dem Stadtrath in einer
loyalen Beschwerdeschrift an den Kurfürsten, ohne zu ahnen, zu welchen hoch¬
gespannter Forderungen er schou wenige Tage darauf würde fortgerissen werden.
Doch suchte er als Mitglied des Hanauer Volksansschnsses den Ungestüm der


Grenzboten. IV. !850. 98

werksdirector Schwedcs und Oberst Weiß zu „provisorischen" Vorständen des
Innern, der Finanzen, des Kriegs erhoben; das Auswärtige versah einstweilen
Legationsrath v. Meyer. Die Abneigung gegen Wipp ermann scheint zu
jener Zeit an hoher Stelle noch nicht überwunden gewesen zu sein; doch wurde
er ans Eberhard's Verlangen als vortragender Rath in's Ministerium des Jnnern
gezogen und zum Landtagscommissar für den am 13. März wieder zusammentre¬
tender Landtag bestellt.

Die Hanauer Deputation fuhr am Abend des 11. März bei Fackelschein
triumphirend ab. Den Hanauer Bürgern oder vielmehr den damals aus ganz
Süddeutschland dort zusammengeströmten Abenteurern soll die Gewährung ihrer
dictatorischen Forderungen sehr überraschend, ja zum Theil sehr unwillkommen ge¬
wesen sein. Man feierte Sonntags den 12. März unter freiem Himmel einen
Dankgottesdienst. Ob neben deu Sünden der Fürsten anch die der Unterthanen
zur Sprache gekommen siud, weiß ich nicht. Die Namen der populären Minister
wurden im ganzen Lande mit Jubel begrüßt; doch äußerten viele besonnene
Freunde der Freiheit schon damals die Besorgniß, daß an den auf solche Weise
erpreßten Zugeständnissen ein Unsegen haften werde. Ohne Zweifel würde, sich
die Stellung des Märzmiuisteriums bedeutend gebessert haben, wenn sich ein Weg
hätte finden lassen, auf welchem dem Fürsten, gegenüber der durch die Hanauer
Adresse ihm zugefügten öffentlichen Kränkung, auch irgeud eine öffentliche Genug-
thuung hätte verschafft werden können.

Fassen wir nun zunächst den Mann in's Auge, nach welchem das März¬
ministerium gewöhnlich benannt worden ist, obgleich nicht er, vielmehr Wipper¬
mann der ausgezeichnetste staatsmännische Kopf und das beherrschende Princip in
diesem Cabinet gewesen zu sein scheint. Bernhard Eberhard, aus der Graf¬
schaft Hanau gebürtig, angehender Fünfziger, domo liovus, früher vielgesuchter
Obergerichtöauwalt, nachher Bürgermeister (seit Erlaß der Gemeindeordnung Ober¬
bürgermeister) in Hanau. Er war eins der einflußreichsten Mitglieder des con-
stituirenden Landtags, desgleichen Mitglied des langen Parlaments, nachher wieder¬
holt zum Deputirten gewählt; doch hatte er die Wahl zum letzten vormärzlichen
Landtag nicht angenommen, man sagt ans einer, allerdings wohl gerechtfertigten,
Sorge für die Zukunft seiner Kiuder. Als Landtagsabgeordneter hat er nicht blos
in Rechtsfragen, soudern auch in Budgetsachen, und als Mitglied des permanenten
Ausschusses die wichtigste Dienste geleistet, wirkte in gemäßigt-liberalem Sinne,
ging Hand in Hand mit Schönburg und Dedolph, stand indeß weiter nach links,
als sein Ministercollege Herr von Baumbach. Schon zwei Tage nach dem Be¬
kanntwerden der Februarrevolution wendete er sich mit dem Stadtrath in einer
loyalen Beschwerdeschrift an den Kurfürsten, ohne zu ahnen, zu welchen hoch¬
gespannter Forderungen er schou wenige Tage darauf würde fortgerissen werden.
Doch suchte er als Mitglied des Hanauer Volksansschnsses den Ungestüm der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/265>, abgerufen am 22.07.2024.