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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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in das physikalische Gebiet. Z. B.: "Ist nur doch zu Muthe, als wüchsen aus
meinem Fleisch die wüsten Disteln und Brennnesseln schon heraus, die sich auf
meinem Grabe brüsten werden, ich brauche mich nur uach Art der Todten auf
den Rücken zu legen und die Augen zu schließen, so hab' ich ein Gefühl, als
ob ich ein wucherndes Beet voll Kirchhofuut'rant wäre, das neigt nud beugt sich
gegeneinander: auch schon da, Frau Muhme? und ein kalter Wind bläst hindurch!"
"Wie eine vou Wind aufgeblasene Menschenhand unt verliebter Mnndritze kam
ich mir vor!" "Nicht wahr, Alter, es müßte reizender sein, in den Armen eines
schönen Mädchens zu verwesen, als im Grabe! Für ein ständiges Leichenkissen
eine schwellende Brust, die den Schlummernden wiegte, und milde, sanfte Angen,
die statt kalt blickender Sterne ans ihn herabschauteu, vielleicht gar auch ein
Finger, der mit überwundenen Ekel den ersten Wurm zurück¬
schnellte!" -- Was das für Phantasien sind! es ist, als ob einer im Äelirium
v-emens redete! Und doch kann mau sich uicht enthalten, über diese Virtuosität
in der Ausmalung des scheußlichen wenigstens zu staunen. Und mau kauu uicht
einmal deu Vorwand gelten lassen, jene Bilder sollten nur zur Zeichnung des
Charakters dienen; Hebbel kommt immer wieder aus ähnliche Vorstellungen zu¬
rück, z. B. wenn Julia in demselben Stück phantasirt: "Ich werde nicht wim¬
mern, wenn mir d'runden die Luft nicht früh genug ausgeht und ein thierischer
Hunger mich vielleicht zwingt, mit den Würmern gemeinsame Sache zu machen
oder ihnen gar zuvorzukommen!" -- U. s. w. -

Indem Hebbel durch die Uebersteigerung der Hitze, mit welcher er seine
starren Gestalten schmilzt, die Form zersprengt, in der allein die Kunst sich geltend
machen kauu, sündigt er damit auch gegen die Philosophie, der sein Schaffen
dienen soll. Das ist der dritte Punkt.

Hebbel fordert in seinem Glaubensbekenntniß, und zwar ganz mit Recht, von
den dramatischen Dichtern: "Nur wo ein Problem vorliegt, hat eure Kunst etwas
zu schaffen, wo euch aber ein solches ausgeht, wo euch das Leben in seiner Ge¬
brochenheit entgegentritt und zugleich in eueren Geist, denn beides muß zu¬
sammenfallen, das Moment der Idee, in dem es die verlorne Einheit wieder
findet, da ergreift es u. s. w." Damit spricht er sich selbst sein Urtheil; denn
ein Problem, das keine andere Lösung findet, als den Schauer vor der unioer-


herrschende verschwimmende ReflerionSsprache entsprungene, ängstliche und autirte Bestreben, die
Sprache in jedem Augenblick plastisch zu individualisiren, z. B. "ich will ihn reizen, diesen
Kasten (deu Sarg) wieder auszuschließen, mich hineinznpackcn und den Schlüssel in den
Brunnen zu werfen, ans dem ich achtzehn Jahre trank", welcher letztere Zusatz
nur daraus zu erklären ist. Zu gründliche Ausführungen verleiten stets zum Barocken,
z. B. wenn Halain im Rubin erklärt: "wäre ich Kauf, so würde ich unsern Herrn langsam
zu Tode peitschen lassen, und während das geschähe, Feigen essen; nein, Datteln! denn die
Datteln haben Steine, und diese spie ich ihm ins Gesicht!" -- Diese Art zu individu-
alisiren ist bei Hebbel schon vollständig Manier geworden.
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in das physikalische Gebiet. Z. B.: „Ist nur doch zu Muthe, als wüchsen aus
meinem Fleisch die wüsten Disteln und Brennnesseln schon heraus, die sich auf
meinem Grabe brüsten werden, ich brauche mich nur uach Art der Todten auf
den Rücken zu legen und die Augen zu schließen, so hab' ich ein Gefühl, als
ob ich ein wucherndes Beet voll Kirchhofuut'rant wäre, das neigt nud beugt sich
gegeneinander: auch schon da, Frau Muhme? und ein kalter Wind bläst hindurch!"
„Wie eine vou Wind aufgeblasene Menschenhand unt verliebter Mnndritze kam
ich mir vor!" „Nicht wahr, Alter, es müßte reizender sein, in den Armen eines
schönen Mädchens zu verwesen, als im Grabe! Für ein ständiges Leichenkissen
eine schwellende Brust, die den Schlummernden wiegte, und milde, sanfte Angen,
die statt kalt blickender Sterne ans ihn herabschauteu, vielleicht gar auch ein
Finger, der mit überwundenen Ekel den ersten Wurm zurück¬
schnellte!" — Was das für Phantasien sind! es ist, als ob einer im Äelirium
v-emens redete! Und doch kann mau sich uicht enthalten, über diese Virtuosität
in der Ausmalung des scheußlichen wenigstens zu staunen. Und mau kauu uicht
einmal deu Vorwand gelten lassen, jene Bilder sollten nur zur Zeichnung des
Charakters dienen; Hebbel kommt immer wieder aus ähnliche Vorstellungen zu¬
rück, z. B. wenn Julia in demselben Stück phantasirt: „Ich werde nicht wim¬
mern, wenn mir d'runden die Luft nicht früh genug ausgeht und ein thierischer
Hunger mich vielleicht zwingt, mit den Würmern gemeinsame Sache zu machen
oder ihnen gar zuvorzukommen!" — U. s. w. -

Indem Hebbel durch die Uebersteigerung der Hitze, mit welcher er seine
starren Gestalten schmilzt, die Form zersprengt, in der allein die Kunst sich geltend
machen kauu, sündigt er damit auch gegen die Philosophie, der sein Schaffen
dienen soll. Das ist der dritte Punkt.

Hebbel fordert in seinem Glaubensbekenntniß, und zwar ganz mit Recht, von
den dramatischen Dichtern: „Nur wo ein Problem vorliegt, hat eure Kunst etwas
zu schaffen, wo euch aber ein solches ausgeht, wo euch das Leben in seiner Ge¬
brochenheit entgegentritt und zugleich in eueren Geist, denn beides muß zu¬
sammenfallen, das Moment der Idee, in dem es die verlorne Einheit wieder
findet, da ergreift es u. s. w." Damit spricht er sich selbst sein Urtheil; denn
ein Problem, das keine andere Lösung findet, als den Schauer vor der unioer-


herrschende verschwimmende ReflerionSsprache entsprungene, ängstliche und autirte Bestreben, die
Sprache in jedem Augenblick plastisch zu individualisiren, z. B. „ich will ihn reizen, diesen
Kasten (deu Sarg) wieder auszuschließen, mich hineinznpackcn und den Schlüssel in den
Brunnen zu werfen, ans dem ich achtzehn Jahre trank", welcher letztere Zusatz
nur daraus zu erklären ist. Zu gründliche Ausführungen verleiten stets zum Barocken,
z. B. wenn Halain im Rubin erklärt: „wäre ich Kauf, so würde ich unsern Herrn langsam
zu Tode peitschen lassen, und während das geschähe, Feigen essen; nein, Datteln! denn die
Datteln haben Steine, und diese spie ich ihm ins Gesicht!" — Diese Art zu individu-
alisiren ist bei Hebbel schon vollständig Manier geworden.
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[0219] in das physikalische Gebiet. Z. B.: „Ist nur doch zu Muthe, als wüchsen aus meinem Fleisch die wüsten Disteln und Brennnesseln schon heraus, die sich auf meinem Grabe brüsten werden, ich brauche mich nur uach Art der Todten auf den Rücken zu legen und die Augen zu schließen, so hab' ich ein Gefühl, als ob ich ein wucherndes Beet voll Kirchhofuut'rant wäre, das neigt nud beugt sich gegeneinander: auch schon da, Frau Muhme? und ein kalter Wind bläst hindurch!" „Wie eine vou Wind aufgeblasene Menschenhand unt verliebter Mnndritze kam ich mir vor!" „Nicht wahr, Alter, es müßte reizender sein, in den Armen eines schönen Mädchens zu verwesen, als im Grabe! Für ein ständiges Leichenkissen eine schwellende Brust, die den Schlummernden wiegte, und milde, sanfte Angen, die statt kalt blickender Sterne ans ihn herabschauteu, vielleicht gar auch ein Finger, der mit überwundenen Ekel den ersten Wurm zurück¬ schnellte!" — Was das für Phantasien sind! es ist, als ob einer im Äelirium v-emens redete! Und doch kann mau sich uicht enthalten, über diese Virtuosität in der Ausmalung des scheußlichen wenigstens zu staunen. Und mau kauu uicht einmal deu Vorwand gelten lassen, jene Bilder sollten nur zur Zeichnung des Charakters dienen; Hebbel kommt immer wieder aus ähnliche Vorstellungen zu¬ rück, z. B. wenn Julia in demselben Stück phantasirt: „Ich werde nicht wim¬ mern, wenn mir d'runden die Luft nicht früh genug ausgeht und ein thierischer Hunger mich vielleicht zwingt, mit den Würmern gemeinsame Sache zu machen oder ihnen gar zuvorzukommen!" — U. s. w. - Indem Hebbel durch die Uebersteigerung der Hitze, mit welcher er seine starren Gestalten schmilzt, die Form zersprengt, in der allein die Kunst sich geltend machen kauu, sündigt er damit auch gegen die Philosophie, der sein Schaffen dienen soll. Das ist der dritte Punkt. Hebbel fordert in seinem Glaubensbekenntniß, und zwar ganz mit Recht, von den dramatischen Dichtern: „Nur wo ein Problem vorliegt, hat eure Kunst etwas zu schaffen, wo euch aber ein solches ausgeht, wo euch das Leben in seiner Ge¬ brochenheit entgegentritt und zugleich in eueren Geist, denn beides muß zu¬ sammenfallen, das Moment der Idee, in dem es die verlorne Einheit wieder findet, da ergreift es u. s. w." Damit spricht er sich selbst sein Urtheil; denn ein Problem, das keine andere Lösung findet, als den Schauer vor der unioer- herrschende verschwimmende ReflerionSsprache entsprungene, ängstliche und autirte Bestreben, die Sprache in jedem Augenblick plastisch zu individualisiren, z. B. „ich will ihn reizen, diesen Kasten (deu Sarg) wieder auszuschließen, mich hineinznpackcn und den Schlüssel in den Brunnen zu werfen, ans dem ich achtzehn Jahre trank", welcher letztere Zusatz nur daraus zu erklären ist. Zu gründliche Ausführungen verleiten stets zum Barocken, z. B. wenn Halain im Rubin erklärt: „wäre ich Kauf, so würde ich unsern Herrn langsam zu Tode peitschen lassen, und während das geschähe, Feigen essen; nein, Datteln! denn die Datteln haben Steine, und diese spie ich ihm ins Gesicht!" — Diese Art zu individu- alisiren ist bei Hebbel schon vollständig Manier geworden. 92*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/219>, abgerufen am 24.07.2024.