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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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muß zur Ehre des Adels im Brzczauer Kreise gesagt werden, daß auch er deu
Forderungen der Neuzeit auf eine bewundernswürdige Art Rechnung trägt.

Betrachtet einmal jenes große, noch ""geschnittene Getreidefeld. In der
Mitte desselben erhebt sich eine hohe Stange , geschmückt mit Bändern von ver¬
schiedener Farbe, Korallenschnürcn, Tüchern und anderm weiblichem Pics und
umgeben von einer Menge Volks. Was ihr von Menschen um die Stange
handtiren seht, ist eitel schönes Geschlecht, ächtes Vollblut galizischer Jungfrauen,
welche, gleich dem Fuchs dnrch die Witterung, durch einen glücklichen Einfall des
Gutsherrn hierher gelockt worden sind. Flink bewegen sie das Erndtemesser und
blicken dabei oft nach dem in der Mitte stehenden Palladium, deun wer am meisten
vor sich bringt, hat Anspruch auf die oben flatternden Preise, und guter Wille
wird mit klingender Münze belohnt. Die Pointe ist, das Feld vor Abend noch
leer zu machen, und die Mägde thun das Mögliche, um dies Ziel zu erreichen.
Der Schweiß trieft ihnen vom Angesicht, so emsig arbeiten sie; doch die Sonne
senkt sich hinter die westlichen Hohen, es wird finster und die Aufgabe ist nicht
gelöst. Die Stange bleibt also gleich einer Lockspeise unberührt über Nacht an
ihrer Stelle.

Die Sonne steht Tags darauf schon hoch über dem Horizont, aber in be¬
sagtem Getreidefelde ist's öde und leer. Was soll daraus werden? Nirgend
eine Hand, die sich rühren will. Die Mägde, schon an den Anblick der Stange
gewöhnt, zeigen wenig Lust fortzusetzen, was sie gestern begonnen haben. Ge¬
schwind also einen anderen Kunstgriff. Unser scharfsinniger Edelmann hat die
Möglichkeit des Mißlingens vorausgesehen, und als kluger Feldherr bereits einen
zweiten Plan in Bereitschaft.

Horch vom Gute her erschallt rauschende Musik. Der Gutsherr ist noch nicht
ganz emancipirt, er schiebt also den Amtmann vor, und dieser, entweder zu Fuß
oder auf einer kopfhängenden Stute mit obligatem Füllen sitzend, stellt sich an
die Spitze des Hofgesindes und der Musik. schlaff häugt der in Ruhestand
versetzte Kantschu an seiner rechten Hand, in der erhobenen linken hält er die
Oriflamme der Neuzeit, das "Qnartierchen", und eine gewichtige Flasche Fusel, und
so schreitet er vor dem Hausen her und hält vor jeder Hütte, um die "Brüder" mit
einem Labetrunk zu erfreuen. Die Musik spielt, der Branntwein glänzt in der Sonne,
die Knechte des Hofes singen und jubeln. Daß der Amtmann so etwas von Lümmeln
und Bestien in den Bart brummt und zeitweise mit den Zähnen knirscht -- auch
der Amtmann hat noch seine Vorurtheile -- wird bei so eindringlichen Argumenten
überhört; man plaudert anscheinend ganz gemüthlich vor den einzelnen Hütten,
wird warm, und nickt beifällig mit dem Kopfe, wenn der gestrenge Beamte so
nebenbei etwas von Arbeit fallen läßt und goldene Berge verspricht. Hier und
da nimmt auch der "Sohn des Edelhauses" an diesem Kreuz- und Werbezug
Theil. Der junge Herr ist Studirens halber in Lemberg gewesen, also natürlich


muß zur Ehre des Adels im Brzczauer Kreise gesagt werden, daß auch er deu
Forderungen der Neuzeit auf eine bewundernswürdige Art Rechnung trägt.

Betrachtet einmal jenes große, noch »«geschnittene Getreidefeld. In der
Mitte desselben erhebt sich eine hohe Stange , geschmückt mit Bändern von ver¬
schiedener Farbe, Korallenschnürcn, Tüchern und anderm weiblichem Pics und
umgeben von einer Menge Volks. Was ihr von Menschen um die Stange
handtiren seht, ist eitel schönes Geschlecht, ächtes Vollblut galizischer Jungfrauen,
welche, gleich dem Fuchs dnrch die Witterung, durch einen glücklichen Einfall des
Gutsherrn hierher gelockt worden sind. Flink bewegen sie das Erndtemesser und
blicken dabei oft nach dem in der Mitte stehenden Palladium, deun wer am meisten
vor sich bringt, hat Anspruch auf die oben flatternden Preise, und guter Wille
wird mit klingender Münze belohnt. Die Pointe ist, das Feld vor Abend noch
leer zu machen, und die Mägde thun das Mögliche, um dies Ziel zu erreichen.
Der Schweiß trieft ihnen vom Angesicht, so emsig arbeiten sie; doch die Sonne
senkt sich hinter die westlichen Hohen, es wird finster und die Aufgabe ist nicht
gelöst. Die Stange bleibt also gleich einer Lockspeise unberührt über Nacht an
ihrer Stelle.

Die Sonne steht Tags darauf schon hoch über dem Horizont, aber in be¬
sagtem Getreidefelde ist's öde und leer. Was soll daraus werden? Nirgend
eine Hand, die sich rühren will. Die Mägde, schon an den Anblick der Stange
gewöhnt, zeigen wenig Lust fortzusetzen, was sie gestern begonnen haben. Ge¬
schwind also einen anderen Kunstgriff. Unser scharfsinniger Edelmann hat die
Möglichkeit des Mißlingens vorausgesehen, und als kluger Feldherr bereits einen
zweiten Plan in Bereitschaft.

Horch vom Gute her erschallt rauschende Musik. Der Gutsherr ist noch nicht
ganz emancipirt, er schiebt also den Amtmann vor, und dieser, entweder zu Fuß
oder auf einer kopfhängenden Stute mit obligatem Füllen sitzend, stellt sich an
die Spitze des Hofgesindes und der Musik. schlaff häugt der in Ruhestand
versetzte Kantschu an seiner rechten Hand, in der erhobenen linken hält er die
Oriflamme der Neuzeit, das „Qnartierchen", und eine gewichtige Flasche Fusel, und
so schreitet er vor dem Hausen her und hält vor jeder Hütte, um die „Brüder" mit
einem Labetrunk zu erfreuen. Die Musik spielt, der Branntwein glänzt in der Sonne,
die Knechte des Hofes singen und jubeln. Daß der Amtmann so etwas von Lümmeln
und Bestien in den Bart brummt und zeitweise mit den Zähnen knirscht — auch
der Amtmann hat noch seine Vorurtheile — wird bei so eindringlichen Argumenten
überhört; man plaudert anscheinend ganz gemüthlich vor den einzelnen Hütten,
wird warm, und nickt beifällig mit dem Kopfe, wenn der gestrenge Beamte so
nebenbei etwas von Arbeit fallen läßt und goldene Berge verspricht. Hier und
da nimmt auch der „Sohn des Edelhauses" an diesem Kreuz- und Werbezug
Theil. Der junge Herr ist Studirens halber in Lemberg gewesen, also natürlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/76>, abgerufen am 27.07.2024.