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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Anbaue in eine wahre Soldatenstadt verwandelt hat. Ueberhaupt scheint das
russische Militärgouvcrncment in Ansehung der Beherrschung Warschaus auf die
Caserne großes Gewicht zu lege". Ueberall da, wo nach parisischer Art eine
Fortification hätte angebracht werden müssen, findet man eine Caserne. Diese
Casernen haben noch keine Filiale, durch welche sie unter sich mit einander ver¬
bunden werden. Sieht mau sich gut um, so findet mau allenthalben Militär¬
anstalten, selbst außerhalb der städtischen sogenannten Linie (mit Wall versehener
Grenzgraben) in dem Felde. Man findet da von vierhundert zu vierhundert
Schritten eine Art russischer Semlonka, welche von einer Section Kosaken bewohnt
wird. Es sind dies Erdhütten, von denen außen nichts weiter sichtbar ist, als
das Strohdach. Der bewohnte Raum befindet sich unter der Oberfläche der
Erde. Die Einrichtung im Innern ist viel schlechter als in einem deutschen
Pferdeställe, ja selbst die niedrig geachteten Pferde Polens können sich rühmen,
anständiger zu wohnen, als diese Kosaken, welche das stattliche Warschau von
außen bewachen. Das Schilf, welches den Pferden untergestrent wird, ist zugleich
das Bett der Reiter. Vou einer wirtschaftlichen Einrichtung findet mau in die¬
sen militärischen Erdlöchern nichts weiter, als eine auf Pfählen ruhende Tischplatte,
und ein langes ebenfalls auf Pfählen befestigtes Brett als Bank, dazu ein Wasser¬
faß und einige blecherne Topfe zum Kochen. Diese Gegenstände liefert die Ne¬
gierung. Etwas Weitern bedarf nach ihrer Meinung der Soldat nicht. Die
Besitzer der Felder, in welchen diese unglücklichen Krieger ihre Locher haben, hal¬
ten, und wohl nicht ohne Grund, diese armen Teufel für die gefährlichsten Erd¬
flöhe oder Hamster, die es auf Erden nur geben kann. Das Schlimmste, daß
man ihnen ihren gefährlichen Jnstinct nicht einmal wehren darf. Wollte man
sich ihren Räubereien widersetzen, man würde von ihnen gemißhandelt werden.
Die Behörden aber halten den Grundsatz fest, der Soldat muß zu leben suchen,
wenn ihm nichts zu leben gegeben wird. Vor ihrer Hütte findet man kleine
Plätze zum Dreschen förmlich eingerichtet. Das in der Nacht aus den nächsten
Feldern herbeigeschleppte Getreide wird hier bei Tage ohne Scheu mit den Piken
oder Säbelscheiden gedroschen und am'dritten Tage einigen Pferden auf den
Rücken geladen und in die Stadt zu Markte geführt. Es ist vorgekommen, daß
sich derartige Landwirthe in Ermangelung von Säcken ihrer kaiserlichen Hosen zum
Transport bedienten, und darum durchaus uicht von dem Obersten von Bu.....w,
der ein Zuschauer des Schauspiels war, verhört wurden.

Diese Kosakenposten bilden um die Stadt herum bis zur Citadelle eine Art
Telegraphenlinie, wie im Jnnern der Stadt die Budensoldaten zu den Haupt¬
wachen hin, deren Zahl sich nnn sogar ans dreiundzwanzig gesteigert hat. Sie
sind gleichsam eine Nothverbindnngslinie der Citadelle mit den bedeutendsten Ca¬
sernen, besonders der von Aljazdow, deren Große und glänzende Einrichtung zu
bewundern sein dürften.


Anbaue in eine wahre Soldatenstadt verwandelt hat. Ueberhaupt scheint das
russische Militärgouvcrncment in Ansehung der Beherrschung Warschaus auf die
Caserne großes Gewicht zu lege». Ueberall da, wo nach parisischer Art eine
Fortification hätte angebracht werden müssen, findet man eine Caserne. Diese
Casernen haben noch keine Filiale, durch welche sie unter sich mit einander ver¬
bunden werden. Sieht mau sich gut um, so findet mau allenthalben Militär¬
anstalten, selbst außerhalb der städtischen sogenannten Linie (mit Wall versehener
Grenzgraben) in dem Felde. Man findet da von vierhundert zu vierhundert
Schritten eine Art russischer Semlonka, welche von einer Section Kosaken bewohnt
wird. Es sind dies Erdhütten, von denen außen nichts weiter sichtbar ist, als
das Strohdach. Der bewohnte Raum befindet sich unter der Oberfläche der
Erde. Die Einrichtung im Innern ist viel schlechter als in einem deutschen
Pferdeställe, ja selbst die niedrig geachteten Pferde Polens können sich rühmen,
anständiger zu wohnen, als diese Kosaken, welche das stattliche Warschau von
außen bewachen. Das Schilf, welches den Pferden untergestrent wird, ist zugleich
das Bett der Reiter. Vou einer wirtschaftlichen Einrichtung findet mau in die¬
sen militärischen Erdlöchern nichts weiter, als eine auf Pfählen ruhende Tischplatte,
und ein langes ebenfalls auf Pfählen befestigtes Brett als Bank, dazu ein Wasser¬
faß und einige blecherne Topfe zum Kochen. Diese Gegenstände liefert die Ne¬
gierung. Etwas Weitern bedarf nach ihrer Meinung der Soldat nicht. Die
Besitzer der Felder, in welchen diese unglücklichen Krieger ihre Locher haben, hal¬
ten, und wohl nicht ohne Grund, diese armen Teufel für die gefährlichsten Erd¬
flöhe oder Hamster, die es auf Erden nur geben kann. Das Schlimmste, daß
man ihnen ihren gefährlichen Jnstinct nicht einmal wehren darf. Wollte man
sich ihren Räubereien widersetzen, man würde von ihnen gemißhandelt werden.
Die Behörden aber halten den Grundsatz fest, der Soldat muß zu leben suchen,
wenn ihm nichts zu leben gegeben wird. Vor ihrer Hütte findet man kleine
Plätze zum Dreschen förmlich eingerichtet. Das in der Nacht aus den nächsten
Feldern herbeigeschleppte Getreide wird hier bei Tage ohne Scheu mit den Piken
oder Säbelscheiden gedroschen und am'dritten Tage einigen Pferden auf den
Rücken geladen und in die Stadt zu Markte geführt. Es ist vorgekommen, daß
sich derartige Landwirthe in Ermangelung von Säcken ihrer kaiserlichen Hosen zum
Transport bedienten, und darum durchaus uicht von dem Obersten von Bu.....w,
der ein Zuschauer des Schauspiels war, verhört wurden.

Diese Kosakenposten bilden um die Stadt herum bis zur Citadelle eine Art
Telegraphenlinie, wie im Jnnern der Stadt die Budensoldaten zu den Haupt¬
wachen hin, deren Zahl sich nnn sogar ans dreiundzwanzig gesteigert hat. Sie
sind gleichsam eine Nothverbindnngslinie der Citadelle mit den bedeutendsten Ca¬
sernen, besonders der von Aljazdow, deren Große und glänzende Einrichtung zu
bewundern sein dürften.


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[0455] Anbaue in eine wahre Soldatenstadt verwandelt hat. Ueberhaupt scheint das russische Militärgouvcrncment in Ansehung der Beherrschung Warschaus auf die Caserne großes Gewicht zu lege». Ueberall da, wo nach parisischer Art eine Fortification hätte angebracht werden müssen, findet man eine Caserne. Diese Casernen haben noch keine Filiale, durch welche sie unter sich mit einander ver¬ bunden werden. Sieht mau sich gut um, so findet mau allenthalben Militär¬ anstalten, selbst außerhalb der städtischen sogenannten Linie (mit Wall versehener Grenzgraben) in dem Felde. Man findet da von vierhundert zu vierhundert Schritten eine Art russischer Semlonka, welche von einer Section Kosaken bewohnt wird. Es sind dies Erdhütten, von denen außen nichts weiter sichtbar ist, als das Strohdach. Der bewohnte Raum befindet sich unter der Oberfläche der Erde. Die Einrichtung im Innern ist viel schlechter als in einem deutschen Pferdeställe, ja selbst die niedrig geachteten Pferde Polens können sich rühmen, anständiger zu wohnen, als diese Kosaken, welche das stattliche Warschau von außen bewachen. Das Schilf, welches den Pferden untergestrent wird, ist zugleich das Bett der Reiter. Vou einer wirtschaftlichen Einrichtung findet mau in die¬ sen militärischen Erdlöchern nichts weiter, als eine auf Pfählen ruhende Tischplatte, und ein langes ebenfalls auf Pfählen befestigtes Brett als Bank, dazu ein Wasser¬ faß und einige blecherne Topfe zum Kochen. Diese Gegenstände liefert die Ne¬ gierung. Etwas Weitern bedarf nach ihrer Meinung der Soldat nicht. Die Besitzer der Felder, in welchen diese unglücklichen Krieger ihre Locher haben, hal¬ ten, und wohl nicht ohne Grund, diese armen Teufel für die gefährlichsten Erd¬ flöhe oder Hamster, die es auf Erden nur geben kann. Das Schlimmste, daß man ihnen ihren gefährlichen Jnstinct nicht einmal wehren darf. Wollte man sich ihren Räubereien widersetzen, man würde von ihnen gemißhandelt werden. Die Behörden aber halten den Grundsatz fest, der Soldat muß zu leben suchen, wenn ihm nichts zu leben gegeben wird. Vor ihrer Hütte findet man kleine Plätze zum Dreschen förmlich eingerichtet. Das in der Nacht aus den nächsten Feldern herbeigeschleppte Getreide wird hier bei Tage ohne Scheu mit den Piken oder Säbelscheiden gedroschen und am'dritten Tage einigen Pferden auf den Rücken geladen und in die Stadt zu Markte geführt. Es ist vorgekommen, daß sich derartige Landwirthe in Ermangelung von Säcken ihrer kaiserlichen Hosen zum Transport bedienten, und darum durchaus uicht von dem Obersten von Bu.....w, der ein Zuschauer des Schauspiels war, verhört wurden. Diese Kosakenposten bilden um die Stadt herum bis zur Citadelle eine Art Telegraphenlinie, wie im Jnnern der Stadt die Budensoldaten zu den Haupt¬ wachen hin, deren Zahl sich nnn sogar ans dreiundzwanzig gesteigert hat. Sie sind gleichsam eine Nothverbindnngslinie der Citadelle mit den bedeutendsten Ca¬ sernen, besonders der von Aljazdow, deren Große und glänzende Einrichtung zu bewundern sein dürften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/455>, abgerufen am 01.09.2024.