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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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rechnet worden ist, die freilich wohl dann erst im Besitz von Bomben, Bomben-
kesseln und ähnlichen Wnrfgeschützen sein werden, wenn die Russen schon ans
der Citadelle getrieben worden sind. Auf einen von außen kommenden Feind
scheint man überhaupt bei den Festungsanlagen in Polen ganz und gar nicht ge¬
rechnet zu haben.

Wie wenig nun auch die russische Regierung den jetzigen Polen noch Kraft
zutrauen kann, so ist sie doch darauf bedacht gewesen, ihrer stolzen Citadelle ein
Hinterthor zu geben, damit die Besatzung glücklich davonkommen kann; und
diesen schnurrigen Gedanken hat sie noch dadurch sichtbarer gemacht, daß sie die
Schnellöffnuug der Thore indas Reglement der Festuugsmauöver hat aufnehmen
lassen. Dieses Manöver wird in der That so tüchtig geübt, daß man über den
russischen Gedanken lachen muß. Schreiber dessen sah ein Mal an dem erwähn¬
ten Hinterthore einige Stunden lang folgendem Exercitium zu. Eine Kompagnie
Infanterie war in dem ersten Stockwerk des Magazingebäudes zerstreut aufgestellt
worden. Auf ein Commando stürzte, warf sich und sprang die Compagnie mit
Gepäck und Gewehr aus den Fenstern des Magazins herab, die sentio", welche
sich dem Thore am nächsten befand, mußte im Nu das Thor geöffnet haben, und
in Zeit von etwa fünf Minuten Alles sich ans den Kähnen befinden, die hinter
dem Thor auf der Weichsel standen.

Das Arsenal der Citadelle ist sehenswert!), besonders das Bombeuhaus. Ich
habe nie in einer deutschen Festung so viele schwere Geschütze gesehen, als in
dieser russischen. Die Zahl der Kanonen belief sich im Jahre 1846 mit den jen¬
seits des Stroms gleichsam zur erschreckenden Schan auf Holzblöcken lagernden
auf 150, die schweren Wurfgeschosse habe ich, da sie nicht reihenweis aufgestellt,
sondern aufgehäuft sind, nicht überrechnen könne"; doch muß ihre Zahl die der
Kanonen sehr bedeutend übersteigen. Man sieht aus der ungeheuren Menge von
Bombengeschütz, daß die Citadelle eigentlich nur gegen die Stadt Warschau be¬
rechnet worden'ist; auch geben zwei gut gewölbte Minen, welche sich ein Stück
nnter die Stadt hinziehen, davon einen Beweis. Recht vollkommen begreift man
den Zweck dieser Anstalt, welche geflissentlich zur öffentlichen Kenntniß gebracht
worden ist, und geflissentlich noch immer dann und wann erwähnt und den War¬
schauern in die Erinnerung gebracht wird, nicht. Könnte die russische Regierung
so kannibalisch sein, Warschau in die Luft zu sprengen? Zum Glück sind die
Theile der Stadt, welche der Citadelle zunächst liegen, nicht eben die vortrefflich¬
sten, und sollten die beiden Minen einmal gesprengt werden, so würde Warschau
eben- nur verlieren, woran ihm uicht allzu viel gelegen sein könnte. Weislich hat
die russische Regierung keines ihrer Gtaatsgebäude in diesen gefährdeten Stadt-
theil setzen lassen. Die russische Kirche steht von allen diesen der Citadelle am
nächsten, und man besann sich lange, ob man recht daran thue, sie in der langen


rechnet worden ist, die freilich wohl dann erst im Besitz von Bomben, Bomben-
kesseln und ähnlichen Wnrfgeschützen sein werden, wenn die Russen schon ans
der Citadelle getrieben worden sind. Auf einen von außen kommenden Feind
scheint man überhaupt bei den Festungsanlagen in Polen ganz und gar nicht ge¬
rechnet zu haben.

Wie wenig nun auch die russische Regierung den jetzigen Polen noch Kraft
zutrauen kann, so ist sie doch darauf bedacht gewesen, ihrer stolzen Citadelle ein
Hinterthor zu geben, damit die Besatzung glücklich davonkommen kann; und
diesen schnurrigen Gedanken hat sie noch dadurch sichtbarer gemacht, daß sie die
Schnellöffnuug der Thore indas Reglement der Festuugsmauöver hat aufnehmen
lassen. Dieses Manöver wird in der That so tüchtig geübt, daß man über den
russischen Gedanken lachen muß. Schreiber dessen sah ein Mal an dem erwähn¬
ten Hinterthore einige Stunden lang folgendem Exercitium zu. Eine Kompagnie
Infanterie war in dem ersten Stockwerk des Magazingebäudes zerstreut aufgestellt
worden. Auf ein Commando stürzte, warf sich und sprang die Compagnie mit
Gepäck und Gewehr aus den Fenstern des Magazins herab, die sentio», welche
sich dem Thore am nächsten befand, mußte im Nu das Thor geöffnet haben, und
in Zeit von etwa fünf Minuten Alles sich ans den Kähnen befinden, die hinter
dem Thor auf der Weichsel standen.

Das Arsenal der Citadelle ist sehenswert!), besonders das Bombeuhaus. Ich
habe nie in einer deutschen Festung so viele schwere Geschütze gesehen, als in
dieser russischen. Die Zahl der Kanonen belief sich im Jahre 1846 mit den jen¬
seits des Stroms gleichsam zur erschreckenden Schan auf Holzblöcken lagernden
auf 150, die schweren Wurfgeschosse habe ich, da sie nicht reihenweis aufgestellt,
sondern aufgehäuft sind, nicht überrechnen könne»; doch muß ihre Zahl die der
Kanonen sehr bedeutend übersteigen. Man sieht aus der ungeheuren Menge von
Bombengeschütz, daß die Citadelle eigentlich nur gegen die Stadt Warschau be¬
rechnet worden'ist; auch geben zwei gut gewölbte Minen, welche sich ein Stück
nnter die Stadt hinziehen, davon einen Beweis. Recht vollkommen begreift man
den Zweck dieser Anstalt, welche geflissentlich zur öffentlichen Kenntniß gebracht
worden ist, und geflissentlich noch immer dann und wann erwähnt und den War¬
schauern in die Erinnerung gebracht wird, nicht. Könnte die russische Regierung
so kannibalisch sein, Warschau in die Luft zu sprengen? Zum Glück sind die
Theile der Stadt, welche der Citadelle zunächst liegen, nicht eben die vortrefflich¬
sten, und sollten die beiden Minen einmal gesprengt werden, so würde Warschau
eben- nur verlieren, woran ihm uicht allzu viel gelegen sein könnte. Weislich hat
die russische Regierung keines ihrer Gtaatsgebäude in diesen gefährdeten Stadt-
theil setzen lassen. Die russische Kirche steht von allen diesen der Citadelle am
nächsten, und man besann sich lange, ob man recht daran thue, sie in der langen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/453>, abgerufen am 01.09.2024.