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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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der unbedingten Entsagung; er jammert über den Protestantismus, der den Men¬
schen zum Denken 'verführt und ihn dann im Stich läßt; er wird erst katholisch,
dann nltramontau; ja er taucht sich in alle Formen des Aberglaubens, um seinen
zweifelnden Verstand zu übertäuben; der thierische Magnetismus muß ihm das
Dasein Gottes, die Hererei die Unsterblichkeit der Seele und die unbefleckte Em-
Pfangniß der Jungfrau erweisen. Er steht darin auf einer Stufe mit Jules Janin,
dem blasirten Feuilletonisten, der in dem Elend, dem Schmutz und der Eitelkeit
dieser Welt mit einer gewissen Wollust sich wälzt, um von Zeit zu Zeit einen
scheinheiligen Blick zum Himmel aufzuschlagen, wo das Alles besser sein werde. --
Der. Himmel ist uur eine Folie für das eitle, in frevelhafte Selbstanbctung ver-
sunkene Herz; seiue eigentliche Stätte ist die Erde mit ihren unreinen Lüsten und
ihrer glaubenlosen Verworrenheit.

Was ist das für eine Welt, in der sich Balzac, Janin, Souliä, Bernard ze.
bewegen! Die LicbliugSfignrcn Balzac's sind junge, in allem Raffinement der
Lust aufgewachsene Aristokraten, die sich eine Art umgekehrter Moral gebildet
habe", die das Verbreche", und zwar jenes Verbrechen, das sonst ans die Ga¬
leeren führt, nicht blos mehr als Mittel zum Zweck, sondern mit einer Art
dogmatischer Ueberzeugung treiben. Crimiualgeschichten sind immer ein Lieblings-
gegenstand der Romanschreiber gewesen, aber sonst unterscheidet sich doch der
Dichter von seinem Helden, er schickt ihn schließlich entweder in's Bagno, oder er
vernichtet ihn moralisch. Bei Balzac ist von einem solchen Unterschied nicht mehr
die Rede. Durch eine ganze Reihe seiner Romane (der bekannte "?ore Koriot"
ist der erste derselben) spielt eine geheime Verbindung dreizehn solcher jungen
vornehmen Wüstlinge, die in einer ähnlichen Weise wie die königlichen Weiber in
Dumas' 't'c^u' ü" Nvslo sich zum Zweck gemacht haben, durch ihre Association
und durch die Anwendung jedes beliebigen Mittels alle Hindernisse aus dem
Wege zu räumen, die sich ihren Leidenschaften und Gelüsten entgegenstellen könnten.
Jeder von ihnen weiß mit dem Degen und der Pistole vortrefflich umzugehen, ist
ein vorzüglicher Reiter, brillanter Klavierspieler, spricht sämmtliche Sprachen ze.;
in der Regel ist er von hoher Geburt, nur ausnahmsweise sind einige entlaufene
Galeerensclaven in den Bund mit aufgenommen. Diese Verbündeten nun gehen
mit Gift, Dolch, Strang und andern Instrumenten mit einer Virtuosität um, die
Verwunderung erregt; daß die Polizei ihnen nichts anhaben kaun, läßt sich er¬
tragen, denn sie gehen sehr geschickt und vorsichtig zu Werke; daß sie in der
Diplomatie, der Gesellschaft die höchsten Stellen einnehmen, spricht zwar gegen
den Scharfsinn der Mächtigen im Staat, muß aber noch hingenommen werden,
da sie ihre Unthaten im Dunkel verübelt; daß alle Weiber, vou deu Herzoginnen
bis zu den Grisetten, sie anbeten, um ihretwillen ihre Männer verlassen und
respective vergiften, ist begreiflich, denn die Weiber schwärmen für Banditen mit
dem Byronstempel ans dem bleichen Vampyrantlitz; aber daß auch der Dichter,


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der unbedingten Entsagung; er jammert über den Protestantismus, der den Men¬
schen zum Denken 'verführt und ihn dann im Stich läßt; er wird erst katholisch,
dann nltramontau; ja er taucht sich in alle Formen des Aberglaubens, um seinen
zweifelnden Verstand zu übertäuben; der thierische Magnetismus muß ihm das
Dasein Gottes, die Hererei die Unsterblichkeit der Seele und die unbefleckte Em-
Pfangniß der Jungfrau erweisen. Er steht darin auf einer Stufe mit Jules Janin,
dem blasirten Feuilletonisten, der in dem Elend, dem Schmutz und der Eitelkeit
dieser Welt mit einer gewissen Wollust sich wälzt, um von Zeit zu Zeit einen
scheinheiligen Blick zum Himmel aufzuschlagen, wo das Alles besser sein werde. —
Der. Himmel ist uur eine Folie für das eitle, in frevelhafte Selbstanbctung ver-
sunkene Herz; seiue eigentliche Stätte ist die Erde mit ihren unreinen Lüsten und
ihrer glaubenlosen Verworrenheit.

Was ist das für eine Welt, in der sich Balzac, Janin, Souliä, Bernard ze.
bewegen! Die LicbliugSfignrcn Balzac's sind junge, in allem Raffinement der
Lust aufgewachsene Aristokraten, die sich eine Art umgekehrter Moral gebildet
habe», die das Verbreche», und zwar jenes Verbrechen, das sonst ans die Ga¬
leeren führt, nicht blos mehr als Mittel zum Zweck, sondern mit einer Art
dogmatischer Ueberzeugung treiben. Crimiualgeschichten sind immer ein Lieblings-
gegenstand der Romanschreiber gewesen, aber sonst unterscheidet sich doch der
Dichter von seinem Helden, er schickt ihn schließlich entweder in's Bagno, oder er
vernichtet ihn moralisch. Bei Balzac ist von einem solchen Unterschied nicht mehr
die Rede. Durch eine ganze Reihe seiner Romane (der bekannte „?ore Koriot"
ist der erste derselben) spielt eine geheime Verbindung dreizehn solcher jungen
vornehmen Wüstlinge, die in einer ähnlichen Weise wie die königlichen Weiber in
Dumas' 't'c^u' ü« Nvslo sich zum Zweck gemacht haben, durch ihre Association
und durch die Anwendung jedes beliebigen Mittels alle Hindernisse aus dem
Wege zu räumen, die sich ihren Leidenschaften und Gelüsten entgegenstellen könnten.
Jeder von ihnen weiß mit dem Degen und der Pistole vortrefflich umzugehen, ist
ein vorzüglicher Reiter, brillanter Klavierspieler, spricht sämmtliche Sprachen ze.;
in der Regel ist er von hoher Geburt, nur ausnahmsweise sind einige entlaufene
Galeerensclaven in den Bund mit aufgenommen. Diese Verbündeten nun gehen
mit Gift, Dolch, Strang und andern Instrumenten mit einer Virtuosität um, die
Verwunderung erregt; daß die Polizei ihnen nichts anhaben kaun, läßt sich er¬
tragen, denn sie gehen sehr geschickt und vorsichtig zu Werke; daß sie in der
Diplomatie, der Gesellschaft die höchsten Stellen einnehmen, spricht zwar gegen
den Scharfsinn der Mächtigen im Staat, muß aber noch hingenommen werden,
da sie ihre Unthaten im Dunkel verübelt; daß alle Weiber, vou deu Herzoginnen
bis zu den Grisetten, sie anbeten, um ihretwillen ihre Männer verlassen und
respective vergiften, ist begreiflich, denn die Weiber schwärmen für Banditen mit
dem Byronstempel ans dem bleichen Vampyrantlitz; aber daß auch der Dichter,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/435>, abgerufen am 01.09.2024.