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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Nur in Zeiten gemeinschaftlicher Gefahr verbündeten sie sich gegen den ge¬
meinschaftlichen Erbfeind des Landes. War die Gefahr vorüber, so trat die alte
Zersplitterung wieder ein. --

Die freundliche Ausnahme, welche ich auf einem frühern Zuge durch's Gebirge
bei den Häuptlingen der Labardah gesunden, ein kurzer Aufenthalt bei den
Abchasen und viele andere Umstände hatten den Wunsch in mir rege gemacht,
anch einen Blick in das Innere der Länder der Uby es und Dshigeth zu thun.

Schon ans meiner ersten Küstenfahrt war ich,' bei den Unterhandlungen,
welche damals zwischen Russen und Tscherkessen gepflogen wurden, in häufige
persönliche Berührung mit den vornehmsten Häuptlingen dieser Völker gekommen,
besonders mit Asslau-Boy, dem stattlichen Dshigethen-Fürsten, und mit dem riesig
gewachsenen Jcrinbyk-Bersek-Boy, dem grimmigsten Rnssenfeinde im Volke derUbych.

Auf meinem zweiten Zuge erneuerten wir unsere Bekanntschaft; ich sah
Asslan-Boy fast täglich bei Swan-B6y, dem Commandanten von Aridlcr, während
meines Aufenthalts in dieser Festung, und den stolzen Jerinbyk-Bersek traf ich mit
vielen andern Häuptlingen in Stotscha wieder, derselben Festung, deren Besatzung
er wenige Monate daraus bis aus den letzten Mann über die Klinge springen ließ.

Veranlassung zu den häufigen Zusammenkünften zwischen den Führern der
Tscherkessen und der Russen hatte die Abberufung des bisherigen Sardaars vom
Kaukasus (General v. Neidhart) gegeben, an dessen Stelle der mit fast unum¬
schränkter Vollmacht ausgestattete Fürst (damals noch Gras) Woronzow getreten war.

Der Ruf dieses mächtigen und reichen Bojaren, der auf seinen, in den
fruchtbarsten Theilen Rußlands gelegenen Besitzthümern über hunderttausend leib¬
eigene Männer zählt, war schon seit lange zur Kunde der Gebirgsvölker gekommen.
Man wußte, daß Woronzow als Statthalter in der Krimm fast königliche Gewalt
übte, und diese Gewalt vorzugsweise zur Hebung des Wohlstandes der isla¬
mitischen Bevölkerung jenes Landes entfaltete; mau erzählte sich Wunderdinge
von der (wirklich großartigen) Pracht seiner Schlösser, von seiner Großmuth, seiner
Freigebigkeit und seinen unerschöpflichen Reichthümern. Man hatte alle Ursache,
anzunehmen, daß er die besondern Begünstigungen, welche er den Völtcrtrümmcrn
des alten Tatarenreichs sadin-Gerai-Chan's angedeihen ließ, jetzt auch auf die
tscherkessischen Bekenner des Islam übertragen werde.

Einige alte Häuptlinge erinnerten sich seiner wohl auch noch aus der Jugend,
da er im Kaukasus seiue kriegerische Laufbahn begann. Und vollends die Botschafter,
welche ihn auf seiner Hinreise nach Tiflis gesehen hatten, waren ganz entzückt von
seiner imposanten persönlichen Erscheinung, denn die Tscherkessen sind lebhafte
Bewunderer schöner Männergestalten, und Fürst Woronzow ist, trotz seiner siebziger
Jahre, eiuer der schönsten Männer, die ich im Leben gesehen.

So vereinigte sich denn Alles, nur die kriegerischen Küstcnvölker glauben zu
machen, die Zeit sei gekommen, wo sie durch friedliche Unterhandlungen mehr aus-


Nur in Zeiten gemeinschaftlicher Gefahr verbündeten sie sich gegen den ge¬
meinschaftlichen Erbfeind des Landes. War die Gefahr vorüber, so trat die alte
Zersplitterung wieder ein. —

Die freundliche Ausnahme, welche ich auf einem frühern Zuge durch's Gebirge
bei den Häuptlingen der Labardah gesunden, ein kurzer Aufenthalt bei den
Abchasen und viele andere Umstände hatten den Wunsch in mir rege gemacht,
anch einen Blick in das Innere der Länder der Uby es und Dshigeth zu thun.

Schon ans meiner ersten Küstenfahrt war ich,' bei den Unterhandlungen,
welche damals zwischen Russen und Tscherkessen gepflogen wurden, in häufige
persönliche Berührung mit den vornehmsten Häuptlingen dieser Völker gekommen,
besonders mit Asslau-Boy, dem stattlichen Dshigethen-Fürsten, und mit dem riesig
gewachsenen Jcrinbyk-Bersek-Boy, dem grimmigsten Rnssenfeinde im Volke derUbych.

Auf meinem zweiten Zuge erneuerten wir unsere Bekanntschaft; ich sah
Asslan-Boy fast täglich bei Swan-B6y, dem Commandanten von Aridlcr, während
meines Aufenthalts in dieser Festung, und den stolzen Jerinbyk-Bersek traf ich mit
vielen andern Häuptlingen in Stotscha wieder, derselben Festung, deren Besatzung
er wenige Monate daraus bis aus den letzten Mann über die Klinge springen ließ.

Veranlassung zu den häufigen Zusammenkünften zwischen den Führern der
Tscherkessen und der Russen hatte die Abberufung des bisherigen Sardaars vom
Kaukasus (General v. Neidhart) gegeben, an dessen Stelle der mit fast unum¬
schränkter Vollmacht ausgestattete Fürst (damals noch Gras) Woronzow getreten war.

Der Ruf dieses mächtigen und reichen Bojaren, der auf seinen, in den
fruchtbarsten Theilen Rußlands gelegenen Besitzthümern über hunderttausend leib¬
eigene Männer zählt, war schon seit lange zur Kunde der Gebirgsvölker gekommen.
Man wußte, daß Woronzow als Statthalter in der Krimm fast königliche Gewalt
übte, und diese Gewalt vorzugsweise zur Hebung des Wohlstandes der isla¬
mitischen Bevölkerung jenes Landes entfaltete; mau erzählte sich Wunderdinge
von der (wirklich großartigen) Pracht seiner Schlösser, von seiner Großmuth, seiner
Freigebigkeit und seinen unerschöpflichen Reichthümern. Man hatte alle Ursache,
anzunehmen, daß er die besondern Begünstigungen, welche er den Völtcrtrümmcrn
des alten Tatarenreichs sadin-Gerai-Chan's angedeihen ließ, jetzt auch auf die
tscherkessischen Bekenner des Islam übertragen werde.

Einige alte Häuptlinge erinnerten sich seiner wohl auch noch aus der Jugend,
da er im Kaukasus seiue kriegerische Laufbahn begann. Und vollends die Botschafter,
welche ihn auf seiner Hinreise nach Tiflis gesehen hatten, waren ganz entzückt von
seiner imposanten persönlichen Erscheinung, denn die Tscherkessen sind lebhafte
Bewunderer schöner Männergestalten, und Fürst Woronzow ist, trotz seiner siebziger
Jahre, eiuer der schönsten Männer, die ich im Leben gesehen.

So vereinigte sich denn Alles, nur die kriegerischen Küstcnvölker glauben zu
machen, die Zeit sei gekommen, wo sie durch friedliche Unterhandlungen mehr aus-


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[0380] Nur in Zeiten gemeinschaftlicher Gefahr verbündeten sie sich gegen den ge¬ meinschaftlichen Erbfeind des Landes. War die Gefahr vorüber, so trat die alte Zersplitterung wieder ein. — Die freundliche Ausnahme, welche ich auf einem frühern Zuge durch's Gebirge bei den Häuptlingen der Labardah gesunden, ein kurzer Aufenthalt bei den Abchasen und viele andere Umstände hatten den Wunsch in mir rege gemacht, anch einen Blick in das Innere der Länder der Uby es und Dshigeth zu thun. Schon ans meiner ersten Küstenfahrt war ich,' bei den Unterhandlungen, welche damals zwischen Russen und Tscherkessen gepflogen wurden, in häufige persönliche Berührung mit den vornehmsten Häuptlingen dieser Völker gekommen, besonders mit Asslau-Boy, dem stattlichen Dshigethen-Fürsten, und mit dem riesig gewachsenen Jcrinbyk-Bersek-Boy, dem grimmigsten Rnssenfeinde im Volke derUbych. Auf meinem zweiten Zuge erneuerten wir unsere Bekanntschaft; ich sah Asslan-Boy fast täglich bei Swan-B6y, dem Commandanten von Aridlcr, während meines Aufenthalts in dieser Festung, und den stolzen Jerinbyk-Bersek traf ich mit vielen andern Häuptlingen in Stotscha wieder, derselben Festung, deren Besatzung er wenige Monate daraus bis aus den letzten Mann über die Klinge springen ließ. Veranlassung zu den häufigen Zusammenkünften zwischen den Führern der Tscherkessen und der Russen hatte die Abberufung des bisherigen Sardaars vom Kaukasus (General v. Neidhart) gegeben, an dessen Stelle der mit fast unum¬ schränkter Vollmacht ausgestattete Fürst (damals noch Gras) Woronzow getreten war. Der Ruf dieses mächtigen und reichen Bojaren, der auf seinen, in den fruchtbarsten Theilen Rußlands gelegenen Besitzthümern über hunderttausend leib¬ eigene Männer zählt, war schon seit lange zur Kunde der Gebirgsvölker gekommen. Man wußte, daß Woronzow als Statthalter in der Krimm fast königliche Gewalt übte, und diese Gewalt vorzugsweise zur Hebung des Wohlstandes der isla¬ mitischen Bevölkerung jenes Landes entfaltete; mau erzählte sich Wunderdinge von der (wirklich großartigen) Pracht seiner Schlösser, von seiner Großmuth, seiner Freigebigkeit und seinen unerschöpflichen Reichthümern. Man hatte alle Ursache, anzunehmen, daß er die besondern Begünstigungen, welche er den Völtcrtrümmcrn des alten Tatarenreichs sadin-Gerai-Chan's angedeihen ließ, jetzt auch auf die tscherkessischen Bekenner des Islam übertragen werde. Einige alte Häuptlinge erinnerten sich seiner wohl auch noch aus der Jugend, da er im Kaukasus seiue kriegerische Laufbahn begann. Und vollends die Botschafter, welche ihn auf seiner Hinreise nach Tiflis gesehen hatten, waren ganz entzückt von seiner imposanten persönlichen Erscheinung, denn die Tscherkessen sind lebhafte Bewunderer schöner Männergestalten, und Fürst Woronzow ist, trotz seiner siebziger Jahre, eiuer der schönsten Männer, die ich im Leben gesehen. So vereinigte sich denn Alles, nur die kriegerischen Küstcnvölker glauben zu machen, die Zeit sei gekommen, wo sie durch friedliche Unterhandlungen mehr aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/380>, abgerufen am 27.07.2024.