Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"erst vom Ubbo Genoude und der Gazette de France empfohlenen Versuch zurück¬
kommt, das legitime Königthum dnrch eine Abstimmung des Volks wieder Herzn¬
steilen, also die Legitimität aus die Volkssouveränetät zu prvpsen.

Die hochgebornen Gaste, welche diesmal ihren Herrn und König zu Wies¬
baden verehren, hatten zu den Zeiten Louis Philipp's einen ähnlichen Abstecher
nach Belgrave-Square gemacht. Damals wurden sie von der Kammer sür die
Doppelzüngigkeit ihres LchnöeideS gebrandmarkt, und gerade die conservative
Partei wurde nicht müde, sie mit Hohn und Spott zu überhäufen. Als sich
Berryer mit etwas übertriebenen Pathos darüber beschwerte, daß man Frankreich
seine großen Erinnerungen rauben wolle, erwiderte damals Dupin -- jetzt wieder
Präsident der Nationalversammlung -- das wolle man keineswegs, mau habe
ja Molare ein Denkmal errichtet, dem großen Dichter, der solche Lächerlichkeiten,
wie die Wallfahrt nach Belgrave-Square, mit Glück gegeißelt habe.

Wie wird sich diesmal die Partei verhalten? Eigentlich ist die Sache da¬
durch noch complicirter geworden, daß unter den Pilgern nach Wiesbaden einige
von den Männern sind, denen die Nationalversammlung bei ihrem Auseinander¬
gehen die Hut der Verfassung anvertraut hat. -- Freilich dürfen diesmal die
Orleanisten ihre Verweise nicht sehr lant werden lassen, denn sie haben ihre Auf¬
wartung bei der erlauchten Person, welche für sie der Mittelpunkt Frankreichs ist,
bereits gemacht, wenn auch mit weniger Feierlichkeit und Salbung, als die legi-
timistische Aristokratie. Die bürgerliche Generation, welcher die jüngere Dynastie
angehört, geht selbst in ihren Aufzügen mit dem Regenschirm; sie scheidet sich auch
äußerlich von dem beneidete" Faubourg Se.-Germain.

Wie dem anch sei, die compacte Masse der sogenannten conservativen Partei
wird nicht lange mehr zusammenhalten. Je näher die Zeit der Entscheidung rückt
je schroffer werden die bestimmten Interessen sich von einander sondern. Heinrich
hat erklärt, daß vorläufig von einer Annäherung zwischen den beiden Linien des Hauses
Bourbon keine Rede wäre, daß er aber zehn Schritte thun wolle, sobald der Chef
der Orleans einen thäte. Es steht indessen dieser Versöhnung Manches im Wege.
Die Legitimisten, die zwar dnrch Gründung der Republik sehr bedeutend an Terrain
gewonnen haben, siud doch'noch immer die unterdrückte Partei, denn es handelt
sich hier nicht bloß um die dynastische Frage, der ganze gesellschaftliche und recht¬
liche Zustand Frankreichs ist ein Protest gegen ihr Prüicip. Die Bourgeoisie.,
welche durch die Julirevolution zur Herrschaft gekommen ist, kann warten; sie ist
doch im Besitz. Es wäre nicht undenkbar, daß sie sich vorläufig mit den Bona-
partistcn -- d. h. mit den naiven Stellenjägern, die vivo .^^>oI6va! rufen,
weil vom Präsidenten die Aemter und die Besoldungen ausgehen -- vereinigten,
um das Werk der Repression mit gemeinsamen Kräften zu fördern, und eine Kristö
zu vermeiden, die immer von Gefahren begleitet ist.

Aber der Mann, den Frankreich in seiner Roth, weil kein besserer möglich


»erst vom Ubbo Genoude und der Gazette de France empfohlenen Versuch zurück¬
kommt, das legitime Königthum dnrch eine Abstimmung des Volks wieder Herzn¬
steilen, also die Legitimität aus die Volkssouveränetät zu prvpsen.

Die hochgebornen Gaste, welche diesmal ihren Herrn und König zu Wies¬
baden verehren, hatten zu den Zeiten Louis Philipp's einen ähnlichen Abstecher
nach Belgrave-Square gemacht. Damals wurden sie von der Kammer sür die
Doppelzüngigkeit ihres LchnöeideS gebrandmarkt, und gerade die conservative
Partei wurde nicht müde, sie mit Hohn und Spott zu überhäufen. Als sich
Berryer mit etwas übertriebenen Pathos darüber beschwerte, daß man Frankreich
seine großen Erinnerungen rauben wolle, erwiderte damals Dupin — jetzt wieder
Präsident der Nationalversammlung — das wolle man keineswegs, mau habe
ja Molare ein Denkmal errichtet, dem großen Dichter, der solche Lächerlichkeiten,
wie die Wallfahrt nach Belgrave-Square, mit Glück gegeißelt habe.

Wie wird sich diesmal die Partei verhalten? Eigentlich ist die Sache da¬
durch noch complicirter geworden, daß unter den Pilgern nach Wiesbaden einige
von den Männern sind, denen die Nationalversammlung bei ihrem Auseinander¬
gehen die Hut der Verfassung anvertraut hat. — Freilich dürfen diesmal die
Orleanisten ihre Verweise nicht sehr lant werden lassen, denn sie haben ihre Auf¬
wartung bei der erlauchten Person, welche für sie der Mittelpunkt Frankreichs ist,
bereits gemacht, wenn auch mit weniger Feierlichkeit und Salbung, als die legi-
timistische Aristokratie. Die bürgerliche Generation, welcher die jüngere Dynastie
angehört, geht selbst in ihren Aufzügen mit dem Regenschirm; sie scheidet sich auch
äußerlich von dem beneidete» Faubourg Se.-Germain.

Wie dem anch sei, die compacte Masse der sogenannten conservativen Partei
wird nicht lange mehr zusammenhalten. Je näher die Zeit der Entscheidung rückt
je schroffer werden die bestimmten Interessen sich von einander sondern. Heinrich
hat erklärt, daß vorläufig von einer Annäherung zwischen den beiden Linien des Hauses
Bourbon keine Rede wäre, daß er aber zehn Schritte thun wolle, sobald der Chef
der Orleans einen thäte. Es steht indessen dieser Versöhnung Manches im Wege.
Die Legitimisten, die zwar dnrch Gründung der Republik sehr bedeutend an Terrain
gewonnen haben, siud doch'noch immer die unterdrückte Partei, denn es handelt
sich hier nicht bloß um die dynastische Frage, der ganze gesellschaftliche und recht¬
liche Zustand Frankreichs ist ein Protest gegen ihr Prüicip. Die Bourgeoisie.,
welche durch die Julirevolution zur Herrschaft gekommen ist, kann warten; sie ist
doch im Besitz. Es wäre nicht undenkbar, daß sie sich vorläufig mit den Bona-
partistcn — d. h. mit den naiven Stellenjägern, die vivo .^^>oI6va! rufen,
weil vom Präsidenten die Aemter und die Besoldungen ausgehen — vereinigten,
um das Werk der Repression mit gemeinsamen Kräften zu fördern, und eine Kristö
zu vermeiden, die immer von Gefahren begleitet ist.

Aber der Mann, den Frankreich in seiner Roth, weil kein besserer möglich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85959"/>
          <p xml:id="ID_1271" prev="#ID_1270"> »erst vom Ubbo Genoude und der Gazette de France empfohlenen Versuch zurück¬<lb/>
kommt, das legitime Königthum dnrch eine Abstimmung des Volks wieder Herzn¬<lb/>
steilen, also die Legitimität aus die Volkssouveränetät zu prvpsen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1272"> Die hochgebornen Gaste, welche diesmal ihren Herrn und König zu Wies¬<lb/>
baden verehren, hatten zu den Zeiten Louis Philipp's einen ähnlichen Abstecher<lb/>
nach Belgrave-Square gemacht. Damals wurden sie von der Kammer sür die<lb/>
Doppelzüngigkeit ihres LchnöeideS gebrandmarkt, und gerade die conservative<lb/>
Partei wurde nicht müde, sie mit Hohn und Spott zu überhäufen. Als sich<lb/>
Berryer mit etwas übertriebenen Pathos darüber beschwerte, daß man Frankreich<lb/>
seine großen Erinnerungen rauben wolle, erwiderte damals Dupin &#x2014; jetzt wieder<lb/>
Präsident der Nationalversammlung &#x2014; das wolle man keineswegs, mau habe<lb/>
ja Molare ein Denkmal errichtet, dem großen Dichter, der solche Lächerlichkeiten,<lb/>
wie die Wallfahrt nach Belgrave-Square, mit Glück gegeißelt habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1273"> Wie wird sich diesmal die Partei verhalten? Eigentlich ist die Sache da¬<lb/>
durch noch complicirter geworden, daß unter den Pilgern nach Wiesbaden einige<lb/>
von den Männern sind, denen die Nationalversammlung bei ihrem Auseinander¬<lb/>
gehen die Hut der Verfassung anvertraut hat. &#x2014; Freilich dürfen diesmal die<lb/>
Orleanisten ihre Verweise nicht sehr lant werden lassen, denn sie haben ihre Auf¬<lb/>
wartung bei der erlauchten Person, welche für sie der Mittelpunkt Frankreichs ist,<lb/>
bereits gemacht, wenn auch mit weniger Feierlichkeit und Salbung, als die legi-<lb/>
timistische Aristokratie. Die bürgerliche Generation, welcher die jüngere Dynastie<lb/>
angehört, geht selbst in ihren Aufzügen mit dem Regenschirm; sie scheidet sich auch<lb/>
äußerlich von dem beneidete» Faubourg Se.-Germain.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1274"> Wie dem anch sei, die compacte Masse der sogenannten conservativen Partei<lb/>
wird nicht lange mehr zusammenhalten. Je näher die Zeit der Entscheidung rückt<lb/>
je schroffer werden die bestimmten Interessen sich von einander sondern. Heinrich<lb/>
hat erklärt, daß vorläufig von einer Annäherung zwischen den beiden Linien des Hauses<lb/>
Bourbon keine Rede wäre, daß er aber zehn Schritte thun wolle, sobald der Chef<lb/>
der Orleans einen thäte. Es steht indessen dieser Versöhnung Manches im Wege.<lb/>
Die Legitimisten, die zwar dnrch Gründung der Republik sehr bedeutend an Terrain<lb/>
gewonnen haben, siud doch'noch immer die unterdrückte Partei, denn es handelt<lb/>
sich hier nicht bloß um die dynastische Frage, der ganze gesellschaftliche und recht¬<lb/>
liche Zustand Frankreichs ist ein Protest gegen ihr Prüicip. Die Bourgeoisie.,<lb/>
welche durch die Julirevolution zur Herrschaft gekommen ist, kann warten; sie ist<lb/>
doch im Besitz. Es wäre nicht undenkbar, daß sie sich vorläufig mit den Bona-<lb/>
partistcn &#x2014; d. h. mit den naiven Stellenjägern, die vivo .^^&gt;oI6va! rufen,<lb/>
weil vom Präsidenten die Aemter und die Besoldungen ausgehen &#x2014; vereinigten,<lb/>
um das Werk der Repression mit gemeinsamen Kräften zu fördern, und eine Kristö<lb/>
zu vermeiden, die immer von Gefahren begleitet ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1275" next="#ID_1276"> Aber der Mann, den Frankreich in seiner Roth, weil kein besserer möglich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0376] »erst vom Ubbo Genoude und der Gazette de France empfohlenen Versuch zurück¬ kommt, das legitime Königthum dnrch eine Abstimmung des Volks wieder Herzn¬ steilen, also die Legitimität aus die Volkssouveränetät zu prvpsen. Die hochgebornen Gaste, welche diesmal ihren Herrn und König zu Wies¬ baden verehren, hatten zu den Zeiten Louis Philipp's einen ähnlichen Abstecher nach Belgrave-Square gemacht. Damals wurden sie von der Kammer sür die Doppelzüngigkeit ihres LchnöeideS gebrandmarkt, und gerade die conservative Partei wurde nicht müde, sie mit Hohn und Spott zu überhäufen. Als sich Berryer mit etwas übertriebenen Pathos darüber beschwerte, daß man Frankreich seine großen Erinnerungen rauben wolle, erwiderte damals Dupin — jetzt wieder Präsident der Nationalversammlung — das wolle man keineswegs, mau habe ja Molare ein Denkmal errichtet, dem großen Dichter, der solche Lächerlichkeiten, wie die Wallfahrt nach Belgrave-Square, mit Glück gegeißelt habe. Wie wird sich diesmal die Partei verhalten? Eigentlich ist die Sache da¬ durch noch complicirter geworden, daß unter den Pilgern nach Wiesbaden einige von den Männern sind, denen die Nationalversammlung bei ihrem Auseinander¬ gehen die Hut der Verfassung anvertraut hat. — Freilich dürfen diesmal die Orleanisten ihre Verweise nicht sehr lant werden lassen, denn sie haben ihre Auf¬ wartung bei der erlauchten Person, welche für sie der Mittelpunkt Frankreichs ist, bereits gemacht, wenn auch mit weniger Feierlichkeit und Salbung, als die legi- timistische Aristokratie. Die bürgerliche Generation, welcher die jüngere Dynastie angehört, geht selbst in ihren Aufzügen mit dem Regenschirm; sie scheidet sich auch äußerlich von dem beneidete» Faubourg Se.-Germain. Wie dem anch sei, die compacte Masse der sogenannten conservativen Partei wird nicht lange mehr zusammenhalten. Je näher die Zeit der Entscheidung rückt je schroffer werden die bestimmten Interessen sich von einander sondern. Heinrich hat erklärt, daß vorläufig von einer Annäherung zwischen den beiden Linien des Hauses Bourbon keine Rede wäre, daß er aber zehn Schritte thun wolle, sobald der Chef der Orleans einen thäte. Es steht indessen dieser Versöhnung Manches im Wege. Die Legitimisten, die zwar dnrch Gründung der Republik sehr bedeutend an Terrain gewonnen haben, siud doch'noch immer die unterdrückte Partei, denn es handelt sich hier nicht bloß um die dynastische Frage, der ganze gesellschaftliche und recht¬ liche Zustand Frankreichs ist ein Protest gegen ihr Prüicip. Die Bourgeoisie., welche durch die Julirevolution zur Herrschaft gekommen ist, kann warten; sie ist doch im Besitz. Es wäre nicht undenkbar, daß sie sich vorläufig mit den Bona- partistcn — d. h. mit den naiven Stellenjägern, die vivo .^^>oI6va! rufen, weil vom Präsidenten die Aemter und die Besoldungen ausgehen — vereinigten, um das Werk der Repression mit gemeinsamen Kräften zu fördern, und eine Kristö zu vermeiden, die immer von Gefahren begleitet ist. Aber der Mann, den Frankreich in seiner Roth, weil kein besserer möglich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/376
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/376>, abgerufen am 27.07.2024.