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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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ligiösen Enthusiasmus*). Das Christenthum, der Islam u. s. w. siud
ebenso idealistischer, ebenso leidenschaftlicher Natur gewesen, und wenn sie die be¬
stehenden Könige gelten ließen, so war das nicht Nespect vor ihnen, sondern ver¬
ächtliche Gleichgiltigkeit gegen alles weltliche Wesen überhaupt. Den Aposteln der
neue" Religion ist es nicht eingefallen, Ehrfurcht gegen das Bestehende zu haben;
ihr Glaube war ein Feuer, das die Bildungen der realen Welt verzehrte, wie der
Glaube unserer modernen Propheten.

Von wem gingen in der neuen Zeit die ersten Bilder des idealen Staats
aus, der dem Willen Gottes gerecht werden sollte, die Moxw, die Oceana, die
<-'1viel>8 8oI1s u. s. w>? Von religiösen Schwärmern, von Männern der fünften
Monarchie. Wer hat die erste große Revolution gemacht? Religiöse Schwärmer,
Männer der fünften Monarchie. Im Namen Gottes ist der Thron Altenglands
gestürzt, ist dem König Karl das Haupt abgeschlagen worden. Der wahre Ver¬
treter des englischen Volks, um mit Herrn v. Gerlach und deu französischen Neac-
tionärs zu reden, die in dem Wahnsinn ihrer Furcht uns Deutsche noch über¬
treffen"), d. h. die Armee, hat, vom heiligen Geiste erfüllt, in der alten Monar¬
chie das Unterste zu oberst gekehrt, um das Reich Gottes auf Erden einzurich¬
ten. Der Unterschied ist nnr, daß der Idealismus, der im Mittelalter außerhalb
des Irdischen sich bewegte, dnrch die Reformation aus das Irdische gelenkt wurde.
In diesem Sinne ist allerdings die Reformation die Quelle unserer Revolutionen,
obgleich die Reformatoren, die einen in der Entwickelung der Zeit nothwendigen
Proceß vollzogen, ohne sich dessen bewußt zu werden, daran ganz'unschuldig waren.
Das Llrs suxreme Robespierre's war freilich ein farbloser, nugestalter Gott, aber
nicht minder blutig, als der Gott Torquemada'S, dem zu Ehren die Scheiterhaufen
loderten.

Die Revolution ist ein Ausdruck des Fanatismus, weil sie von einer Idee
ausgeht. Der irdisch egoistische Wille wird wohl zur Leidenschaft, aber nie zum
Fanatismus, nie zum Wahnsinn, weil er keine Selbstentäußerung enthält.

Und diesen Fanatismus, der darum keineswegs erstorben ist, weil er für den
Augenblick, von der eigenen Anstrengung erschöpft, zusammensinkt, gedenkt die
Reaction durch Predigten zu bekehren? Durch das Dogma der Legitimität, das
Alles, was ist, als solches heiligt? Ein eitles Unternehmen! Denn jener Geist ist
eine dämonische Naturkraft, sein Feuer ein ursprüngliches, der rückwärts ge¬
wandte Glaube des neuen Sanhedrin eine künstliche Gluti), die jenem nicht wider¬
stehen wird. Der Fanatismus wird nur durch die Aufklärung geheilt. --

Der Geist der Revolution -- der auf das weltliche Wesen gerichtete Jdea-




Der etwas Anderes ist, als Frömmigkeit. Die Verwechselung beider Begriffe hat
zr; viel Verkehrtheiten Anlaß gegeben.
Man vergleiche die politische Wochenschau im zweiten Jnliheft der Kevus veux
NwllilsS,
Grenzboten. Ili. 1850. 42

ligiösen Enthusiasmus*). Das Christenthum, der Islam u. s. w. siud
ebenso idealistischer, ebenso leidenschaftlicher Natur gewesen, und wenn sie die be¬
stehenden Könige gelten ließen, so war das nicht Nespect vor ihnen, sondern ver¬
ächtliche Gleichgiltigkeit gegen alles weltliche Wesen überhaupt. Den Aposteln der
neue» Religion ist es nicht eingefallen, Ehrfurcht gegen das Bestehende zu haben;
ihr Glaube war ein Feuer, das die Bildungen der realen Welt verzehrte, wie der
Glaube unserer modernen Propheten.

Von wem gingen in der neuen Zeit die ersten Bilder des idealen Staats
aus, der dem Willen Gottes gerecht werden sollte, die Moxw, die Oceana, die
<-'1viel>8 8oI1s u. s. w>? Von religiösen Schwärmern, von Männern der fünften
Monarchie. Wer hat die erste große Revolution gemacht? Religiöse Schwärmer,
Männer der fünften Monarchie. Im Namen Gottes ist der Thron Altenglands
gestürzt, ist dem König Karl das Haupt abgeschlagen worden. Der wahre Ver¬
treter des englischen Volks, um mit Herrn v. Gerlach und deu französischen Neac-
tionärs zu reden, die in dem Wahnsinn ihrer Furcht uns Deutsche noch über¬
treffen"), d. h. die Armee, hat, vom heiligen Geiste erfüllt, in der alten Monar¬
chie das Unterste zu oberst gekehrt, um das Reich Gottes auf Erden einzurich¬
ten. Der Unterschied ist nnr, daß der Idealismus, der im Mittelalter außerhalb
des Irdischen sich bewegte, dnrch die Reformation aus das Irdische gelenkt wurde.
In diesem Sinne ist allerdings die Reformation die Quelle unserer Revolutionen,
obgleich die Reformatoren, die einen in der Entwickelung der Zeit nothwendigen
Proceß vollzogen, ohne sich dessen bewußt zu werden, daran ganz'unschuldig waren.
Das Llrs suxreme Robespierre's war freilich ein farbloser, nugestalter Gott, aber
nicht minder blutig, als der Gott Torquemada'S, dem zu Ehren die Scheiterhaufen
loderten.

Die Revolution ist ein Ausdruck des Fanatismus, weil sie von einer Idee
ausgeht. Der irdisch egoistische Wille wird wohl zur Leidenschaft, aber nie zum
Fanatismus, nie zum Wahnsinn, weil er keine Selbstentäußerung enthält.

Und diesen Fanatismus, der darum keineswegs erstorben ist, weil er für den
Augenblick, von der eigenen Anstrengung erschöpft, zusammensinkt, gedenkt die
Reaction durch Predigten zu bekehren? Durch das Dogma der Legitimität, das
Alles, was ist, als solches heiligt? Ein eitles Unternehmen! Denn jener Geist ist
eine dämonische Naturkraft, sein Feuer ein ursprüngliches, der rückwärts ge¬
wandte Glaube des neuen Sanhedrin eine künstliche Gluti), die jenem nicht wider¬
stehen wird. Der Fanatismus wird nur durch die Aufklärung geheilt. —

Der Geist der Revolution — der auf das weltliche Wesen gerichtete Jdea-




Der etwas Anderes ist, als Frömmigkeit. Die Verwechselung beider Begriffe hat
zr; viel Verkehrtheiten Anlaß gegeben.
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NwllilsS,
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[0337] ligiösen Enthusiasmus*). Das Christenthum, der Islam u. s. w. siud ebenso idealistischer, ebenso leidenschaftlicher Natur gewesen, und wenn sie die be¬ stehenden Könige gelten ließen, so war das nicht Nespect vor ihnen, sondern ver¬ ächtliche Gleichgiltigkeit gegen alles weltliche Wesen überhaupt. Den Aposteln der neue» Religion ist es nicht eingefallen, Ehrfurcht gegen das Bestehende zu haben; ihr Glaube war ein Feuer, das die Bildungen der realen Welt verzehrte, wie der Glaube unserer modernen Propheten. Von wem gingen in der neuen Zeit die ersten Bilder des idealen Staats aus, der dem Willen Gottes gerecht werden sollte, die Moxw, die Oceana, die <-'1viel>8 8oI1s u. s. w>? Von religiösen Schwärmern, von Männern der fünften Monarchie. Wer hat die erste große Revolution gemacht? Religiöse Schwärmer, Männer der fünften Monarchie. Im Namen Gottes ist der Thron Altenglands gestürzt, ist dem König Karl das Haupt abgeschlagen worden. Der wahre Ver¬ treter des englischen Volks, um mit Herrn v. Gerlach und deu französischen Neac- tionärs zu reden, die in dem Wahnsinn ihrer Furcht uns Deutsche noch über¬ treffen"), d. h. die Armee, hat, vom heiligen Geiste erfüllt, in der alten Monar¬ chie das Unterste zu oberst gekehrt, um das Reich Gottes auf Erden einzurich¬ ten. Der Unterschied ist nnr, daß der Idealismus, der im Mittelalter außerhalb des Irdischen sich bewegte, dnrch die Reformation aus das Irdische gelenkt wurde. In diesem Sinne ist allerdings die Reformation die Quelle unserer Revolutionen, obgleich die Reformatoren, die einen in der Entwickelung der Zeit nothwendigen Proceß vollzogen, ohne sich dessen bewußt zu werden, daran ganz'unschuldig waren. Das Llrs suxreme Robespierre's war freilich ein farbloser, nugestalter Gott, aber nicht minder blutig, als der Gott Torquemada'S, dem zu Ehren die Scheiterhaufen loderten. Die Revolution ist ein Ausdruck des Fanatismus, weil sie von einer Idee ausgeht. Der irdisch egoistische Wille wird wohl zur Leidenschaft, aber nie zum Fanatismus, nie zum Wahnsinn, weil er keine Selbstentäußerung enthält. Und diesen Fanatismus, der darum keineswegs erstorben ist, weil er für den Augenblick, von der eigenen Anstrengung erschöpft, zusammensinkt, gedenkt die Reaction durch Predigten zu bekehren? Durch das Dogma der Legitimität, das Alles, was ist, als solches heiligt? Ein eitles Unternehmen! Denn jener Geist ist eine dämonische Naturkraft, sein Feuer ein ursprüngliches, der rückwärts ge¬ wandte Glaube des neuen Sanhedrin eine künstliche Gluti), die jenem nicht wider¬ stehen wird. Der Fanatismus wird nur durch die Aufklärung geheilt. — Der Geist der Revolution — der auf das weltliche Wesen gerichtete Jdea- Der etwas Anderes ist, als Frömmigkeit. Die Verwechselung beider Begriffe hat zr; viel Verkehrtheiten Anlaß gegeben. Man vergleiche die politische Wochenschau im zweiten Jnliheft der Kevus veux NwllilsS, Grenzboten. Ili. 1850. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/337>, abgerufen am 21.11.2024.