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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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wirkliche Partei sich stark genug fühlen wird, für bestimmte Zwecke zu arbeiten.
Denn die sogenannte conservative ist keine wirkliche Partei: sie ist die bloße
Negation des revolutionären Princips, und wird in ihre" einzelnen Maßregeln
nichts anders thun, als die Ausflüsse des lejztcru durch den directen Gegensatz
aufhebe". Sie ist unprodnctiv, weil sie von ihrem Gegensatz bestimmt wird.

Es ist daraus auch die theoretische Abneigung zu erklären, die sie gegen
jeden Versuch eiuer Miticlparlci, die theoretische Zuneigung, die sie gegen die
extremsten Gegner an den Tag legt. Denn in der Eristenz, der Lehre, der Leiden¬
schaft der letztern fühlt sie ihre eigene Berechtigung; während die Bestrebungen
der Mittelpartei, die nie ans den abstracten Gegensätzen von Revolution und
Reaction, sondern aus einem cou.ernten, dein bloßen Verstand wie der bloßen
Leidenschaft unverständlichen Zweck hervorgehen, sie irre machen und sie ebeu
dadurch aufbringen. Die Glaubensartikel der Reaction, wie die des Jacobinismus,
sind so einfach und handgreiflich, daß auch der schlichteste Trenbündler, der ein¬
fältigste Kanonier, der zerlumpteste Proletarier sie versteht, dagegen ans eine Idee
einzugehen, wie sie Heinrich Gagern in seiner berühmten Rede über das Verhältnis^
Oestreichs zu Preußen entwickelte, dazu gehört Sinn für das Positive, Lebendige,
das sich in abstracten Phrasen nie erschöpft.

Die Doctrin der reinen Legitimität, eben weil sie nichts Anderes ist, als eine
Umkehrung der Principien der Revolution, ist ebenso inhaltlos, ebenso unprodnctiv,
als ihre Praxis. Sie ist mit einem Credo, das sich ans ein paar Seiten zu¬
sammendrängen läßt, vollkommen fertig, und kaun aus sich nichts weiter entwickeln,
sie kann sich nnr wiederholen.

Nichts wäre aber thörichter, als mit diesen: Princip zugleich die wissenschaftlichen
Anstrengungen seiner Vertreter abfertigen zu wollen. Es fällt mir nicht ein, von
Niebuhr, Savigny, oder den Verfassern der oben angeführten Schriften, dem preu-
ßischen Professor, wie dem ungarischen Aristokraten, zu behaupten, sie seien inhaltslos
oder nnproductiv; im Gegentheil sinde ich bei ihnen in Bezug auf manche Fragen,
die auf das innerste Mark unserer gegenwärtigen Bewegung eingehen, eine klarere
und bestimmtere Einsicht, als bei Vielen meiner politischen Glaubensgenossen; ich
behaupte aber mit Bestimmtheit, daß diese niemals aus ihrem angeblichen Princip
hervorgeht. Denn das Princip bleibt bei allen wirklichen, d. h. concreten, nicht
durch ein einfaches Credo zu erledigenden Fragen stumm und rathlos. Nur in der
Kritik der revolutionären Doctrin ist es fruchtbar, weil diese selbst ans Abstractionen
besteht.

Um das Princip der Legitimität zu analysiren, muß ich zunächst auf seinen
Gegensatz eingehen, weil derselbe sein einziger Inhalt ist:') die Revolution.



Als Beleg eine Stelle eins Stahl, an die ich schon früher einmal erinnert habe:
Der tiefste Grund der Verwerflichkeit der Volkssouveränetät aber liegt in dem, was ihr in-

wirkliche Partei sich stark genug fühlen wird, für bestimmte Zwecke zu arbeiten.
Denn die sogenannte conservative ist keine wirkliche Partei: sie ist die bloße
Negation des revolutionären Princips, und wird in ihre» einzelnen Maßregeln
nichts anders thun, als die Ausflüsse des lejztcru durch den directen Gegensatz
aufhebe». Sie ist unprodnctiv, weil sie von ihrem Gegensatz bestimmt wird.

Es ist daraus auch die theoretische Abneigung zu erklären, die sie gegen
jeden Versuch eiuer Miticlparlci, die theoretische Zuneigung, die sie gegen die
extremsten Gegner an den Tag legt. Denn in der Eristenz, der Lehre, der Leiden¬
schaft der letztern fühlt sie ihre eigene Berechtigung; während die Bestrebungen
der Mittelpartei, die nie ans den abstracten Gegensätzen von Revolution und
Reaction, sondern aus einem cou.ernten, dein bloßen Verstand wie der bloßen
Leidenschaft unverständlichen Zweck hervorgehen, sie irre machen und sie ebeu
dadurch aufbringen. Die Glaubensartikel der Reaction, wie die des Jacobinismus,
sind so einfach und handgreiflich, daß auch der schlichteste Trenbündler, der ein¬
fältigste Kanonier, der zerlumpteste Proletarier sie versteht, dagegen ans eine Idee
einzugehen, wie sie Heinrich Gagern in seiner berühmten Rede über das Verhältnis^
Oestreichs zu Preußen entwickelte, dazu gehört Sinn für das Positive, Lebendige,
das sich in abstracten Phrasen nie erschöpft.

Die Doctrin der reinen Legitimität, eben weil sie nichts Anderes ist, als eine
Umkehrung der Principien der Revolution, ist ebenso inhaltlos, ebenso unprodnctiv,
als ihre Praxis. Sie ist mit einem Credo, das sich ans ein paar Seiten zu¬
sammendrängen läßt, vollkommen fertig, und kaun aus sich nichts weiter entwickeln,
sie kann sich nnr wiederholen.

Nichts wäre aber thörichter, als mit diesen: Princip zugleich die wissenschaftlichen
Anstrengungen seiner Vertreter abfertigen zu wollen. Es fällt mir nicht ein, von
Niebuhr, Savigny, oder den Verfassern der oben angeführten Schriften, dem preu-
ßischen Professor, wie dem ungarischen Aristokraten, zu behaupten, sie seien inhaltslos
oder nnproductiv; im Gegentheil sinde ich bei ihnen in Bezug auf manche Fragen,
die auf das innerste Mark unserer gegenwärtigen Bewegung eingehen, eine klarere
und bestimmtere Einsicht, als bei Vielen meiner politischen Glaubensgenossen; ich
behaupte aber mit Bestimmtheit, daß diese niemals aus ihrem angeblichen Princip
hervorgeht. Denn das Princip bleibt bei allen wirklichen, d. h. concreten, nicht
durch ein einfaches Credo zu erledigenden Fragen stumm und rathlos. Nur in der
Kritik der revolutionären Doctrin ist es fruchtbar, weil diese selbst ans Abstractionen
besteht.

Um das Princip der Legitimität zu analysiren, muß ich zunächst auf seinen
Gegensatz eingehen, weil derselbe sein einziger Inhalt ist:') die Revolution.



Als Beleg eine Stelle eins Stahl, an die ich schon früher einmal erinnert habe:
Der tiefste Grund der Verwerflichkeit der Volkssouveränetät aber liegt in dem, was ihr in-
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[0330] wirkliche Partei sich stark genug fühlen wird, für bestimmte Zwecke zu arbeiten. Denn die sogenannte conservative ist keine wirkliche Partei: sie ist die bloße Negation des revolutionären Princips, und wird in ihre» einzelnen Maßregeln nichts anders thun, als die Ausflüsse des lejztcru durch den directen Gegensatz aufhebe». Sie ist unprodnctiv, weil sie von ihrem Gegensatz bestimmt wird. Es ist daraus auch die theoretische Abneigung zu erklären, die sie gegen jeden Versuch eiuer Miticlparlci, die theoretische Zuneigung, die sie gegen die extremsten Gegner an den Tag legt. Denn in der Eristenz, der Lehre, der Leiden¬ schaft der letztern fühlt sie ihre eigene Berechtigung; während die Bestrebungen der Mittelpartei, die nie ans den abstracten Gegensätzen von Revolution und Reaction, sondern aus einem cou.ernten, dein bloßen Verstand wie der bloßen Leidenschaft unverständlichen Zweck hervorgehen, sie irre machen und sie ebeu dadurch aufbringen. Die Glaubensartikel der Reaction, wie die des Jacobinismus, sind so einfach und handgreiflich, daß auch der schlichteste Trenbündler, der ein¬ fältigste Kanonier, der zerlumpteste Proletarier sie versteht, dagegen ans eine Idee einzugehen, wie sie Heinrich Gagern in seiner berühmten Rede über das Verhältnis^ Oestreichs zu Preußen entwickelte, dazu gehört Sinn für das Positive, Lebendige, das sich in abstracten Phrasen nie erschöpft. Die Doctrin der reinen Legitimität, eben weil sie nichts Anderes ist, als eine Umkehrung der Principien der Revolution, ist ebenso inhaltlos, ebenso unprodnctiv, als ihre Praxis. Sie ist mit einem Credo, das sich ans ein paar Seiten zu¬ sammendrängen läßt, vollkommen fertig, und kaun aus sich nichts weiter entwickeln, sie kann sich nnr wiederholen. Nichts wäre aber thörichter, als mit diesen: Princip zugleich die wissenschaftlichen Anstrengungen seiner Vertreter abfertigen zu wollen. Es fällt mir nicht ein, von Niebuhr, Savigny, oder den Verfassern der oben angeführten Schriften, dem preu- ßischen Professor, wie dem ungarischen Aristokraten, zu behaupten, sie seien inhaltslos oder nnproductiv; im Gegentheil sinde ich bei ihnen in Bezug auf manche Fragen, die auf das innerste Mark unserer gegenwärtigen Bewegung eingehen, eine klarere und bestimmtere Einsicht, als bei Vielen meiner politischen Glaubensgenossen; ich behaupte aber mit Bestimmtheit, daß diese niemals aus ihrem angeblichen Princip hervorgeht. Denn das Princip bleibt bei allen wirklichen, d. h. concreten, nicht durch ein einfaches Credo zu erledigenden Fragen stumm und rathlos. Nur in der Kritik der revolutionären Doctrin ist es fruchtbar, weil diese selbst ans Abstractionen besteht. Um das Princip der Legitimität zu analysiren, muß ich zunächst auf seinen Gegensatz eingehen, weil derselbe sein einziger Inhalt ist:') die Revolution. Als Beleg eine Stelle eins Stahl, an die ich schon früher einmal erinnert habe: Der tiefste Grund der Verwerflichkeit der Volkssouveränetät aber liegt in dem, was ihr in-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/330>, abgerufen am 27.07.2024.