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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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von ihm Ablaß erkaufen könne. Aber das Papstthum machte es den Leuten zu
bequem, in ihnen regte sich das Bedürfniß, mit mehr Gesinnung Sünder zu sein.
Und dies Bediirfuiß befriedigte die Reformation.

"Konnte man sich um einen Schnecberger Groschen von einer Sünde los¬
kaufe", so war die Sünde ja Nichts mehr Werth; hatte nun aber nicht Christus
um der Sünden der Menschen willen das Kreuz auf sich genommen? Waren
nicht die Sünden der Preis, um den der Mensch die Wohlthaten des Sohnes
Gottes erkauft hatte? Verlor der Mensch also nicht Christum, wenn er die Sünde
verlor? Gerade das Bewußtsein, hurtig zu sein, so unendlich hurtig zu sein,
daß ihn keine irdische Macht erretten könne, dieses Bewußtsein, welches seiner
Seele die Kleider der Hochfahrt abriß und sie in den Korb schleifte, dieses Be¬
wußtsein der Verderbtheit gab dem Christen zugleich das Gefühl der Erhabenheit-
denn wegen seiner Sünde war Gott Mensch geworden. Sollte nun Christus
deshalb gestorben sein, damit dem Menschen die Sündlosigkeit, d. h. damit ihm
Christi Leiden, sein Krenz, sein Tvdcsschmerz für ein paar Silberlinge verkauft
ward? O nein, es galt, diesem Tetzel gegenüber recht innig das Bewußtsein der
angeerbten Sünde wiederznerobern, einer Sünde, die durch kein gutes Werk, nur
durch deu guten Glanben an den Erlöser, durch die glaubensvolle Aneignung
Christi weggenommen werden konnte. --

"Die christliche Religion war ein Erzeugniß des politischen Umschwunges,
welcher im römischen Reiche, längst schon vorbereitet, mit Einführung des Kaiser-
thums an's Licht trat. Hatte nämlich bisher die Kräftigkeit, der männliche Stolz,
der Freiheitssinn der Aristokratie eine Alleinherrschaft unmöglich gemacht, so war
das Hervortreten einer einzigen Persönlichkeit, eines üppigen Imperators der
Beweis dafür, daß eine gleichartige unterthänige Pvbelmasse entstanden, daß die
Aristokratie, ihren männlichen Eigenwillen verlierend, zum Pöbel herabgesunken,
daß sie fähig geworden war, das Unterthancnbewußtsein in sich auszunehmen.

"Da entstand das Christenthum als eine Religion des gemeinen Mannes, es
entstand eine Religion, die dem Charakter der Zeit angemessen war, gleich wie
den aristokratischen Verhältnissen der alten Welt aristokratische Religionen ent¬
sprochen hatten: in der alten Welt herrschte kein kaiserlicher Gott, göttliche Adels-
geschlechter nahmen die olympischen Sitze ein; die genialen Göttcraristokraten er¬
kannten ihren Zeus, ihren Jupiter nur als Ersten unter Gleichen an, und spielten
ihm oft genug hinterm Rücken die köstlichsten Streiche, um ihm zu beweisen, daß
sein Wille sie nichts Scheere.

"Als nun die Devotion des Pöbels zur Herrschaft kam, als der Pöbel seinen
nivellirendeu Repräsentanten als Kaiser auf den Thron setzte, war die neue Reli¬
gion alsbald gefunden. Die Lieferung derselben übernahm das Pöbclvolk der alten
Welt, die Israeliten, ein Volk, welches, so lange es denken konnte, das Knechts-
bewnßtsein gehabt, welches seiner eigenen Sage nach nie die Kraft besessen hatte,


von ihm Ablaß erkaufen könne. Aber das Papstthum machte es den Leuten zu
bequem, in ihnen regte sich das Bedürfniß, mit mehr Gesinnung Sünder zu sein.
Und dies Bediirfuiß befriedigte die Reformation.

„Konnte man sich um einen Schnecberger Groschen von einer Sünde los¬
kaufe», so war die Sünde ja Nichts mehr Werth; hatte nun aber nicht Christus
um der Sünden der Menschen willen das Kreuz auf sich genommen? Waren
nicht die Sünden der Preis, um den der Mensch die Wohlthaten des Sohnes
Gottes erkauft hatte? Verlor der Mensch also nicht Christum, wenn er die Sünde
verlor? Gerade das Bewußtsein, hurtig zu sein, so unendlich hurtig zu sein,
daß ihn keine irdische Macht erretten könne, dieses Bewußtsein, welches seiner
Seele die Kleider der Hochfahrt abriß und sie in den Korb schleifte, dieses Be¬
wußtsein der Verderbtheit gab dem Christen zugleich das Gefühl der Erhabenheit-
denn wegen seiner Sünde war Gott Mensch geworden. Sollte nun Christus
deshalb gestorben sein, damit dem Menschen die Sündlosigkeit, d. h. damit ihm
Christi Leiden, sein Krenz, sein Tvdcsschmerz für ein paar Silberlinge verkauft
ward? O nein, es galt, diesem Tetzel gegenüber recht innig das Bewußtsein der
angeerbten Sünde wiederznerobern, einer Sünde, die durch kein gutes Werk, nur
durch deu guten Glanben an den Erlöser, durch die glaubensvolle Aneignung
Christi weggenommen werden konnte. —

„Die christliche Religion war ein Erzeugniß des politischen Umschwunges,
welcher im römischen Reiche, längst schon vorbereitet, mit Einführung des Kaiser-
thums an's Licht trat. Hatte nämlich bisher die Kräftigkeit, der männliche Stolz,
der Freiheitssinn der Aristokratie eine Alleinherrschaft unmöglich gemacht, so war
das Hervortreten einer einzigen Persönlichkeit, eines üppigen Imperators der
Beweis dafür, daß eine gleichartige unterthänige Pvbelmasse entstanden, daß die
Aristokratie, ihren männlichen Eigenwillen verlierend, zum Pöbel herabgesunken,
daß sie fähig geworden war, das Unterthancnbewußtsein in sich auszunehmen.

„Da entstand das Christenthum als eine Religion des gemeinen Mannes, es
entstand eine Religion, die dem Charakter der Zeit angemessen war, gleich wie
den aristokratischen Verhältnissen der alten Welt aristokratische Religionen ent¬
sprochen hatten: in der alten Welt herrschte kein kaiserlicher Gott, göttliche Adels-
geschlechter nahmen die olympischen Sitze ein; die genialen Göttcraristokraten er¬
kannten ihren Zeus, ihren Jupiter nur als Ersten unter Gleichen an, und spielten
ihm oft genug hinterm Rücken die köstlichsten Streiche, um ihm zu beweisen, daß
sein Wille sie nichts Scheere.

„Als nun die Devotion des Pöbels zur Herrschaft kam, als der Pöbel seinen
nivellirendeu Repräsentanten als Kaiser auf den Thron setzte, war die neue Reli¬
gion alsbald gefunden. Die Lieferung derselben übernahm das Pöbclvolk der alten
Welt, die Israeliten, ein Volk, welches, so lange es denken konnte, das Knechts-
bewnßtsein gehabt, welches seiner eigenen Sage nach nie die Kraft besessen hatte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/318>, abgerufen am 01.09.2024.