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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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beschäftigten. Es gehört das verkümmerte Wesen unserer deutschen Verhältnisse
dazu, jene unendliche Sehnsucht uach ursprünglichen Naturen zu erzeugen, die
selber etwas Krankhaftes hat, wie die Quelle, .aus der sie entspringt. Ein Volk mit
einer reichen Geschichte und einem im Ganzen gesunden gesellschaftlichen Leben läßt
diesen träumerischen Gelüsten der Phantasie nur nebenbei Spielraum; es vertieft
sich lieber mit Walter Scott in die Ruinen seiner großen Vorzeit, oder mit
Dickens in das geschäftig bunte Treiben seines Markes, als daß es mit dem letzten
der Mohicaner für das freie Jagdrecht am Mississippi schwärmen sollte. In neuerer
Zeit sind die Schriften der Engländer über Nordamerika fast ausschließlich ernster
Natur; sie studiren das Land in national-ökonomischer, politischer, geologischer
Beziehung, und geben dann die Resultate ihrer Forschung in einfachen, anspruchs¬
losen Darstellungen.

Unser Interesse an Nordamerika hat noch immer einen romantischen Anstrich;
<>S wirkt noch immer mehr auf unsere Phantasie, als auf unfern Verstand. Selbst
bei unsern Auswanderungen ist das der Fall. Wie gerade unsere politischen
Chancen stehen, sind es bald die Heulmayer, bald die Wühlhuber, die zu den
Alligatoren flüchten wollen, um des unbequemen Geschäfts des beständigen Ringens
und Sorgens überhoben zu sein. Der Britte sucht einen angemessenen Schauplatz
für seiue Thätigkeit, nur suchen Ruhe und Frieden'für unser Gemüth. Unsere
Opposition, wo sie nicht durch den Schwindel einer augenblicklichen Aufregung
berauscht ist, hat den Muth der Flucht, des passiven Widerstandes, der pessimi¬
stischen Resignation, der träumerischen Sehnsucht nach dem Eldorado, wo in den
Urwäldern Gasflammen leuchten und bequeme Trottoirs über Cypresseusümpse
führen, wo die Rothhäute dem staunenden Sohn Germaniens Ballette ausführen,
und nebenbei jene reine Luft der Freiheit weht, die überall zu finden ist, "wo
der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual".

Wäre nur uicht die Seereise! -- Ein echt deutsches Gemüth begnügt sich
damit, seine Repräsentanten nach des Arkansas Hohen zu schicken, "wo die Banner
der Freiheit Wehn", wie es in dem alten Dcmagogenlied heißt, das damit an¬
fängt, die Fürsten zu hängen, und damit schließt, über's Meer zu flüchten.

Freilich gab es eine Zeit -- es war in den heißen Tagen von >48 -- wo
das deutsche Gemüth zu Hause seiue Beschäftigung fand, wo es seiue Phantasie
in den heimischen Wäldern konnte spielen lassen. Damals hätten es die Kaliforni¬
schen Goldgruben, der mexicanische Krieg und der Flibustierzug nach Euba kalt
gelassen. Aber diese Zeit ist vorüber. Das deutsche Gemüth hat wieder jene
gründliche Selbstverachtung eingesogen, in der es sich vor den Märztagen ge¬
nügte, und die es befähigte, den Faschingsauszügen ans aller Herren Ländern
den weitesten Schauplatz zu bieten. Es wird seine "Anna Hammer", und wie
sonst seine Tendenznovellen heißen, bei Seite werfen und wieder den Mährchen
aus der Fremde lauschen.


Gvcnzbotctt. IU. 1830. 39

beschäftigten. Es gehört das verkümmerte Wesen unserer deutschen Verhältnisse
dazu, jene unendliche Sehnsucht uach ursprünglichen Naturen zu erzeugen, die
selber etwas Krankhaftes hat, wie die Quelle, .aus der sie entspringt. Ein Volk mit
einer reichen Geschichte und einem im Ganzen gesunden gesellschaftlichen Leben läßt
diesen träumerischen Gelüsten der Phantasie nur nebenbei Spielraum; es vertieft
sich lieber mit Walter Scott in die Ruinen seiner großen Vorzeit, oder mit
Dickens in das geschäftig bunte Treiben seines Markes, als daß es mit dem letzten
der Mohicaner für das freie Jagdrecht am Mississippi schwärmen sollte. In neuerer
Zeit sind die Schriften der Engländer über Nordamerika fast ausschließlich ernster
Natur; sie studiren das Land in national-ökonomischer, politischer, geologischer
Beziehung, und geben dann die Resultate ihrer Forschung in einfachen, anspruchs¬
losen Darstellungen.

Unser Interesse an Nordamerika hat noch immer einen romantischen Anstrich;
<>S wirkt noch immer mehr auf unsere Phantasie, als auf unfern Verstand. Selbst
bei unsern Auswanderungen ist das der Fall. Wie gerade unsere politischen
Chancen stehen, sind es bald die Heulmayer, bald die Wühlhuber, die zu den
Alligatoren flüchten wollen, um des unbequemen Geschäfts des beständigen Ringens
und Sorgens überhoben zu sein. Der Britte sucht einen angemessenen Schauplatz
für seiue Thätigkeit, nur suchen Ruhe und Frieden'für unser Gemüth. Unsere
Opposition, wo sie nicht durch den Schwindel einer augenblicklichen Aufregung
berauscht ist, hat den Muth der Flucht, des passiven Widerstandes, der pessimi¬
stischen Resignation, der träumerischen Sehnsucht nach dem Eldorado, wo in den
Urwäldern Gasflammen leuchten und bequeme Trottoirs über Cypresseusümpse
führen, wo die Rothhäute dem staunenden Sohn Germaniens Ballette ausführen,
und nebenbei jene reine Luft der Freiheit weht, die überall zu finden ist, „wo
der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual".

Wäre nur uicht die Seereise! — Ein echt deutsches Gemüth begnügt sich
damit, seine Repräsentanten nach des Arkansas Hohen zu schicken, „wo die Banner
der Freiheit Wehn", wie es in dem alten Dcmagogenlied heißt, das damit an¬
fängt, die Fürsten zu hängen, und damit schließt, über's Meer zu flüchten.

Freilich gab es eine Zeit — es war in den heißen Tagen von >48 — wo
das deutsche Gemüth zu Hause seiue Beschäftigung fand, wo es seiue Phantasie
in den heimischen Wäldern konnte spielen lassen. Damals hätten es die Kaliforni¬
schen Goldgruben, der mexicanische Krieg und der Flibustierzug nach Euba kalt
gelassen. Aber diese Zeit ist vorüber. Das deutsche Gemüth hat wieder jene
gründliche Selbstverachtung eingesogen, in der es sich vor den Märztagen ge¬
nügte, und die es befähigte, den Faschingsauszügen ans aller Herren Ländern
den weitesten Schauplatz zu bieten. Es wird seine „Anna Hammer", und wie
sonst seine Tendenznovellen heißen, bei Seite werfen und wieder den Mährchen
aus der Fremde lauschen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/313>, abgerufen am 27.07.2024.