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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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in den Hügeln unterhalb des Kaukasus zwecklos umhergetrieben. Die Tscherkessen
behandelten den Krieg wie eine Neckerei. Sie erschienen stets da, wo die Russen
nicht waren, und überrumpelten die kleinen elenden Forts da, wo die Russen
einen Angriff am wenigsten vermutheten. Erst im Juli kam es zu einigen ernsten
Kämpfen. Im ersten und zweiten kam ich nur in ein schwaches Feuer; das
dritte war ein nächtlicher Ueberfall, bei diesem wurden mir zwei Finger an der
linken Hand zerschmettert.

Die schlechte Behandlung der Wunde machte, daß der Arm ein steifes Hand¬
gelenk bekam. Er war über dieses Unglück entzückt, in der Meinung, daß es ihn
vom Militärdienst befreien und den Weg nach dem Vaterlande bahnen werde.
Allein seine Hoffnung täuschte ihn. Er wurde in das Fort J.k. zum Patronen-
macheu geschickt. Diese sür ihn wegen seiner gelähmten Hand viel mehr
als für einen andern mühselige Arbeit mußte er drei Jahre lang verrichten, "die
Hvllenzeit seines Lebens". .

Als endlich die Besatzung der Festung gewechselt wurde, wagte es D., ein Gesuch
einzureichen, um in einer anderen Weise verwendet zu werden. Der Oberst be¬
handelte diese Vermessenheit aber wie der Lieutenant auf der Dnieprpaste, und
D. hatte zwanzig Knutenschläge zu erdulden. Dieses schreckte ihn indeß nicht ab,
ein zweites gleiches Gesuch einzureichen, der Oberst beschied aber wiederum mit
zwanzig Kuuteuschlägeu und kündigte dem Supplicanten an, daß, wenn er " "aber¬
mals eiuen solchen Wisch schicke, er ihn todtschlagen lassen wolle"". Auch diese
Drohung hielt ihn nicht ab, dem General W., welcher die Festung inspicirte, ein,
wie er selbst sagt, wirklich rührendes Gesuch persönlich zu überreichen und es mit
eiuer mündlichen Auseinandersetzung zu begleite", die der General gnädig anhörte.
" Er hatte die Kaukasusarmce erst übernommen und war daher bei guter Laune."
Noch an demselben Tage, und zwar mündlich, erhielt er dnrch einen Adjutanten
Resolution. Das Glück sollte ihm zu Theil werden, als Straßeuwächter in K.,
ziemlich nahe seinem Vaterlande, zu figuriren. Dieser, Soldatendienst, vor dem
ich stets ein jämmerliches Grauen empfunden, mußte mir wegen seiner allzugroßen
Erbärmlichkeit natürlich als eine fast unerträgliche Schmach erscheinen; allein --
nur 79 Meilen von meiner Heimat!): "das war mir ein Hüumclsglück." Nachdem
er seine Montirnngsstücke abgegeben und schlechtere dafür empfangen, machte er
sich, von dem Adjutanten im Namen deö Generals W. mit einem Silberrubel be¬
schenkt, ans den Marsch und erreichte K. noch vor Ende deö Jahres.

Von hier ans gelang es ihm, Briese und eine umständliche Schilderung seines
bisherigen Ergehens an seine Mutter beizubringen. Bisher hatte seine oft nach¬
fragende Mittler nur erdichtete Auskunft von dem Militärbureau des Ortes er¬
halten, in welchem sie lebte. Die Nachrichten aber, welche er seiner Familie gegeben,
hatten für ihn eine seltsamere Folge, als alle seine früheren Bittschriften. Durch
Fürsprache erwirkte man ihm zwar nicht Entlassung, aber doch eine große Erleich-


in den Hügeln unterhalb des Kaukasus zwecklos umhergetrieben. Die Tscherkessen
behandelten den Krieg wie eine Neckerei. Sie erschienen stets da, wo die Russen
nicht waren, und überrumpelten die kleinen elenden Forts da, wo die Russen
einen Angriff am wenigsten vermutheten. Erst im Juli kam es zu einigen ernsten
Kämpfen. Im ersten und zweiten kam ich nur in ein schwaches Feuer; das
dritte war ein nächtlicher Ueberfall, bei diesem wurden mir zwei Finger an der
linken Hand zerschmettert.

Die schlechte Behandlung der Wunde machte, daß der Arm ein steifes Hand¬
gelenk bekam. Er war über dieses Unglück entzückt, in der Meinung, daß es ihn
vom Militärdienst befreien und den Weg nach dem Vaterlande bahnen werde.
Allein seine Hoffnung täuschte ihn. Er wurde in das Fort J.k. zum Patronen-
macheu geschickt. Diese sür ihn wegen seiner gelähmten Hand viel mehr
als für einen andern mühselige Arbeit mußte er drei Jahre lang verrichten, „die
Hvllenzeit seines Lebens". .

Als endlich die Besatzung der Festung gewechselt wurde, wagte es D., ein Gesuch
einzureichen, um in einer anderen Weise verwendet zu werden. Der Oberst be¬
handelte diese Vermessenheit aber wie der Lieutenant auf der Dnieprpaste, und
D. hatte zwanzig Knutenschläge zu erdulden. Dieses schreckte ihn indeß nicht ab,
ein zweites gleiches Gesuch einzureichen, der Oberst beschied aber wiederum mit
zwanzig Kuuteuschlägeu und kündigte dem Supplicanten an, daß, wenn er „ „aber¬
mals eiuen solchen Wisch schicke, er ihn todtschlagen lassen wolle"". Auch diese
Drohung hielt ihn nicht ab, dem General W., welcher die Festung inspicirte, ein,
wie er selbst sagt, wirklich rührendes Gesuch persönlich zu überreichen und es mit
eiuer mündlichen Auseinandersetzung zu begleite», die der General gnädig anhörte.
„ Er hatte die Kaukasusarmce erst übernommen und war daher bei guter Laune."
Noch an demselben Tage, und zwar mündlich, erhielt er dnrch einen Adjutanten
Resolution. Das Glück sollte ihm zu Theil werden, als Straßeuwächter in K.,
ziemlich nahe seinem Vaterlande, zu figuriren. Dieser, Soldatendienst, vor dem
ich stets ein jämmerliches Grauen empfunden, mußte mir wegen seiner allzugroßen
Erbärmlichkeit natürlich als eine fast unerträgliche Schmach erscheinen; allein —
nur 79 Meilen von meiner Heimat!): „das war mir ein Hüumclsglück." Nachdem
er seine Montirnngsstücke abgegeben und schlechtere dafür empfangen, machte er
sich, von dem Adjutanten im Namen deö Generals W. mit einem Silberrubel be¬
schenkt, ans den Marsch und erreichte K. noch vor Ende deö Jahres.

Von hier ans gelang es ihm, Briese und eine umständliche Schilderung seines
bisherigen Ergehens an seine Mutter beizubringen. Bisher hatte seine oft nach¬
fragende Mittler nur erdichtete Auskunft von dem Militärbureau des Ortes er¬
halten, in welchem sie lebte. Die Nachrichten aber, welche er seiner Familie gegeben,
hatten für ihn eine seltsamere Folge, als alle seine früheren Bittschriften. Durch
Fürsprache erwirkte man ihm zwar nicht Entlassung, aber doch eine große Erleich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/31>, abgerufen am 27.07.2024.