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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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nigt, aber ohne die Fülle der Erfindung, ohne die charakteristische Mannigfaltig¬
keit, ohne das dramatische Feuer. Dieser Styl ist mit großer Bestimmtheit in
Fasch, seinem Gründer, ausgebildet. Fasch ist dadurch von großer Bedeutung
für die Kunstgeschichte, vou viel größerer, als man im Allgemeinen es weiß. Er
ist nicht bloß der Gründer der Singakademie, nicht bloß ein geschmackvoller
Componist unter vielen Andern, sondern er ist der Gründer einer bestimmten
Schule, die durch ihren Hauptsitz und durch de" Kreis, innerhalb dessen 'sie
wirkt, einen hervorragenden Einfluß hat. Die Werke, die von Fasch jetzt noch
erhalten sind, sind acht- bis sechszehustimmig. Damit ist ein steter Wechsel von
Solo - und Chorgesang verbunden. Bei dieser ungemeinen innern Mannigfaltig¬
keit hat er dennoch eine solche Klarheit erreicht, daß mau ihm gerade um dieser
zu großen Klarheit willen nicht den höchsten Preis zuerkennen kann. Er war
so streng gegen sich selbst, daß er feilte meisten Compositionen vor dem Tode ver¬
brennen ließ. Darum erreichte er aber auch diese gänzliche Makellosigkeit, darum
diese Reinheit deö Styls, so daß nicht leicht irgend eine Spur der Nachlässigkeit,
der Unordentlichst, des Unedeln sich finden möchte. Dein entsprechend war die
Art, wie er die Singakademie leitete: es herrschte eine Sauberkeit der Ausführung,
von der dies Institut heute keine Ahnung mehr hat. Die maßvolle und wahr¬
haft gebildete Heiterkeit seines Styls, die übrigens darin von der italienischen
Formschönheit sich unterscheidet, daß sie eine zarte, gemilderte, weniger glänzende
Klangfarbe hat -- dem Gegensatz vou Süd und Nord entsprechend -- entbehrt
nur allerdings eines liefern, auf der gesammten Natur deö Menschen wurzelnden
und darum auf den ganzen Meuscheu wirkenden Ausdrucks. Diese Richtung war
so wenig fähig, sich zum Dramatischen zu erheben, daß sie nicht einmal das ge¬
stimmte Gebiet der religiösen Empfindungen zu umfassen vermochte. Ein erschüt¬
terndes, in die Tiefen des Herzens greifendes Msorore, Oruoilixug u. f. w.
vereint sich nicht mit einer Natur, deren edle Weiblichkeit mir unter klarem Him¬
mel, nur auf üppigem Wiesengrün, nur im Schatten eines freundlichen Buchen¬
waldes sich wohl fühlt. Die Reinheit des Styls ist daher zugleich etwas Ab-
stractes, eine Illusion, die an der Wirklichkeit zu Grunde geht. Und es läßt sich
sagen: sie ist mit Fasch zu Grunde gegangen. Sein Geist hat sich aus seine
Schüler uicht in seiner ganzen Fülle vererbt. Zelter war eine zu kräftige Natur.
Die lebenden Hauptvevtreter seiner Richtung, Nungenhagen und Grell, haben sich
in die Erbschaft getheilt. Grell hat neben der durchsichtigen Klarheit die unge¬
zwungene Freiheit und Leichtigkeit der Form, ohne aber das Edle und über das
Gewöhnliche sich Erhebende stets zu erstreben; Ruugenhagen hat das Letztere,
ist aber meistens steif und gezwungen.' Curschmann hat, freilich für ein anderes
Genre, vielleicht am meisten den Geist der Fasch'schen Richtung sich zu eigen ge¬
macht. Seine Lieder zeichnen sich dnrch dieselbe edle und klare, aber zu wenig
ernste und tiefe Haltung aus. Darum waren sie ihrer Zeit in Berlin so beliebt,


nigt, aber ohne die Fülle der Erfindung, ohne die charakteristische Mannigfaltig¬
keit, ohne das dramatische Feuer. Dieser Styl ist mit großer Bestimmtheit in
Fasch, seinem Gründer, ausgebildet. Fasch ist dadurch von großer Bedeutung
für die Kunstgeschichte, vou viel größerer, als man im Allgemeinen es weiß. Er
ist nicht bloß der Gründer der Singakademie, nicht bloß ein geschmackvoller
Componist unter vielen Andern, sondern er ist der Gründer einer bestimmten
Schule, die durch ihren Hauptsitz und durch de» Kreis, innerhalb dessen 'sie
wirkt, einen hervorragenden Einfluß hat. Die Werke, die von Fasch jetzt noch
erhalten sind, sind acht- bis sechszehustimmig. Damit ist ein steter Wechsel von
Solo - und Chorgesang verbunden. Bei dieser ungemeinen innern Mannigfaltig¬
keit hat er dennoch eine solche Klarheit erreicht, daß mau ihm gerade um dieser
zu großen Klarheit willen nicht den höchsten Preis zuerkennen kann. Er war
so streng gegen sich selbst, daß er feilte meisten Compositionen vor dem Tode ver¬
brennen ließ. Darum erreichte er aber auch diese gänzliche Makellosigkeit, darum
diese Reinheit deö Styls, so daß nicht leicht irgend eine Spur der Nachlässigkeit,
der Unordentlichst, des Unedeln sich finden möchte. Dein entsprechend war die
Art, wie er die Singakademie leitete: es herrschte eine Sauberkeit der Ausführung,
von der dies Institut heute keine Ahnung mehr hat. Die maßvolle und wahr¬
haft gebildete Heiterkeit seines Styls, die übrigens darin von der italienischen
Formschönheit sich unterscheidet, daß sie eine zarte, gemilderte, weniger glänzende
Klangfarbe hat — dem Gegensatz vou Süd und Nord entsprechend — entbehrt
nur allerdings eines liefern, auf der gesammten Natur deö Menschen wurzelnden
und darum auf den ganzen Meuscheu wirkenden Ausdrucks. Diese Richtung war
so wenig fähig, sich zum Dramatischen zu erheben, daß sie nicht einmal das ge¬
stimmte Gebiet der religiösen Empfindungen zu umfassen vermochte. Ein erschüt¬
terndes, in die Tiefen des Herzens greifendes Msorore, Oruoilixug u. f. w.
vereint sich nicht mit einer Natur, deren edle Weiblichkeit mir unter klarem Him¬
mel, nur auf üppigem Wiesengrün, nur im Schatten eines freundlichen Buchen¬
waldes sich wohl fühlt. Die Reinheit des Styls ist daher zugleich etwas Ab-
stractes, eine Illusion, die an der Wirklichkeit zu Grunde geht. Und es läßt sich
sagen: sie ist mit Fasch zu Grunde gegangen. Sein Geist hat sich aus seine
Schüler uicht in seiner ganzen Fülle vererbt. Zelter war eine zu kräftige Natur.
Die lebenden Hauptvevtreter seiner Richtung, Nungenhagen und Grell, haben sich
in die Erbschaft getheilt. Grell hat neben der durchsichtigen Klarheit die unge¬
zwungene Freiheit und Leichtigkeit der Form, ohne aber das Edle und über das
Gewöhnliche sich Erhebende stets zu erstreben; Ruugenhagen hat das Letztere,
ist aber meistens steif und gezwungen.' Curschmann hat, freilich für ein anderes
Genre, vielleicht am meisten den Geist der Fasch'schen Richtung sich zu eigen ge¬
macht. Seine Lieder zeichnen sich dnrch dieselbe edle und klare, aber zu wenig
ernste und tiefe Haltung aus. Darum waren sie ihrer Zeit in Berlin so beliebt,


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[0309] nigt, aber ohne die Fülle der Erfindung, ohne die charakteristische Mannigfaltig¬ keit, ohne das dramatische Feuer. Dieser Styl ist mit großer Bestimmtheit in Fasch, seinem Gründer, ausgebildet. Fasch ist dadurch von großer Bedeutung für die Kunstgeschichte, vou viel größerer, als man im Allgemeinen es weiß. Er ist nicht bloß der Gründer der Singakademie, nicht bloß ein geschmackvoller Componist unter vielen Andern, sondern er ist der Gründer einer bestimmten Schule, die durch ihren Hauptsitz und durch de» Kreis, innerhalb dessen 'sie wirkt, einen hervorragenden Einfluß hat. Die Werke, die von Fasch jetzt noch erhalten sind, sind acht- bis sechszehustimmig. Damit ist ein steter Wechsel von Solo - und Chorgesang verbunden. Bei dieser ungemeinen innern Mannigfaltig¬ keit hat er dennoch eine solche Klarheit erreicht, daß mau ihm gerade um dieser zu großen Klarheit willen nicht den höchsten Preis zuerkennen kann. Er war so streng gegen sich selbst, daß er feilte meisten Compositionen vor dem Tode ver¬ brennen ließ. Darum erreichte er aber auch diese gänzliche Makellosigkeit, darum diese Reinheit deö Styls, so daß nicht leicht irgend eine Spur der Nachlässigkeit, der Unordentlichst, des Unedeln sich finden möchte. Dein entsprechend war die Art, wie er die Singakademie leitete: es herrschte eine Sauberkeit der Ausführung, von der dies Institut heute keine Ahnung mehr hat. Die maßvolle und wahr¬ haft gebildete Heiterkeit seines Styls, die übrigens darin von der italienischen Formschönheit sich unterscheidet, daß sie eine zarte, gemilderte, weniger glänzende Klangfarbe hat — dem Gegensatz vou Süd und Nord entsprechend — entbehrt nur allerdings eines liefern, auf der gesammten Natur deö Menschen wurzelnden und darum auf den ganzen Meuscheu wirkenden Ausdrucks. Diese Richtung war so wenig fähig, sich zum Dramatischen zu erheben, daß sie nicht einmal das ge¬ stimmte Gebiet der religiösen Empfindungen zu umfassen vermochte. Ein erschüt¬ terndes, in die Tiefen des Herzens greifendes Msorore, Oruoilixug u. f. w. vereint sich nicht mit einer Natur, deren edle Weiblichkeit mir unter klarem Him¬ mel, nur auf üppigem Wiesengrün, nur im Schatten eines freundlichen Buchen¬ waldes sich wohl fühlt. Die Reinheit des Styls ist daher zugleich etwas Ab- stractes, eine Illusion, die an der Wirklichkeit zu Grunde geht. Und es läßt sich sagen: sie ist mit Fasch zu Grunde gegangen. Sein Geist hat sich aus seine Schüler uicht in seiner ganzen Fülle vererbt. Zelter war eine zu kräftige Natur. Die lebenden Hauptvevtreter seiner Richtung, Nungenhagen und Grell, haben sich in die Erbschaft getheilt. Grell hat neben der durchsichtigen Klarheit die unge¬ zwungene Freiheit und Leichtigkeit der Form, ohne aber das Edle und über das Gewöhnliche sich Erhebende stets zu erstreben; Ruugenhagen hat das Letztere, ist aber meistens steif und gezwungen.' Curschmann hat, freilich für ein anderes Genre, vielleicht am meisten den Geist der Fasch'schen Richtung sich zu eigen ge¬ macht. Seine Lieder zeichnen sich dnrch dieselbe edle und klare, aber zu wenig ernste und tiefe Haltung aus. Darum waren sie ihrer Zeit in Berlin so beliebt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/309>, abgerufen am 27.07.2024.