Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ferne zu rücken. Dadurch werden die Härten, die sonst das Publicum verletzen
müssen, gemildert, der sittliche Inhalt begreiflicher gemacht. Das Costüm des
ersten Jahrzehend unsers Jahrhunderts wiederzugeben, wird darum nicht rathsam
sein, weil es zu geschmacklos ist, und unsere Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch
nehmen würde; an das Rococo, das sich auf seine Art ganz gut idealisiren läßt,
sind wir schon mehr gewohnt.

Daß wir aber zu solchen älteren, uur bedingt anzuerkennenden Stücken noch
sehr häufig werdeu greifen müssen, wird Jeder einsehe!, der unbefangen den Eindruck
einer unserer modernen Sittenschilderungen mit dem vergleicht, welchen jene älte¬
ren Stücke ans uns machen, wie die genannten: Cabale und Liebe, die Jäger,
die Macht der Verhältnisse. So wunderlich uns der Ton, der darin sowohl in
den conservativen Kreisen, als in der aufstrebenden Generation herrscht, im Ein¬
zelnen vorkommen mag, wir haben doch eine klare Vorstellung von dem, was
der Verfasser eigentlich will, von dem Zusammenhang der Handlung, und von
dem Charakter der dabei betheiligten Personen. Es ist uns möglich, mit Theil-
nahme zu folgen, auch wenn uns die ideale Seite weniger in Anspruch nehmen sollte.

Was die Jäger betrifft, so hat sich der gesunde Menschenverstand unsers
Publicums von der romantischen Begriffs- und Geschmacksverwirrnng der un¬
mittelbar vorhergehenden Zeit doch soweit wieder erholt, daß die Vortrefflichkeit
dieses Stücks jetzt ziemlich allgemein anerkannt ist. Leider haben unsere modernen
Dichter durch ihre liederliche Charakterzeichnung die Schauspieler so verwöhnt,
daß sauber und fein ausgeführte Charakterbilder, wie hier der Oberförster und
namentlich die Obcrförsteriu gar keinen Darsteller mehr finden. An unausgesetzte
mechanische Declamationen, oder an grillenhaftes Wesen gewöhnt, das der Will¬
kür einen ganz beliebigen Spielraum läßt, sind unsere Künstler viel zu bequem
geworden, sich mit liebevollem Studium in die Details einer wahr empfundenen
Persönlichkeit hineinzufühlen und hineinzudenken. Entweder wird die eine Person
wie die andere nach dem gewöhnlichen Mechanismus hcrnntcrgehaspclt, oder, wo
sich ein tüchtiger Virtuose vorfindet, die eigene Genialität der Einfälle, so gut oder
so schlecht es geht, in die gegebene Schablone eingeschwärzt. In der letzteren
Beziehung bieten die-Stücke der Birch-Pfeiffer einem guten Schauspieler immer
noch Gelegenheit, sich geltend zu macheu, weil sie im Ganzen nicht verschroben
sind, und ohne erhebliche Störung des Totaleindrucks eine weitere, beliebige Aus¬
führung des Einzelnen ertragen. So ist der Mazarin von Döring in Berlin
in seiner Art immer eine bewundernswürdige Leistung, obgleich er mehr einen
verschmitzten Schachcrjuden, als einen regierenden Cardinal gibt. Ob er das
Eine oder das Andere ist, hat auf die Entwickelung der Handlung wenig Einfluß.

Ich komme ans die Jäger zurück. Wenn man Jffland eine in seinen
Stücken vorherrschende Sentimentalität vorwirft, so gilt dieser Vorwurf, der in
vielen derselben allerdings auf eine schaudererregende Weise begründet ist, dem


Ferne zu rücken. Dadurch werden die Härten, die sonst das Publicum verletzen
müssen, gemildert, der sittliche Inhalt begreiflicher gemacht. Das Costüm des
ersten Jahrzehend unsers Jahrhunderts wiederzugeben, wird darum nicht rathsam
sein, weil es zu geschmacklos ist, und unsere Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch
nehmen würde; an das Rococo, das sich auf seine Art ganz gut idealisiren läßt,
sind wir schon mehr gewohnt.

Daß wir aber zu solchen älteren, uur bedingt anzuerkennenden Stücken noch
sehr häufig werdeu greifen müssen, wird Jeder einsehe!, der unbefangen den Eindruck
einer unserer modernen Sittenschilderungen mit dem vergleicht, welchen jene älte¬
ren Stücke ans uns machen, wie die genannten: Cabale und Liebe, die Jäger,
die Macht der Verhältnisse. So wunderlich uns der Ton, der darin sowohl in
den conservativen Kreisen, als in der aufstrebenden Generation herrscht, im Ein¬
zelnen vorkommen mag, wir haben doch eine klare Vorstellung von dem, was
der Verfasser eigentlich will, von dem Zusammenhang der Handlung, und von
dem Charakter der dabei betheiligten Personen. Es ist uns möglich, mit Theil-
nahme zu folgen, auch wenn uns die ideale Seite weniger in Anspruch nehmen sollte.

Was die Jäger betrifft, so hat sich der gesunde Menschenverstand unsers
Publicums von der romantischen Begriffs- und Geschmacksverwirrnng der un¬
mittelbar vorhergehenden Zeit doch soweit wieder erholt, daß die Vortrefflichkeit
dieses Stücks jetzt ziemlich allgemein anerkannt ist. Leider haben unsere modernen
Dichter durch ihre liederliche Charakterzeichnung die Schauspieler so verwöhnt,
daß sauber und fein ausgeführte Charakterbilder, wie hier der Oberförster und
namentlich die Obcrförsteriu gar keinen Darsteller mehr finden. An unausgesetzte
mechanische Declamationen, oder an grillenhaftes Wesen gewöhnt, das der Will¬
kür einen ganz beliebigen Spielraum läßt, sind unsere Künstler viel zu bequem
geworden, sich mit liebevollem Studium in die Details einer wahr empfundenen
Persönlichkeit hineinzufühlen und hineinzudenken. Entweder wird die eine Person
wie die andere nach dem gewöhnlichen Mechanismus hcrnntcrgehaspclt, oder, wo
sich ein tüchtiger Virtuose vorfindet, die eigene Genialität der Einfälle, so gut oder
so schlecht es geht, in die gegebene Schablone eingeschwärzt. In der letzteren
Beziehung bieten die-Stücke der Birch-Pfeiffer einem guten Schauspieler immer
noch Gelegenheit, sich geltend zu macheu, weil sie im Ganzen nicht verschroben
sind, und ohne erhebliche Störung des Totaleindrucks eine weitere, beliebige Aus¬
führung des Einzelnen ertragen. So ist der Mazarin von Döring in Berlin
in seiner Art immer eine bewundernswürdige Leistung, obgleich er mehr einen
verschmitzten Schachcrjuden, als einen regierenden Cardinal gibt. Ob er das
Eine oder das Andere ist, hat auf die Entwickelung der Handlung wenig Einfluß.

Ich komme ans die Jäger zurück. Wenn man Jffland eine in seinen
Stücken vorherrschende Sentimentalität vorwirft, so gilt dieser Vorwurf, der in
vielen derselben allerdings auf eine schaudererregende Weise begründet ist, dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85861"/>
          <p xml:id="ID_957" prev="#ID_956"> Ferne zu rücken. Dadurch werden die Härten, die sonst das Publicum verletzen<lb/>
müssen, gemildert, der sittliche Inhalt begreiflicher gemacht. Das Costüm des<lb/>
ersten Jahrzehend unsers Jahrhunderts wiederzugeben, wird darum nicht rathsam<lb/>
sein, weil es zu geschmacklos ist, und unsere Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch<lb/>
nehmen würde; an das Rococo, das sich auf seine Art ganz gut idealisiren läßt,<lb/>
sind wir schon mehr gewohnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_958"> Daß wir aber zu solchen älteren, uur bedingt anzuerkennenden Stücken noch<lb/>
sehr häufig werdeu greifen müssen, wird Jeder einsehe!, der unbefangen den Eindruck<lb/>
einer unserer modernen Sittenschilderungen mit dem vergleicht, welchen jene älte¬<lb/>
ren Stücke ans uns machen, wie die genannten: Cabale und Liebe, die Jäger,<lb/>
die Macht der Verhältnisse. So wunderlich uns der Ton, der darin sowohl in<lb/>
den conservativen Kreisen, als in der aufstrebenden Generation herrscht, im Ein¬<lb/>
zelnen vorkommen mag, wir haben doch eine klare Vorstellung von dem, was<lb/>
der Verfasser eigentlich will, von dem Zusammenhang der Handlung, und von<lb/>
dem Charakter der dabei betheiligten Personen. Es ist uns möglich, mit Theil-<lb/>
nahme zu folgen, auch wenn uns die ideale Seite weniger in Anspruch nehmen sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_959"> Was die Jäger betrifft, so hat sich der gesunde Menschenverstand unsers<lb/>
Publicums von der romantischen Begriffs- und Geschmacksverwirrnng der un¬<lb/>
mittelbar vorhergehenden Zeit doch soweit wieder erholt, daß die Vortrefflichkeit<lb/>
dieses Stücks jetzt ziemlich allgemein anerkannt ist. Leider haben unsere modernen<lb/>
Dichter durch ihre liederliche Charakterzeichnung die Schauspieler so verwöhnt,<lb/>
daß sauber und fein ausgeführte Charakterbilder, wie hier der Oberförster und<lb/>
namentlich die Obcrförsteriu gar keinen Darsteller mehr finden. An unausgesetzte<lb/>
mechanische Declamationen, oder an grillenhaftes Wesen gewöhnt, das der Will¬<lb/>
kür einen ganz beliebigen Spielraum läßt, sind unsere Künstler viel zu bequem<lb/>
geworden, sich mit liebevollem Studium in die Details einer wahr empfundenen<lb/>
Persönlichkeit hineinzufühlen und hineinzudenken. Entweder wird die eine Person<lb/>
wie die andere nach dem gewöhnlichen Mechanismus hcrnntcrgehaspclt, oder, wo<lb/>
sich ein tüchtiger Virtuose vorfindet, die eigene Genialität der Einfälle, so gut oder<lb/>
so schlecht es geht, in die gegebene Schablone eingeschwärzt. In der letzteren<lb/>
Beziehung bieten die-Stücke der Birch-Pfeiffer einem guten Schauspieler immer<lb/>
noch Gelegenheit, sich geltend zu macheu, weil sie im Ganzen nicht verschroben<lb/>
sind, und ohne erhebliche Störung des Totaleindrucks eine weitere, beliebige Aus¬<lb/>
führung des Einzelnen ertragen. So ist der Mazarin von Döring in Berlin<lb/>
in seiner Art immer eine bewundernswürdige Leistung, obgleich er mehr einen<lb/>
verschmitzten Schachcrjuden, als einen regierenden Cardinal gibt. Ob er das<lb/>
Eine oder das Andere ist, hat auf die Entwickelung der Handlung wenig Einfluß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_960" next="#ID_961"> Ich komme ans die Jäger zurück. Wenn man Jffland eine in seinen<lb/>
Stücken vorherrschende Sentimentalität vorwirft, so gilt dieser Vorwurf, der in<lb/>
vielen derselben allerdings auf eine schaudererregende Weise begründet ist, dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0278] Ferne zu rücken. Dadurch werden die Härten, die sonst das Publicum verletzen müssen, gemildert, der sittliche Inhalt begreiflicher gemacht. Das Costüm des ersten Jahrzehend unsers Jahrhunderts wiederzugeben, wird darum nicht rathsam sein, weil es zu geschmacklos ist, und unsere Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch nehmen würde; an das Rococo, das sich auf seine Art ganz gut idealisiren läßt, sind wir schon mehr gewohnt. Daß wir aber zu solchen älteren, uur bedingt anzuerkennenden Stücken noch sehr häufig werdeu greifen müssen, wird Jeder einsehe!, der unbefangen den Eindruck einer unserer modernen Sittenschilderungen mit dem vergleicht, welchen jene älte¬ ren Stücke ans uns machen, wie die genannten: Cabale und Liebe, die Jäger, die Macht der Verhältnisse. So wunderlich uns der Ton, der darin sowohl in den conservativen Kreisen, als in der aufstrebenden Generation herrscht, im Ein¬ zelnen vorkommen mag, wir haben doch eine klare Vorstellung von dem, was der Verfasser eigentlich will, von dem Zusammenhang der Handlung, und von dem Charakter der dabei betheiligten Personen. Es ist uns möglich, mit Theil- nahme zu folgen, auch wenn uns die ideale Seite weniger in Anspruch nehmen sollte. Was die Jäger betrifft, so hat sich der gesunde Menschenverstand unsers Publicums von der romantischen Begriffs- und Geschmacksverwirrnng der un¬ mittelbar vorhergehenden Zeit doch soweit wieder erholt, daß die Vortrefflichkeit dieses Stücks jetzt ziemlich allgemein anerkannt ist. Leider haben unsere modernen Dichter durch ihre liederliche Charakterzeichnung die Schauspieler so verwöhnt, daß sauber und fein ausgeführte Charakterbilder, wie hier der Oberförster und namentlich die Obcrförsteriu gar keinen Darsteller mehr finden. An unausgesetzte mechanische Declamationen, oder an grillenhaftes Wesen gewöhnt, das der Will¬ kür einen ganz beliebigen Spielraum läßt, sind unsere Künstler viel zu bequem geworden, sich mit liebevollem Studium in die Details einer wahr empfundenen Persönlichkeit hineinzufühlen und hineinzudenken. Entweder wird die eine Person wie die andere nach dem gewöhnlichen Mechanismus hcrnntcrgehaspclt, oder, wo sich ein tüchtiger Virtuose vorfindet, die eigene Genialität der Einfälle, so gut oder so schlecht es geht, in die gegebene Schablone eingeschwärzt. In der letzteren Beziehung bieten die-Stücke der Birch-Pfeiffer einem guten Schauspieler immer noch Gelegenheit, sich geltend zu macheu, weil sie im Ganzen nicht verschroben sind, und ohne erhebliche Störung des Totaleindrucks eine weitere, beliebige Aus¬ führung des Einzelnen ertragen. So ist der Mazarin von Döring in Berlin in seiner Art immer eine bewundernswürdige Leistung, obgleich er mehr einen verschmitzten Schachcrjuden, als einen regierenden Cardinal gibt. Ob er das Eine oder das Andere ist, hat auf die Entwickelung der Handlung wenig Einfluß. Ich komme ans die Jäger zurück. Wenn man Jffland eine in seinen Stücken vorherrschende Sentimentalität vorwirft, so gilt dieser Vorwurf, der in vielen derselben allerdings auf eine schaudererregende Weise begründet ist, dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/278
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/278>, abgerufen am 01.09.2024.