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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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des Zeitalters zu fürchten gewesen sei. Soweit ist Alles in Ordnung, aber wie
macht es nun Laube, um dieses höhere Bewußtsein aus der Bühne zur Geltung zu
bringen? -- Er verlegt seine höhere Auffassung der Dinge in den Geist
jener Fürsten: er läßt Katte nicht wegen eines Disciplinarvcrgehens hinrichten,
sondern weil er ein gefährlicher Mersch gewesen ist, dessen frivole Gesinnung mit
der sittlichen Grundlage des preußischen Staates nicht in Einklang zu bringen
war; und er ist nahe daran, Schiller aus demselben Grunde -- aus Motiven
der Staatsräson -- den Kopf abschlagen zu lassen.

Daraus ergeben sich zwei wesentliche Uebelstände. Einmal macht es in mo¬
ralischer Beziehung einen sehr unangenehmen Eindruck, historische Thatsachen, die
man iir der Geschichte in ihrer Nothwendigkeit, also in ihrer relativen Berech¬
tigung sehr wohl begreifen kann, aus der Bühne, wo uur das allgemein menschliche
Gefühl angeregt werden soll, durch eiugeschwärzte, ""historische Motive beschönigt zu
sehen. Deun jene Fürsten haben keineswegs ans geschichtsphilosophischen Über¬
zeugungen, uicht aus Gründen der Staatsräson so gehandelt, wie sie handelten,
sondern auf Antrieb einer despotischen Natur, die an sich für gewisse Zeiten sehr
zweckmäßig ist, die aber in diesem Fall von dem gesunden menschlichen Gefühl
nur in ihrer Abscheulichkeit gefaßt werden kann. Laube hat das selbst empfunden,
und mit einer gewissen Aengstlichkeit Motive über Motive hervorgesucht, um das
Schroffe des Gegensatzes zu mildern. So z. B. geht er im Prinz Friedrich ans
das Materielle des Streits ein, auf die calviuistische Lehre von der Gnadenwahl,
die der König als staatsgefährlich bei seinem Sohn nicht dulden kann, und läßt
dann die Versöhnung dadurch eintreten, daß Friedrich erklärt, er sei kein Calvinist.
Dann wird für die ärgste Verletzung des menschliche" Gefühls, die Hinrichtung
des Freundes vor den Augen Friedrich'ö, der General Grumkow zun: Sündenbock
gemacht, an den König wider das Zeugniß der Geschichte zu reinigen. An: auf¬
fallendsten ist es mit der Doris, die am Pranger ausgepeitscht wurde, aus keinem
andern Grunde, als weil der Prinz sie liebt; das arme Weib muß nun hier er¬
kennen, daß sie, wenn auch ""schuldig, doch zum Wohl des Staats gelitten hat,
"ud die väterliche Hand küssen, die ihr in wohlwollender Absicht diese Züchtigung
hat angedeihen lassen.

Das geht nicht, so darf man nicht empfinden. Ich wenigstens muß gestehen,
daß mir der in Zorn gesetzte, eigenmächtige König, der Recht und Gesetz mit
Füßen tritt, um seine Leidenschaft zu befriedigen, viel lieber ist, als dieser wohl¬
wollende Denker, der mit einer gewissen Rührung zu Katte sagt: es thut mir leid^
aber es geht uicht anders. In jenem Uebermaß des Zorns kann man eine Kraft
erkennen, die, wenn auch jetzt auf dem Irrwege, "meer Umständen sehr heilsam
wirken kann; jene reflectirte Tyrannei ist aber empörend.

Sie ist aber noch mehr -- und das ist der zweite Punkt -- sie ist unwahr.
Ein Mann von der Bildung und dem tiefen Gefühl, wie Laube seinen König


des Zeitalters zu fürchten gewesen sei. Soweit ist Alles in Ordnung, aber wie
macht es nun Laube, um dieses höhere Bewußtsein aus der Bühne zur Geltung zu
bringen? — Er verlegt seine höhere Auffassung der Dinge in den Geist
jener Fürsten: er läßt Katte nicht wegen eines Disciplinarvcrgehens hinrichten,
sondern weil er ein gefährlicher Mersch gewesen ist, dessen frivole Gesinnung mit
der sittlichen Grundlage des preußischen Staates nicht in Einklang zu bringen
war; und er ist nahe daran, Schiller aus demselben Grunde — aus Motiven
der Staatsräson — den Kopf abschlagen zu lassen.

Daraus ergeben sich zwei wesentliche Uebelstände. Einmal macht es in mo¬
ralischer Beziehung einen sehr unangenehmen Eindruck, historische Thatsachen, die
man iir der Geschichte in ihrer Nothwendigkeit, also in ihrer relativen Berech¬
tigung sehr wohl begreifen kann, aus der Bühne, wo uur das allgemein menschliche
Gefühl angeregt werden soll, durch eiugeschwärzte, »»historische Motive beschönigt zu
sehen. Deun jene Fürsten haben keineswegs ans geschichtsphilosophischen Über¬
zeugungen, uicht aus Gründen der Staatsräson so gehandelt, wie sie handelten,
sondern auf Antrieb einer despotischen Natur, die an sich für gewisse Zeiten sehr
zweckmäßig ist, die aber in diesem Fall von dem gesunden menschlichen Gefühl
nur in ihrer Abscheulichkeit gefaßt werden kann. Laube hat das selbst empfunden,
und mit einer gewissen Aengstlichkeit Motive über Motive hervorgesucht, um das
Schroffe des Gegensatzes zu mildern. So z. B. geht er im Prinz Friedrich ans
das Materielle des Streits ein, auf die calviuistische Lehre von der Gnadenwahl,
die der König als staatsgefährlich bei seinem Sohn nicht dulden kann, und läßt
dann die Versöhnung dadurch eintreten, daß Friedrich erklärt, er sei kein Calvinist.
Dann wird für die ärgste Verletzung des menschliche» Gefühls, die Hinrichtung
des Freundes vor den Augen Friedrich'ö, der General Grumkow zun: Sündenbock
gemacht, an den König wider das Zeugniß der Geschichte zu reinigen. An: auf¬
fallendsten ist es mit der Doris, die am Pranger ausgepeitscht wurde, aus keinem
andern Grunde, als weil der Prinz sie liebt; das arme Weib muß nun hier er¬
kennen, daß sie, wenn auch »»schuldig, doch zum Wohl des Staats gelitten hat,
»ud die väterliche Hand küssen, die ihr in wohlwollender Absicht diese Züchtigung
hat angedeihen lassen.

Das geht nicht, so darf man nicht empfinden. Ich wenigstens muß gestehen,
daß mir der in Zorn gesetzte, eigenmächtige König, der Recht und Gesetz mit
Füßen tritt, um seine Leidenschaft zu befriedigen, viel lieber ist, als dieser wohl¬
wollende Denker, der mit einer gewissen Rührung zu Katte sagt: es thut mir leid^
aber es geht uicht anders. In jenem Uebermaß des Zorns kann man eine Kraft
erkennen, die, wenn auch jetzt auf dem Irrwege, »meer Umständen sehr heilsam
wirken kann; jene reflectirte Tyrannei ist aber empörend.

Sie ist aber noch mehr — und das ist der zweite Punkt — sie ist unwahr.
Ein Mann von der Bildung und dem tiefen Gefühl, wie Laube seinen König


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[0274] des Zeitalters zu fürchten gewesen sei. Soweit ist Alles in Ordnung, aber wie macht es nun Laube, um dieses höhere Bewußtsein aus der Bühne zur Geltung zu bringen? — Er verlegt seine höhere Auffassung der Dinge in den Geist jener Fürsten: er läßt Katte nicht wegen eines Disciplinarvcrgehens hinrichten, sondern weil er ein gefährlicher Mersch gewesen ist, dessen frivole Gesinnung mit der sittlichen Grundlage des preußischen Staates nicht in Einklang zu bringen war; und er ist nahe daran, Schiller aus demselben Grunde — aus Motiven der Staatsräson — den Kopf abschlagen zu lassen. Daraus ergeben sich zwei wesentliche Uebelstände. Einmal macht es in mo¬ ralischer Beziehung einen sehr unangenehmen Eindruck, historische Thatsachen, die man iir der Geschichte in ihrer Nothwendigkeit, also in ihrer relativen Berech¬ tigung sehr wohl begreifen kann, aus der Bühne, wo uur das allgemein menschliche Gefühl angeregt werden soll, durch eiugeschwärzte, »»historische Motive beschönigt zu sehen. Deun jene Fürsten haben keineswegs ans geschichtsphilosophischen Über¬ zeugungen, uicht aus Gründen der Staatsräson so gehandelt, wie sie handelten, sondern auf Antrieb einer despotischen Natur, die an sich für gewisse Zeiten sehr zweckmäßig ist, die aber in diesem Fall von dem gesunden menschlichen Gefühl nur in ihrer Abscheulichkeit gefaßt werden kann. Laube hat das selbst empfunden, und mit einer gewissen Aengstlichkeit Motive über Motive hervorgesucht, um das Schroffe des Gegensatzes zu mildern. So z. B. geht er im Prinz Friedrich ans das Materielle des Streits ein, auf die calviuistische Lehre von der Gnadenwahl, die der König als staatsgefährlich bei seinem Sohn nicht dulden kann, und läßt dann die Versöhnung dadurch eintreten, daß Friedrich erklärt, er sei kein Calvinist. Dann wird für die ärgste Verletzung des menschliche» Gefühls, die Hinrichtung des Freundes vor den Augen Friedrich'ö, der General Grumkow zun: Sündenbock gemacht, an den König wider das Zeugniß der Geschichte zu reinigen. An: auf¬ fallendsten ist es mit der Doris, die am Pranger ausgepeitscht wurde, aus keinem andern Grunde, als weil der Prinz sie liebt; das arme Weib muß nun hier er¬ kennen, daß sie, wenn auch »»schuldig, doch zum Wohl des Staats gelitten hat, »ud die väterliche Hand küssen, die ihr in wohlwollender Absicht diese Züchtigung hat angedeihen lassen. Das geht nicht, so darf man nicht empfinden. Ich wenigstens muß gestehen, daß mir der in Zorn gesetzte, eigenmächtige König, der Recht und Gesetz mit Füßen tritt, um seine Leidenschaft zu befriedigen, viel lieber ist, als dieser wohl¬ wollende Denker, der mit einer gewissen Rührung zu Katte sagt: es thut mir leid^ aber es geht uicht anders. In jenem Uebermaß des Zorns kann man eine Kraft erkennen, die, wenn auch jetzt auf dem Irrwege, »meer Umständen sehr heilsam wirken kann; jene reflectirte Tyrannei ist aber empörend. Sie ist aber noch mehr — und das ist der zweite Punkt — sie ist unwahr. Ein Mann von der Bildung und dem tiefen Gefühl, wie Laube seinen König

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/274>, abgerufen am 01.09.2024.