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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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den Waffen, damit ihm der Däne nicht das letzte Bischen Fett vom Nahm ab¬
schöpfe. Rasselnd kam, mit zwei Reihen tiefer Kübel an beiden Seiten, der esel¬
gezogene Milchwagen gesprengt; ein fünfjähriger Blondkopf, barfuß, aber die
Landesfarben an der Mütze, saß auf dem Roß Bileam's und schwenkte triumphi-
rend sein Barret, als er an mir vorbeikam. -- He, Kleiner, weißt Dit den Weg
zum Wrack? -- Ja, sagt' er, haltend; ich bin schon heute früh dort gewesen.
Wenn ich groß bin, ward' ich Matrvs und schieß' den Dan' in die Luft. Mein
Vater ist auf dem Zollkutter. -- Also wo ist das Wrack? -- Na, in der Tahas'
Hab ich's nicht. Gradaus und über zwei Koppeln. -- Noch ein paar Schritte,
und ich sah die weite Bucht spiegelglatt unter mir liegen. Hier gemahnte die
Weide lebhaft an die Alpenmatten des Hochgebirges, die auf klare Binnenseen
niederschauen. Einige Dutzend Kähne, zum Theil sonntäglich bewimpelt und mit
Neugierigen beladen, flogen hin und her über die schimmernde Flntl), aus weiter
Ferne hallten Schüsse, und da wo gegen Nordost die hohe See mit den Wolken
verschwamm, etwa sechs deutsche Meilen weit, schwebte drohend ein weißes Ge¬
spenst, ein Kriegssegel: die Corvette. Sie ging nach Feuern, ihren Triumph zu
melden.

Gewaltige Furchen hatten die dänischen Bomben in den hohen Strand ge¬
wühlt, den ich jetzt hinabklctterte. Auf dem Saude lagen verkohlte Stangen,
Balken und Bretter, da eine halbe Cajütcntreppe, dort ein Stück Sopha, zwischen
Bombensplittern und verrosteten Schrauben. Allerhand kleine Andenken fischten
die Umstehenden auf; ich wählte mir ein zerrissenes Blatt mit versengten Rande
aus einem populär-astronomischen Buch, das dem Commandeur gehört hatte; alle
Streiter an Bord konnten, ihre Habseligkeiten retten. Er fand keine Zeit dazu,
da er das Fahrzeug der Letzte verließ. Seine Wäsche, Kleidung und Bibliothek
trieb in verbrannten Fetzen auf dem Wasser oder liegt unter deu Kanonen auf
dem Grund des Meeres. Das Wrack liegt keine 100 Schritt vom Lande; ein
alter Haffkrnger Fischer gewann sich Geld genng ans eine bessere Svuntagsjacke,
indem er deu ganzen Tag die Neugierigen um die traurige" Ruine herumrnderte.
Wie tief ist das Wasser hier? fragte ich den Alten, als wir das festgcrammte
Steuerruder des Wracks umfuhren. -- Etwas über sechs Fuß, meinte er und
machte mich darauf aufmerksam, daß keine fünf Fuß davon das prächtigste Fahr¬
wasser begann. Aber der Lootse, ein Neustädter, der manchen Seesturm ausge-
halten, doch nie Pulver gerochen hatte, lag beim Bombardement "wie eine todte
Kuh" auf Deck und war blind wie ein neugeborener Hund. Bald wär' es der
Mannschaft gelungen, das Boot loszumachen; sie hatte einen Kahn ausgesetzt und
begann glücklich mit dem Warpanker zu operiren, als ein verhängnißvoller Zufall
in Gestalt einer Kanonenkugel das Warpankertau glatt entzweischnitt.

Am Strande traf ich den Oberfcnerwerker Brand, der mir noch einige Details
mittheilte. In Travemünde kam der Bürgermeister mit dem Lvotsencvmmandenr


den Waffen, damit ihm der Däne nicht das letzte Bischen Fett vom Nahm ab¬
schöpfe. Rasselnd kam, mit zwei Reihen tiefer Kübel an beiden Seiten, der esel¬
gezogene Milchwagen gesprengt; ein fünfjähriger Blondkopf, barfuß, aber die
Landesfarben an der Mütze, saß auf dem Roß Bileam's und schwenkte triumphi-
rend sein Barret, als er an mir vorbeikam. — He, Kleiner, weißt Dit den Weg
zum Wrack? — Ja, sagt' er, haltend; ich bin schon heute früh dort gewesen.
Wenn ich groß bin, ward' ich Matrvs und schieß' den Dan' in die Luft. Mein
Vater ist auf dem Zollkutter. — Also wo ist das Wrack? — Na, in der Tahas'
Hab ich's nicht. Gradaus und über zwei Koppeln. — Noch ein paar Schritte,
und ich sah die weite Bucht spiegelglatt unter mir liegen. Hier gemahnte die
Weide lebhaft an die Alpenmatten des Hochgebirges, die auf klare Binnenseen
niederschauen. Einige Dutzend Kähne, zum Theil sonntäglich bewimpelt und mit
Neugierigen beladen, flogen hin und her über die schimmernde Flntl), aus weiter
Ferne hallten Schüsse, und da wo gegen Nordost die hohe See mit den Wolken
verschwamm, etwa sechs deutsche Meilen weit, schwebte drohend ein weißes Ge¬
spenst, ein Kriegssegel: die Corvette. Sie ging nach Feuern, ihren Triumph zu
melden.

Gewaltige Furchen hatten die dänischen Bomben in den hohen Strand ge¬
wühlt, den ich jetzt hinabklctterte. Auf dem Saude lagen verkohlte Stangen,
Balken und Bretter, da eine halbe Cajütcntreppe, dort ein Stück Sopha, zwischen
Bombensplittern und verrosteten Schrauben. Allerhand kleine Andenken fischten
die Umstehenden auf; ich wählte mir ein zerrissenes Blatt mit versengten Rande
aus einem populär-astronomischen Buch, das dem Commandeur gehört hatte; alle
Streiter an Bord konnten, ihre Habseligkeiten retten. Er fand keine Zeit dazu,
da er das Fahrzeug der Letzte verließ. Seine Wäsche, Kleidung und Bibliothek
trieb in verbrannten Fetzen auf dem Wasser oder liegt unter deu Kanonen auf
dem Grund des Meeres. Das Wrack liegt keine 100 Schritt vom Lande; ein
alter Haffkrnger Fischer gewann sich Geld genng ans eine bessere Svuntagsjacke,
indem er deu ganzen Tag die Neugierigen um die traurige" Ruine herumrnderte.
Wie tief ist das Wasser hier? fragte ich den Alten, als wir das festgcrammte
Steuerruder des Wracks umfuhren. — Etwas über sechs Fuß, meinte er und
machte mich darauf aufmerksam, daß keine fünf Fuß davon das prächtigste Fahr¬
wasser begann. Aber der Lootse, ein Neustädter, der manchen Seesturm ausge-
halten, doch nie Pulver gerochen hatte, lag beim Bombardement „wie eine todte
Kuh" auf Deck und war blind wie ein neugeborener Hund. Bald wär' es der
Mannschaft gelungen, das Boot loszumachen; sie hatte einen Kahn ausgesetzt und
begann glücklich mit dem Warpanker zu operiren, als ein verhängnißvoller Zufall
in Gestalt einer Kanonenkugel das Warpankertau glatt entzweischnitt.

Am Strande traf ich den Oberfcnerwerker Brand, der mir noch einige Details
mittheilte. In Travemünde kam der Bürgermeister mit dem Lvotsencvmmandenr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/188>, abgerufen am 27.07.2024.