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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Ehrenkränkung, welche die Seele eines andern Volkes erfahren hat, nur die
Nation empfinden, welche selbst ein edles und schönes Selbstgefühl besitzt. --
Und wir Deutsche? und die Preußen? Ich merke nicht, daß man bei uns diese
Kränkung sonderlich tief empfunden hat, wenigstens aus den Zeitungen ist nicht
viel zu sehen. Die englische Presse scheint in diesem Fall fast scrupulöser um die
deutsche Ehre besorgt, als wir selbst. Woher kommt das? Man kann es nicht
sagen oder niederschreiben, ohne zu erröthen. Und doch muß es gesagt werden:
Wir in Deutschland sind gewohnt, polizeilich behandelt zu werden, und daß bei
uns Jemand irgendwo ausgewiesen wird, kommt alle Tage vor. Warum sollten
mir großen Lärm darüber macheu, wenn das anch einmal im Ausland einem von
unseren Gesandten begegnet?

Wir wollen eine andere Frage stellen. Dieselbe Sitzung, in welcher der
preußische Gesandte durch die Brutalität eiues dünkelhaften Parvenu's beleidigt
wurde, war noch in anderer Hinsicht merkwürdig. In derselben Sitzung tadelte
das Oberhaus durch sein Votum den Minister Palmerston, weil er die Interessen
englischer Bürger gegen einen auswärtigen Staat zu leidenschaftlich und rück¬
sichtslos vertreten hätte. Es ist hier gleichgültig, aus welchen Parteimotiven
dieses Mißtrauensvotum hervorgegangen ist. Jedenfalls war es, wie man auch
Palmerstons Verfahren gegen Griechenland beurtheilen mag, ein unpatriotisches
Votum, unpassend für den Adel eines Volkes von gesunder Selbstliebe, auch wird
eine glänzende Satisfaktion vom Unterhaus dem Ministerium nicht ausbleiben.
Für uns Deutsche aber ist eine solche Abstimmung so wunderbar, daß wir sie
kaum begreifen, und wenn wir sie begreifen, so müssen wir wieder mit Schmerz
auf uns und mit Neid aus eine Nationsehen, bei welcher ein solches Votum überhaupt
möglich ist. Wie? Einem Minister des Auswärtige" wird vorgeworfen, daß
er^ z u energisch und leidenschaftlich die Interessen seiner Mitbürger gegen Fremde
vertreten habe? Schmach und Schande, daß wir keinen Minister haben, dem
so etwas vorgeworfen werden kann! -- Solcher Vorwurf wenigstens trifft keine
deutsche Regierung. Die kleinen Staaten Deutschlands sind hierin unzurechnungs¬
fähig, wie hoch das große Oestreich Leben und Eigenthum seiner Bürger achtet,
wissen wir; die preußischen Minister aber beschweren sich allerdings, wenn ein
preußischer Staatsbürger in Nußland bis auf den Tod gehauen wird, oder wenn
der junge Brandt ans Breslau zu östreichischer Schanzarbeit verurtheilt
wird, weil er in einem Brief an seinen Vater in Preußen von Ungarn aus
Tatsachen und Gerüchte aus dem ungarischen Kriege erzählt hat, welche dieser
einer schlestschen Zeitung zur Benutzung gab. Unsere Minister beschweren sich über
so etwas bei der befreundeten Regierung, wenn das Geschrei der Presse oder
einzelner einflußreicher Personen gar zu lästig wird. Es läuft eine höfliche Ant¬
wort ein, von den Todten werden die Kleider an die Verwandten zurückgeschickt,
den Gefangenen wird vielleicht ihre Strafzeit etwas verkürzt, und Alles ist in


GrcnMcn. III. I8S0. 2

Ehrenkränkung, welche die Seele eines andern Volkes erfahren hat, nur die
Nation empfinden, welche selbst ein edles und schönes Selbstgefühl besitzt. —
Und wir Deutsche? und die Preußen? Ich merke nicht, daß man bei uns diese
Kränkung sonderlich tief empfunden hat, wenigstens aus den Zeitungen ist nicht
viel zu sehen. Die englische Presse scheint in diesem Fall fast scrupulöser um die
deutsche Ehre besorgt, als wir selbst. Woher kommt das? Man kann es nicht
sagen oder niederschreiben, ohne zu erröthen. Und doch muß es gesagt werden:
Wir in Deutschland sind gewohnt, polizeilich behandelt zu werden, und daß bei
uns Jemand irgendwo ausgewiesen wird, kommt alle Tage vor. Warum sollten
mir großen Lärm darüber macheu, wenn das anch einmal im Ausland einem von
unseren Gesandten begegnet?

Wir wollen eine andere Frage stellen. Dieselbe Sitzung, in welcher der
preußische Gesandte durch die Brutalität eiues dünkelhaften Parvenu's beleidigt
wurde, war noch in anderer Hinsicht merkwürdig. In derselben Sitzung tadelte
das Oberhaus durch sein Votum den Minister Palmerston, weil er die Interessen
englischer Bürger gegen einen auswärtigen Staat zu leidenschaftlich und rück¬
sichtslos vertreten hätte. Es ist hier gleichgültig, aus welchen Parteimotiven
dieses Mißtrauensvotum hervorgegangen ist. Jedenfalls war es, wie man auch
Palmerstons Verfahren gegen Griechenland beurtheilen mag, ein unpatriotisches
Votum, unpassend für den Adel eines Volkes von gesunder Selbstliebe, auch wird
eine glänzende Satisfaktion vom Unterhaus dem Ministerium nicht ausbleiben.
Für uns Deutsche aber ist eine solche Abstimmung so wunderbar, daß wir sie
kaum begreifen, und wenn wir sie begreifen, so müssen wir wieder mit Schmerz
auf uns und mit Neid aus eine Nationsehen, bei welcher ein solches Votum überhaupt
möglich ist. Wie? Einem Minister des Auswärtige» wird vorgeworfen, daß
er^ z u energisch und leidenschaftlich die Interessen seiner Mitbürger gegen Fremde
vertreten habe? Schmach und Schande, daß wir keinen Minister haben, dem
so etwas vorgeworfen werden kann! — Solcher Vorwurf wenigstens trifft keine
deutsche Regierung. Die kleinen Staaten Deutschlands sind hierin unzurechnungs¬
fähig, wie hoch das große Oestreich Leben und Eigenthum seiner Bürger achtet,
wissen wir; die preußischen Minister aber beschweren sich allerdings, wenn ein
preußischer Staatsbürger in Nußland bis auf den Tod gehauen wird, oder wenn
der junge Brandt ans Breslau zu östreichischer Schanzarbeit verurtheilt
wird, weil er in einem Brief an seinen Vater in Preußen von Ungarn aus
Tatsachen und Gerüchte aus dem ungarischen Kriege erzählt hat, welche dieser
einer schlestschen Zeitung zur Benutzung gab. Unsere Minister beschweren sich über
so etwas bei der befreundeten Regierung, wenn das Geschrei der Presse oder
einzelner einflußreicher Personen gar zu lästig wird. Es läuft eine höfliche Ant¬
wort ein, von den Todten werden die Kleider an die Verwandten zurückgeschickt,
den Gefangenen wird vielleicht ihre Strafzeit etwas verkürzt, und Alles ist in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/17>, abgerufen am 27.07.2024.