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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Führer des Landes geflohen waren, blieb Garasanin in: Vaterlande. Dreimal sah
er Hans und Hof von den rückgekehrten Türken verwüstet und niedergebrannt, er
wurde verfolgt und endlich gar ein Preis auf sein Haupt gesetzt. Da wandelte
er verkleidet im Lande und entflammte das Landvolk zu einer neuen Erhebung.
Im Jahr 1815 erneuerte Lukas Garasanin mit wenigen Knezen den Aufstand, der
das bekannte günstige Ende nahm. Er hatte einige Häuser Aufständischer zu¬
sammengebracht und suchte einen Feldherrn für sie. Keiner der alten Führer war
im Lande, nnr Milvs Obrenovicz saß ans Gnaden der Türken als Oberknez
ans Rubrik. Milvs aber wollte noch nichts hören von einem neuen Aufstand.
Da ging Garasanin Hill an der Spitze der Insurgenten und zwang den Milos,
ihm ein geladenes Pistol ans die Brust setzend, zu wählen zwischen der Kugel und
dem Feldherrnstab. Miloö machte gute Miene zum bösen Spiel und wählte den
Feldherrnstab. Wenigstens erzählt so die Sage, nach der Geschichte waren die
Umstände etwas anders, obgleich nicht weniger poetisch. Der serbische Aufstand
wuchs, Milos ward Oberfeldherr, schlug die Türken zum Lande hinaus und wurde
Fürst. Da stand ihm Lukas Garasanin als treuer Warner zur Seite, und hätte
Milos dem alten Mann gefolgt, er säße heute noch ans Serbiens Fürstenstuhl.
Garasanin blieb sehr lauge bei Milvs, erst als die Tyrannei und Wortbrüchigkeit
dös Fürsten die Gegenpartei sehr stark gemacht hatte, gab" auch er den Milos
aus und trat auf die Seite des Alexander Karageorgevicz. Sein Beispiel hatte
großes Gewicht. Doch ehe noch Alexander als Fürst ausgerufen ward, starb Lukas
Garasauiu, von einigen Mvmken des Obrenovicz gemenchclmordet. Er hinter¬
ließ zwei Söhne, der eine, Ilm, ist Minister, der andere ist Kaufmann. Beide
gelten für unermeßlich reich, sie besitzen große Ländereien und treiben einen aus¬
gebreiteten Waaren- und Viehhandel. Meilenlange Eichenforste wimmeln von
Borstenviehheerden, den glücklichen Schweinen der reichen Garasanine.

Die Politik der vier Herren, welche hier vor mir ihre Rechnung mit dem
Himmel zu reguliren suchen, ist nicht so leicht zu skizziren, als ihre Nasen und Rocke.
Sie läuft eben so schlau und rücksichtslos in Maulwurfsgängen wie die Türkische
und Russische; der einfachste Schlüssel dazu ist "in simples Faktum: Die Herren
sind Regenten eines schwachen, unfertigen Staates zwischen Russen und Türken.
Fällt der Staat einem von Beiden ganz in die Hände, so ist es mit ihrer Macht
und Herrlichkeit vorbei. Ihre Aufgabe ist daher, für das Uebergewicht des einen
Nachbars ein Gegengewicht in der Politik des Andern zu suchen. Nußland ist
jetzt so eng befreundet, so mächtig und leidenschaftlich verliebt geworden, daß
ihnen seine Zärtlichkeit lästig zu werden anfängt, und die neueste Zeit hat deßhalb
einige zarte Beziehungen zu Constantinopel wieder angeknüpft; allerdings ist
jede solche Annäherung nicht nur unpopulär, sondern auch wegen der Antecedentien
des jungen Staates gefährlich, der sich immer noch in einer schwierigen und be¬
drohlichen Abhängigkeit von der Pforte weiß. Denn jeden Tag kann irgend ein


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Führer des Landes geflohen waren, blieb Garasanin in: Vaterlande. Dreimal sah
er Hans und Hof von den rückgekehrten Türken verwüstet und niedergebrannt, er
wurde verfolgt und endlich gar ein Preis auf sein Haupt gesetzt. Da wandelte
er verkleidet im Lande und entflammte das Landvolk zu einer neuen Erhebung.
Im Jahr 1815 erneuerte Lukas Garasanin mit wenigen Knezen den Aufstand, der
das bekannte günstige Ende nahm. Er hatte einige Häuser Aufständischer zu¬
sammengebracht und suchte einen Feldherrn für sie. Keiner der alten Führer war
im Lande, nnr Milvs Obrenovicz saß ans Gnaden der Türken als Oberknez
ans Rubrik. Milvs aber wollte noch nichts hören von einem neuen Aufstand.
Da ging Garasanin Hill an der Spitze der Insurgenten und zwang den Milos,
ihm ein geladenes Pistol ans die Brust setzend, zu wählen zwischen der Kugel und
dem Feldherrnstab. Miloö machte gute Miene zum bösen Spiel und wählte den
Feldherrnstab. Wenigstens erzählt so die Sage, nach der Geschichte waren die
Umstände etwas anders, obgleich nicht weniger poetisch. Der serbische Aufstand
wuchs, Milos ward Oberfeldherr, schlug die Türken zum Lande hinaus und wurde
Fürst. Da stand ihm Lukas Garasanin als treuer Warner zur Seite, und hätte
Milos dem alten Mann gefolgt, er säße heute noch ans Serbiens Fürstenstuhl.
Garasanin blieb sehr lauge bei Milvs, erst als die Tyrannei und Wortbrüchigkeit
dös Fürsten die Gegenpartei sehr stark gemacht hatte, gab" auch er den Milos
aus und trat auf die Seite des Alexander Karageorgevicz. Sein Beispiel hatte
großes Gewicht. Doch ehe noch Alexander als Fürst ausgerufen ward, starb Lukas
Garasauiu, von einigen Mvmken des Obrenovicz gemenchclmordet. Er hinter¬
ließ zwei Söhne, der eine, Ilm, ist Minister, der andere ist Kaufmann. Beide
gelten für unermeßlich reich, sie besitzen große Ländereien und treiben einen aus¬
gebreiteten Waaren- und Viehhandel. Meilenlange Eichenforste wimmeln von
Borstenviehheerden, den glücklichen Schweinen der reichen Garasanine.

Die Politik der vier Herren, welche hier vor mir ihre Rechnung mit dem
Himmel zu reguliren suchen, ist nicht so leicht zu skizziren, als ihre Nasen und Rocke.
Sie läuft eben so schlau und rücksichtslos in Maulwurfsgängen wie die Türkische
und Russische; der einfachste Schlüssel dazu ist «in simples Faktum: Die Herren
sind Regenten eines schwachen, unfertigen Staates zwischen Russen und Türken.
Fällt der Staat einem von Beiden ganz in die Hände, so ist es mit ihrer Macht
und Herrlichkeit vorbei. Ihre Aufgabe ist daher, für das Uebergewicht des einen
Nachbars ein Gegengewicht in der Politik des Andern zu suchen. Nußland ist
jetzt so eng befreundet, so mächtig und leidenschaftlich verliebt geworden, daß
ihnen seine Zärtlichkeit lästig zu werden anfängt, und die neueste Zeit hat deßhalb
einige zarte Beziehungen zu Constantinopel wieder angeknüpft; allerdings ist
jede solche Annäherung nicht nur unpopulär, sondern auch wegen der Antecedentien
des jungen Staates gefährlich, der sich immer noch in einer schwierigen und be¬
drohlichen Abhängigkeit von der Pforte weiß. Denn jeden Tag kann irgend ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/147>, abgerufen am 27.07.2024.