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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Die aristokratische Partei gab das erste Lebenszeichen von sich zur Zeit der
Stein-Hardenberg'schen Gesetzgebung. Es war eine heftige Opposition gegen die
Verwaltung, deren Eingriffe in die ständischen Rechte und selbst in die Eigenthnms-
Verhaltnisse den großen Grundbesitz aufs heftigste erbittern wussten. Diese Be-
strebungen der Staatsverwaltung ließen zwar an Ausdauer uach, als die gemein¬
same Furcht vor den Demagogen die bisherigen Gegner zusammenführte, aber sie
bestehen sort und treten jedesmal wieder hervor, sobald diese Furcht einen Augen¬
blick nachläßt, denn sie sind im Wesen des preußischen Staats begründet. Die
Verwaltung, die ein selbstständiges, auf den Universitäten und an deu großen, Staats-
verhältnissen geschultes Leben behauptet, ist der natürliche Gegner der eigentlichen
Aristokratie, der jede Einmischung des Staats unbequem sein muß. Der Eintritt
der Aristokratie in die Verwaltung ist verhältnißmäßig selten, weil der große
Grundbesitzer sich nicht gerne abhängig macht, und nicht gerne übertrieben viel
studirt; so kommt noch ein zweiter Grund der Abneigung zu jenem ersten: das
Bürgerthum und der kleine Adel, woraus die Mehrzahl der Beamten zusammen¬
gesetzt ist, verfallen zugleich in Geringschätzung, indem sie lästig werden. -- So
sehr also der Adel, theils aus alten Traditionen, theils ans Abneigung vor den
Fortschritten des dritten Standes seinen Royalismus zur Schau tragen mag, so
wird er doch die Aeußerungen der Regierung stets mit Mißtrauen begleiten, und
wenn ihn nicht die Scheu vor Neuerungen zurückhält, so kann ihm eine Form
der Staatsverfassung, die es ihm vergönnt, sich unabhängig von der Regierung
und zum Theil im Gegensatz zu derselben zu constituiren, nnr erwünscht sein. In
der preußischen Verfassung vom Februar d. I. ist ihm diese Gelegenheit geboten;
die erste Kanuner ist ganz, die zweite zu einem großen Theil in seinen Händen.
Nun wird er zwar der Regierung überall zur Seite stehen, wo es eine Abwehr gegen
die Demokratie gilt; aber bei jeder Maßregel, die in seine eigenen Rechte eingreift
-- und die Nothwendigkeit der Dinge wird solche Maßregeln nach sich ziehn, wie
es schon im vorigen Jahr geschehen ist -- wird er gegen die Regierung Opposition
machen, und in der Consequenz dieser Opposition sich als Vertreter der parla¬
mentarischen Freiheit gegen die Uebergriffe des bureaukratischen Absolutismus ge-
riren. -- Er wird serner bald sein specifisches Preußenthum, bald seine deutsche
Gesinnung herauskehre", je nachdem die Regierung uach der einen oder der an¬
dern Seite hin dem Liberalismus Concessionen macht, und er wird stets geneigter
sein -- so lange nicht das seinem Stande eigenthümliche militärische Ehrgefühl
geweckt wird, denn zu einem wirklichen Verrath in der Stunde der Gefahr halte
ich auch die wildesten Fanatiker in der Adelspartei für unfähig -- mit seinen
Standesgenossen in Wien Hand in Hand zu gehen, als mit der neuerungssüch-
tigen Bureancratie seines eignen Staats.

Das zweite Moment der äußersten Rechten ist die kirchliche Partei. Die
katholische Kirche hat nicht nur ihren Mittelpunkt außerhalb des Staats, sie ist


Die aristokratische Partei gab das erste Lebenszeichen von sich zur Zeit der
Stein-Hardenberg'schen Gesetzgebung. Es war eine heftige Opposition gegen die
Verwaltung, deren Eingriffe in die ständischen Rechte und selbst in die Eigenthnms-
Verhaltnisse den großen Grundbesitz aufs heftigste erbittern wussten. Diese Be-
strebungen der Staatsverwaltung ließen zwar an Ausdauer uach, als die gemein¬
same Furcht vor den Demagogen die bisherigen Gegner zusammenführte, aber sie
bestehen sort und treten jedesmal wieder hervor, sobald diese Furcht einen Augen¬
blick nachläßt, denn sie sind im Wesen des preußischen Staats begründet. Die
Verwaltung, die ein selbstständiges, auf den Universitäten und an deu großen, Staats-
verhältnissen geschultes Leben behauptet, ist der natürliche Gegner der eigentlichen
Aristokratie, der jede Einmischung des Staats unbequem sein muß. Der Eintritt
der Aristokratie in die Verwaltung ist verhältnißmäßig selten, weil der große
Grundbesitzer sich nicht gerne abhängig macht, und nicht gerne übertrieben viel
studirt; so kommt noch ein zweiter Grund der Abneigung zu jenem ersten: das
Bürgerthum und der kleine Adel, woraus die Mehrzahl der Beamten zusammen¬
gesetzt ist, verfallen zugleich in Geringschätzung, indem sie lästig werden. — So
sehr also der Adel, theils aus alten Traditionen, theils ans Abneigung vor den
Fortschritten des dritten Standes seinen Royalismus zur Schau tragen mag, so
wird er doch die Aeußerungen der Regierung stets mit Mißtrauen begleiten, und
wenn ihn nicht die Scheu vor Neuerungen zurückhält, so kann ihm eine Form
der Staatsverfassung, die es ihm vergönnt, sich unabhängig von der Regierung
und zum Theil im Gegensatz zu derselben zu constituiren, nnr erwünscht sein. In
der preußischen Verfassung vom Februar d. I. ist ihm diese Gelegenheit geboten;
die erste Kanuner ist ganz, die zweite zu einem großen Theil in seinen Händen.
Nun wird er zwar der Regierung überall zur Seite stehen, wo es eine Abwehr gegen
die Demokratie gilt; aber bei jeder Maßregel, die in seine eigenen Rechte eingreift
— und die Nothwendigkeit der Dinge wird solche Maßregeln nach sich ziehn, wie
es schon im vorigen Jahr geschehen ist — wird er gegen die Regierung Opposition
machen, und in der Consequenz dieser Opposition sich als Vertreter der parla¬
mentarischen Freiheit gegen die Uebergriffe des bureaukratischen Absolutismus ge-
riren. — Er wird serner bald sein specifisches Preußenthum, bald seine deutsche
Gesinnung herauskehre», je nachdem die Regierung uach der einen oder der an¬
dern Seite hin dem Liberalismus Concessionen macht, und er wird stets geneigter
sein — so lange nicht das seinem Stande eigenthümliche militärische Ehrgefühl
geweckt wird, denn zu einem wirklichen Verrath in der Stunde der Gefahr halte
ich auch die wildesten Fanatiker in der Adelspartei für unfähig — mit seinen
Standesgenossen in Wien Hand in Hand zu gehen, als mit der neuerungssüch-
tigen Bureancratie seines eignen Staats.

Das zweite Moment der äußersten Rechten ist die kirchliche Partei. Die
katholische Kirche hat nicht nur ihren Mittelpunkt außerhalb des Staats, sie ist


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[0450] Die aristokratische Partei gab das erste Lebenszeichen von sich zur Zeit der Stein-Hardenberg'schen Gesetzgebung. Es war eine heftige Opposition gegen die Verwaltung, deren Eingriffe in die ständischen Rechte und selbst in die Eigenthnms- Verhaltnisse den großen Grundbesitz aufs heftigste erbittern wussten. Diese Be- strebungen der Staatsverwaltung ließen zwar an Ausdauer uach, als die gemein¬ same Furcht vor den Demagogen die bisherigen Gegner zusammenführte, aber sie bestehen sort und treten jedesmal wieder hervor, sobald diese Furcht einen Augen¬ blick nachläßt, denn sie sind im Wesen des preußischen Staats begründet. Die Verwaltung, die ein selbstständiges, auf den Universitäten und an deu großen, Staats- verhältnissen geschultes Leben behauptet, ist der natürliche Gegner der eigentlichen Aristokratie, der jede Einmischung des Staats unbequem sein muß. Der Eintritt der Aristokratie in die Verwaltung ist verhältnißmäßig selten, weil der große Grundbesitzer sich nicht gerne abhängig macht, und nicht gerne übertrieben viel studirt; so kommt noch ein zweiter Grund der Abneigung zu jenem ersten: das Bürgerthum und der kleine Adel, woraus die Mehrzahl der Beamten zusammen¬ gesetzt ist, verfallen zugleich in Geringschätzung, indem sie lästig werden. — So sehr also der Adel, theils aus alten Traditionen, theils ans Abneigung vor den Fortschritten des dritten Standes seinen Royalismus zur Schau tragen mag, so wird er doch die Aeußerungen der Regierung stets mit Mißtrauen begleiten, und wenn ihn nicht die Scheu vor Neuerungen zurückhält, so kann ihm eine Form der Staatsverfassung, die es ihm vergönnt, sich unabhängig von der Regierung und zum Theil im Gegensatz zu derselben zu constituiren, nnr erwünscht sein. In der preußischen Verfassung vom Februar d. I. ist ihm diese Gelegenheit geboten; die erste Kanuner ist ganz, die zweite zu einem großen Theil in seinen Händen. Nun wird er zwar der Regierung überall zur Seite stehen, wo es eine Abwehr gegen die Demokratie gilt; aber bei jeder Maßregel, die in seine eigenen Rechte eingreift — und die Nothwendigkeit der Dinge wird solche Maßregeln nach sich ziehn, wie es schon im vorigen Jahr geschehen ist — wird er gegen die Regierung Opposition machen, und in der Consequenz dieser Opposition sich als Vertreter der parla¬ mentarischen Freiheit gegen die Uebergriffe des bureaukratischen Absolutismus ge- riren. — Er wird serner bald sein specifisches Preußenthum, bald seine deutsche Gesinnung herauskehre», je nachdem die Regierung uach der einen oder der an¬ dern Seite hin dem Liberalismus Concessionen macht, und er wird stets geneigter sein — so lange nicht das seinem Stande eigenthümliche militärische Ehrgefühl geweckt wird, denn zu einem wirklichen Verrath in der Stunde der Gefahr halte ich auch die wildesten Fanatiker in der Adelspartei für unfähig — mit seinen Standesgenossen in Wien Hand in Hand zu gehen, als mit der neuerungssüch- tigen Bureancratie seines eignen Staats. Das zweite Moment der äußersten Rechten ist die kirchliche Partei. Die katholische Kirche hat nicht nur ihren Mittelpunkt außerhalb des Staats, sie ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/450>, abgerufen am 22.07.2024.