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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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nämlich: allgemeine Geschichte im erstell und vaterländische im zweiten Jahre. Unter¬
richtssprache war bei den Katholiken durchaus die lateinische, und nur in neuerer
Zeit wurde die Geschichte magyarisch vorgetragen. Hingegen war bei den Refor-
mirten in dein legten Decennium die lateinische Sprache von der magyarischen
gänzlich verdrängt worden. Diese Sprachverschiedenheit war der getreueste Aus¬
druck der heterogenen Geistesrichtung in den Schulen der verschiedenen Confes-
sionen; und hier war der Scheideweg, wo sich der Lebenspfad des katholischen
Jünglings voll dem des Protestanten trennte, um sich in diesem Leben vielleicht
nie wieder, oder doch nur auf dem gemeinsamen Kampfplatz für das bedrohte
Vaterland zusammen zu finden.

Der katholische "Philosoph" hatte eine lateinische Bibliothek von 10--15
Bänden durchzumachen, und nur wenn er wenigstens den größten Theil derselben
auswendig wußte, konnte er auf eine gute Glassification und eine "rLevmman-
(IMo lui prvinavvvclam lularaul "uaiu pro8i>prit.!.it.om" rechnen. Die Logik von
300, Metaphysik von 250, Psychologie voll 200 und MlosuMa moralis von
^00 Seiten waren sämmtlich von dein in Ungarn wohlbekannten Obscurautisteu
"Werner", Professor der Philosophie an der Pesther Universität, verfaßt und
für alle katholische Lehranstalten als obligate Studien sanctionirt. Es ist hier
uicht der Ort, diese geistlosen Compilatorien einer genauern Kritik zu würdigen;
man denke sich nnr ein buntes Gemisch von mittelalterlicher Scholastik, modernem
Mysticismus und der verkehrtesten Weltanschauung, mit einer Herrn Werner
ganz eignen frivolen Weltverachtung, lind mau hat jedenfalls etwas dem nngarisch-
kacholisch-obligaten philosophischen System (?) ganz Aehnliches zu Stande gebracht.
Dann folgen die sehr voluminöse, von trockenen Regeln und lUlfrnchtbareu Pro¬
blemen strotzende Arithmetik und Geometrie von Wolfstein (in Pesth), eine in
Ultramontanen und uoch "lehr in allvstrcichischenl Geiste verfaßte Weltgeschichte
vo>l Bvlla (ein Mönch), früher in lateinischen Original, später in wortge¬
treuer ungarischer Ueberseizuug, und der "Ca-Lus MloLoi>Juc!UL" steht da, wie
er leibte und lebte.

In Hinsicht seiner Individualität stand der katholische "Philosoph" im Ver¬
hältniß zu dem Gymnasiasten, wie der Libcrlin der alten Völker zu dem
eigentlichen Sclaven. Die körperlichen Strafen waren zwar ans den Akade¬
mien und Licecu verbannt, ja der "Philosoph" mußte von dem Professor, dein
Reglement zufolge, mit """minus" betitelt werden, aber diese Herren wußten sich
für den Verlust der scuUeu. und des kategorischen "Dn" reichlich zu entschädigen,
denn die vielen Privatcensnrcn, welche der Scholarch an jedem beliebigen Tage
vornehmen konnte, erhielten die Zuhörer in einem immerwährenden Zustande der
Angst und zerkuilschteil Untertänigkeit, und bei dem mindesten Discipliuarver-
geheu regneten die Ausdrücke: "noduloues, liuuäsvatoues, mxnub/lam u. s. w.
in Strömen ans sie herab. Disciplinarvergehen wurden aber genannt: Billard-


GrcuzVotcn. II. ILSll. 53

nämlich: allgemeine Geschichte im erstell und vaterländische im zweiten Jahre. Unter¬
richtssprache war bei den Katholiken durchaus die lateinische, und nur in neuerer
Zeit wurde die Geschichte magyarisch vorgetragen. Hingegen war bei den Refor-
mirten in dein legten Decennium die lateinische Sprache von der magyarischen
gänzlich verdrängt worden. Diese Sprachverschiedenheit war der getreueste Aus¬
druck der heterogenen Geistesrichtung in den Schulen der verschiedenen Confes-
sionen; und hier war der Scheideweg, wo sich der Lebenspfad des katholischen
Jünglings voll dem des Protestanten trennte, um sich in diesem Leben vielleicht
nie wieder, oder doch nur auf dem gemeinsamen Kampfplatz für das bedrohte
Vaterland zusammen zu finden.

Der katholische „Philosoph" hatte eine lateinische Bibliothek von 10—15
Bänden durchzumachen, und nur wenn er wenigstens den größten Theil derselben
auswendig wußte, konnte er auf eine gute Glassification und eine „rLevmman-
(IMo lui prvinavvvclam lularaul »uaiu pro8i>prit.!.it.om" rechnen. Die Logik von
300, Metaphysik von 250, Psychologie voll 200 und MlosuMa moralis von
^00 Seiten waren sämmtlich von dein in Ungarn wohlbekannten Obscurautisteu
„Werner", Professor der Philosophie an der Pesther Universität, verfaßt und
für alle katholische Lehranstalten als obligate Studien sanctionirt. Es ist hier
uicht der Ort, diese geistlosen Compilatorien einer genauern Kritik zu würdigen;
man denke sich nnr ein buntes Gemisch von mittelalterlicher Scholastik, modernem
Mysticismus und der verkehrtesten Weltanschauung, mit einer Herrn Werner
ganz eignen frivolen Weltverachtung, lind mau hat jedenfalls etwas dem nngarisch-
kacholisch-obligaten philosophischen System (?) ganz Aehnliches zu Stande gebracht.
Dann folgen die sehr voluminöse, von trockenen Regeln und lUlfrnchtbareu Pro¬
blemen strotzende Arithmetik und Geometrie von Wolfstein (in Pesth), eine in
Ultramontanen und uoch »lehr in allvstrcichischenl Geiste verfaßte Weltgeschichte
vo>l Bvlla (ein Mönch), früher in lateinischen Original, später in wortge¬
treuer ungarischer Ueberseizuug, und der „Ca-Lus MloLoi>Juc!UL" steht da, wie
er leibte und lebte.

In Hinsicht seiner Individualität stand der katholische „Philosoph" im Ver¬
hältniß zu dem Gymnasiasten, wie der Libcrlin der alten Völker zu dem
eigentlichen Sclaven. Die körperlichen Strafen waren zwar ans den Akade¬
mien und Licecu verbannt, ja der „Philosoph" mußte von dem Professor, dein
Reglement zufolge, mit „»»minus" betitelt werden, aber diese Herren wußten sich
für den Verlust der scuUeu. und des kategorischen „Dn" reichlich zu entschädigen,
denn die vielen Privatcensnrcn, welche der Scholarch an jedem beliebigen Tage
vornehmen konnte, erhielten die Zuhörer in einem immerwährenden Zustande der
Angst und zerkuilschteil Untertänigkeit, und bei dem mindesten Discipliuarver-
geheu regneten die Ausdrücke: „noduloues, liuuäsvatoues, mxnub/lam u. s. w.
in Strömen ans sie herab. Disciplinarvergehen wurden aber genannt: Billard-


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[0425] nämlich: allgemeine Geschichte im erstell und vaterländische im zweiten Jahre. Unter¬ richtssprache war bei den Katholiken durchaus die lateinische, und nur in neuerer Zeit wurde die Geschichte magyarisch vorgetragen. Hingegen war bei den Refor- mirten in dein legten Decennium die lateinische Sprache von der magyarischen gänzlich verdrängt worden. Diese Sprachverschiedenheit war der getreueste Aus¬ druck der heterogenen Geistesrichtung in den Schulen der verschiedenen Confes- sionen; und hier war der Scheideweg, wo sich der Lebenspfad des katholischen Jünglings voll dem des Protestanten trennte, um sich in diesem Leben vielleicht nie wieder, oder doch nur auf dem gemeinsamen Kampfplatz für das bedrohte Vaterland zusammen zu finden. Der katholische „Philosoph" hatte eine lateinische Bibliothek von 10—15 Bänden durchzumachen, und nur wenn er wenigstens den größten Theil derselben auswendig wußte, konnte er auf eine gute Glassification und eine „rLevmman- (IMo lui prvinavvvclam lularaul »uaiu pro8i>prit.!.it.om" rechnen. Die Logik von 300, Metaphysik von 250, Psychologie voll 200 und MlosuMa moralis von ^00 Seiten waren sämmtlich von dein in Ungarn wohlbekannten Obscurautisteu „Werner", Professor der Philosophie an der Pesther Universität, verfaßt und für alle katholische Lehranstalten als obligate Studien sanctionirt. Es ist hier uicht der Ort, diese geistlosen Compilatorien einer genauern Kritik zu würdigen; man denke sich nnr ein buntes Gemisch von mittelalterlicher Scholastik, modernem Mysticismus und der verkehrtesten Weltanschauung, mit einer Herrn Werner ganz eignen frivolen Weltverachtung, lind mau hat jedenfalls etwas dem nngarisch- kacholisch-obligaten philosophischen System (?) ganz Aehnliches zu Stande gebracht. Dann folgen die sehr voluminöse, von trockenen Regeln und lUlfrnchtbareu Pro¬ blemen strotzende Arithmetik und Geometrie von Wolfstein (in Pesth), eine in Ultramontanen und uoch »lehr in allvstrcichischenl Geiste verfaßte Weltgeschichte vo>l Bvlla (ein Mönch), früher in lateinischen Original, später in wortge¬ treuer ungarischer Ueberseizuug, und der „Ca-Lus MloLoi>Juc!UL" steht da, wie er leibte und lebte. In Hinsicht seiner Individualität stand der katholische „Philosoph" im Ver¬ hältniß zu dem Gymnasiasten, wie der Libcrlin der alten Völker zu dem eigentlichen Sclaven. Die körperlichen Strafen waren zwar ans den Akade¬ mien und Licecu verbannt, ja der „Philosoph" mußte von dem Professor, dein Reglement zufolge, mit „»»minus" betitelt werden, aber diese Herren wußten sich für den Verlust der scuUeu. und des kategorischen „Dn" reichlich zu entschädigen, denn die vielen Privatcensnrcn, welche der Scholarch an jedem beliebigen Tage vornehmen konnte, erhielten die Zuhörer in einem immerwährenden Zustande der Angst und zerkuilschteil Untertänigkeit, und bei dem mindesten Discipliuarver- geheu regneten die Ausdrücke: „noduloues, liuuäsvatoues, mxnub/lam u. s. w. in Strömen ans sie herab. Disciplinarvergehen wurden aber genannt: Billard- GrcuzVotcn. II. ILSll. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/425>, abgerufen am 01.07.2024.