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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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bekränzen "ut mit bengalischer Beleuchtung in den Himmel, die ewige Seligkeit
aufzunehmen. Zinn Schluß gibt der Held die Moral:


- Aller Welt
Liege hiev das Zeugnis! offen:
Weil ein Augenblick der Rene
Doch noch darf Erlösung hoffen'
Und uns führt zum Hiunnclöpfade,
Daß auch Juan Tenorio'S Gott
Ist der Gott der höchsten Gnade.

Lassen wir hier das phantastische, nenfranzösische Beiwerk bei Seite, welches
übrigens nicht einmal mit besonderem Geschick in den Gang der Handlung ver¬
flochten ist, so verhält sich, seiner Charakteranlage wie seinem sittlichen Princip
nach, dieses nenspanische Drama zu Calderon ungefähr wie der moderne, restaurirte,
künstliche Jesuitismus zu dem Jesuitismus der Zeit, in welcher er eine wesent¬
liche, dnrch die Entwickelung der Ideen nothwendig bedingte welthistorische Erschei¬
nung war.

In der Andacht zum .Kreuz (man vergleiche meine Geschichte der Romantik I.
1i. 282) wüthen die beiden Helden Eusebio und Julia (ebenso Ludovico im Fege¬
feuer des heiligen Patricius) auf eine ebenso sinnlose Weise mit Mord und Aus-
schweifungen gegen die Gesellschaft; ans eine ebenso äußerliche Weise durch das
Anrufen des Kreuzes im letzten Augenblicke, und durch das Wunder der Gnade
Gottes, welche das Geschehene ungeschehen macht, werden sie erlöst. Es liegt
das im Wesen der katholischen Kirche, die Sünde wie die Versöhnung als etwas
Nenßerlicheö, Thatsächliches, Magisches, nicht als eine innere Wiedergeburt zu
betrachten. Im alten Drama ist aber doch ein tieferer Zusammenhang. Ensebio
und Julia sündigen nicht aus eitler Renommage, sondern aus Trotz gegen Gort,
der ihnen die Gelegenheit, gut zu werden, versagt hat; und ihre Versöhnung ist durch
die Stimmung des ganzen Stückes motivirt. Ensebio hat immer eine specielle
Andacht zum .Kreuz gehegt, Julia hat ihre Verbrechen wenigstens mit Schau¬
dern begangen, und die Umkehr wirb dadurch einigermaßen vorbereitet, daß
Beide trotz ihrer Frevel mit Ueberraschung entdecken, wie ihnen doch noch eine
Spur der Gnade Gottes geblieben ist: Eusebio wird vor dem Vatcrmord, Julia
vor der Blutschande bewahrt. Eben seiner großem Tiefe wegen ist Calde-
ron's Drama viel abscheulicher, denn nirgend ist die vollständige Verkehrung des
sittlichen Geistes, wie sie durch die jesuitische Restauration der katholischen Kirche,
durch die neue, absolute Scheidung deS Himmels von der Erde, der Religion
von der Sittlichkeit, vorbereitet wurde, in so erschreckender Anschaulichkeit dargestellt
worden, und es ist ein schlimmes Zeichen von der sittlichem Verwirrung unsers
Jahrhunderts, daß man mit diesen Lehren und ihrer poetischen Darstellung co-
quettirt hat.

Aber die Frivolität ist in dem neuen Stücke größer. Eine Reihe Verbrechen


bekränzen »ut mit bengalischer Beleuchtung in den Himmel, die ewige Seligkeit
aufzunehmen. Zinn Schluß gibt der Held die Moral:


- Aller Welt
Liege hiev das Zeugnis! offen:
Weil ein Augenblick der Rene
Doch noch darf Erlösung hoffen'
Und uns führt zum Hiunnclöpfade,
Daß auch Juan Tenorio'S Gott
Ist der Gott der höchsten Gnade.

Lassen wir hier das phantastische, nenfranzösische Beiwerk bei Seite, welches
übrigens nicht einmal mit besonderem Geschick in den Gang der Handlung ver¬
flochten ist, so verhält sich, seiner Charakteranlage wie seinem sittlichen Princip
nach, dieses nenspanische Drama zu Calderon ungefähr wie der moderne, restaurirte,
künstliche Jesuitismus zu dem Jesuitismus der Zeit, in welcher er eine wesent¬
liche, dnrch die Entwickelung der Ideen nothwendig bedingte welthistorische Erschei¬
nung war.

In der Andacht zum .Kreuz (man vergleiche meine Geschichte der Romantik I.
1i. 282) wüthen die beiden Helden Eusebio und Julia (ebenso Ludovico im Fege¬
feuer des heiligen Patricius) auf eine ebenso sinnlose Weise mit Mord und Aus-
schweifungen gegen die Gesellschaft; ans eine ebenso äußerliche Weise durch das
Anrufen des Kreuzes im letzten Augenblicke, und durch das Wunder der Gnade
Gottes, welche das Geschehene ungeschehen macht, werden sie erlöst. Es liegt
das im Wesen der katholischen Kirche, die Sünde wie die Versöhnung als etwas
Nenßerlicheö, Thatsächliches, Magisches, nicht als eine innere Wiedergeburt zu
betrachten. Im alten Drama ist aber doch ein tieferer Zusammenhang. Ensebio
und Julia sündigen nicht aus eitler Renommage, sondern aus Trotz gegen Gort,
der ihnen die Gelegenheit, gut zu werden, versagt hat; und ihre Versöhnung ist durch
die Stimmung des ganzen Stückes motivirt. Ensebio hat immer eine specielle
Andacht zum .Kreuz gehegt, Julia hat ihre Verbrechen wenigstens mit Schau¬
dern begangen, und die Umkehr wirb dadurch einigermaßen vorbereitet, daß
Beide trotz ihrer Frevel mit Ueberraschung entdecken, wie ihnen doch noch eine
Spur der Gnade Gottes geblieben ist: Eusebio wird vor dem Vatcrmord, Julia
vor der Blutschande bewahrt. Eben seiner großem Tiefe wegen ist Calde-
ron's Drama viel abscheulicher, denn nirgend ist die vollständige Verkehrung des
sittlichen Geistes, wie sie durch die jesuitische Restauration der katholischen Kirche,
durch die neue, absolute Scheidung deS Himmels von der Erde, der Religion
von der Sittlichkeit, vorbereitet wurde, in so erschreckender Anschaulichkeit dargestellt
worden, und es ist ein schlimmes Zeichen von der sittlichem Verwirrung unsers
Jahrhunderts, daß man mit diesen Lehren und ihrer poetischen Darstellung co-
quettirt hat.

Aber die Frivolität ist in dem neuen Stücke größer. Eine Reihe Verbrechen


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[0423] bekränzen »ut mit bengalischer Beleuchtung in den Himmel, die ewige Seligkeit aufzunehmen. Zinn Schluß gibt der Held die Moral: - Aller Welt Liege hiev das Zeugnis! offen: Weil ein Augenblick der Rene Doch noch darf Erlösung hoffen' Und uns führt zum Hiunnclöpfade, Daß auch Juan Tenorio'S Gott Ist der Gott der höchsten Gnade. Lassen wir hier das phantastische, nenfranzösische Beiwerk bei Seite, welches übrigens nicht einmal mit besonderem Geschick in den Gang der Handlung ver¬ flochten ist, so verhält sich, seiner Charakteranlage wie seinem sittlichen Princip nach, dieses nenspanische Drama zu Calderon ungefähr wie der moderne, restaurirte, künstliche Jesuitismus zu dem Jesuitismus der Zeit, in welcher er eine wesent¬ liche, dnrch die Entwickelung der Ideen nothwendig bedingte welthistorische Erschei¬ nung war. In der Andacht zum .Kreuz (man vergleiche meine Geschichte der Romantik I. 1i. 282) wüthen die beiden Helden Eusebio und Julia (ebenso Ludovico im Fege¬ feuer des heiligen Patricius) auf eine ebenso sinnlose Weise mit Mord und Aus- schweifungen gegen die Gesellschaft; ans eine ebenso äußerliche Weise durch das Anrufen des Kreuzes im letzten Augenblicke, und durch das Wunder der Gnade Gottes, welche das Geschehene ungeschehen macht, werden sie erlöst. Es liegt das im Wesen der katholischen Kirche, die Sünde wie die Versöhnung als etwas Nenßerlicheö, Thatsächliches, Magisches, nicht als eine innere Wiedergeburt zu betrachten. Im alten Drama ist aber doch ein tieferer Zusammenhang. Ensebio und Julia sündigen nicht aus eitler Renommage, sondern aus Trotz gegen Gort, der ihnen die Gelegenheit, gut zu werden, versagt hat; und ihre Versöhnung ist durch die Stimmung des ganzen Stückes motivirt. Ensebio hat immer eine specielle Andacht zum .Kreuz gehegt, Julia hat ihre Verbrechen wenigstens mit Schau¬ dern begangen, und die Umkehr wirb dadurch einigermaßen vorbereitet, daß Beide trotz ihrer Frevel mit Ueberraschung entdecken, wie ihnen doch noch eine Spur der Gnade Gottes geblieben ist: Eusebio wird vor dem Vatcrmord, Julia vor der Blutschande bewahrt. Eben seiner großem Tiefe wegen ist Calde- ron's Drama viel abscheulicher, denn nirgend ist die vollständige Verkehrung des sittlichen Geistes, wie sie durch die jesuitische Restauration der katholischen Kirche, durch die neue, absolute Scheidung deS Himmels von der Erde, der Religion von der Sittlichkeit, vorbereitet wurde, in so erschreckender Anschaulichkeit dargestellt worden, und es ist ein schlimmes Zeichen von der sittlichem Verwirrung unsers Jahrhunderts, daß man mit diesen Lehren und ihrer poetischen Darstellung co- quettirt hat. Aber die Frivolität ist in dem neuen Stücke größer. Eine Reihe Verbrechen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/423>, abgerufen am 01.07.2024.