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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Die Dresdner Ordonnanzen.



Wir sind in der letzten Zeit von unsern Regierungen mit so reichen Gaben
überschüttet worden, daß uns eigentlich nichts mehr, was von daher kommt, in
Erstaunen setzen sollte. Und doch ist daS neueste Geschenk der sächsischen Regierung
an ihr Volk von der Art, daß es auch das Phlegma außer Fassung setzen kauu,
denn "so etwas ist in der That uoch uicht dagewesen!"

Die Regierung löst die Kammern ans, weil sie mit den Geldbewillnngen krau¬
sem. Gut, sie war dazu der Form nach, anch selbst materiell in ihrem Recht,
denn die Opposition bestand aus zwei verschiedenen Parteien, die keineswegs ge¬
sonnen waren, sich in einer gemeinsamen, positiven Absicht zu verbinden, und
deren keine stark genng war, allein die Regierung zu übernehmen. Gegen eine
neue Appellation an das Volk war also nichts einzuwenden.

Aber die Regierung, die bereits in Betreff der Grundrechte ihre eigne Ver¬
gangenheit Lügen gestraft, in Betreff der Wiederherstellung des Bundestags der
öffentlichen Meinung den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, benutzt diese Gelegen¬
heit, mu sich ein sür allemal eines unbequemen Wahlgesetzes zu entledigen. Sie
erklärt, das zwischen der Regierung und dem Landtag vereinbarte Wahlgesetz sei
nnr ein proviforisches gewesen, nnr ans Probe gegeben, und da es sich uicht
bewährt habe, hebe sie es ans; und beruft sich dabei aus einen Paragraphen der
Verfassung, in welchem sonderbarer Weise der Regierung gerade verboten wird,
ans eigne Hand an dem Wahlgesetz etwas zu ändern.

Diese Handlungsweise der sächsischen Negierung ist eigentlich viel auffallender,
als irgeud etwas, was in den letzten Jahren in Oestreich oder Preußen geschehen
ist. Denn in diesen beiden Staaten hatte die Revolution gesiegt, hatte die revo¬
lutionäre Partei es zu keinem Rechtsverhältniß kommen lassen, und man konnte
es daher der Negierung uicht verargen, wenn sie ihrerseits, sobald sie die Gewalt
in die Hände bekam, ohne viel NechtSbedenken nach ihrem Interesse verfuhr.
Selbst sür die eigenmächtige Abänderung des vctroyirtcn Wahlgesetzes vom 5. De¬
cember konnte man bei gutem Willen einiges sagen, deun es war wenigstens zwei¬
felhaft, ob die Verfassung vom 5. December auf eine rechtsgültige Weise zu
Stande gekommen war.


Grcnzl-oder. II. IN0. 51
Die Dresdner Ordonnanzen.



Wir sind in der letzten Zeit von unsern Regierungen mit so reichen Gaben
überschüttet worden, daß uns eigentlich nichts mehr, was von daher kommt, in
Erstaunen setzen sollte. Und doch ist daS neueste Geschenk der sächsischen Regierung
an ihr Volk von der Art, daß es auch das Phlegma außer Fassung setzen kauu,
denn „so etwas ist in der That uoch uicht dagewesen!"

Die Regierung löst die Kammern ans, weil sie mit den Geldbewillnngen krau¬
sem. Gut, sie war dazu der Form nach, anch selbst materiell in ihrem Recht,
denn die Opposition bestand aus zwei verschiedenen Parteien, die keineswegs ge¬
sonnen waren, sich in einer gemeinsamen, positiven Absicht zu verbinden, und
deren keine stark genng war, allein die Regierung zu übernehmen. Gegen eine
neue Appellation an das Volk war also nichts einzuwenden.

Aber die Regierung, die bereits in Betreff der Grundrechte ihre eigne Ver¬
gangenheit Lügen gestraft, in Betreff der Wiederherstellung des Bundestags der
öffentlichen Meinung den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, benutzt diese Gelegen¬
heit, mu sich ein sür allemal eines unbequemen Wahlgesetzes zu entledigen. Sie
erklärt, das zwischen der Regierung und dem Landtag vereinbarte Wahlgesetz sei
nnr ein proviforisches gewesen, nnr ans Probe gegeben, und da es sich uicht
bewährt habe, hebe sie es ans; und beruft sich dabei aus einen Paragraphen der
Verfassung, in welchem sonderbarer Weise der Regierung gerade verboten wird,
ans eigne Hand an dem Wahlgesetz etwas zu ändern.

Diese Handlungsweise der sächsischen Negierung ist eigentlich viel auffallender,
als irgeud etwas, was in den letzten Jahren in Oestreich oder Preußen geschehen
ist. Denn in diesen beiden Staaten hatte die Revolution gesiegt, hatte die revo¬
lutionäre Partei es zu keinem Rechtsverhältniß kommen lassen, und man konnte
es daher der Negierung uicht verargen, wenn sie ihrerseits, sobald sie die Gewalt
in die Hände bekam, ohne viel NechtSbedenken nach ihrem Interesse verfuhr.
Selbst sür die eigenmächtige Abänderung des vctroyirtcn Wahlgesetzes vom 5. De¬
cember konnte man bei gutem Willen einiges sagen, deun es war wenigstens zwei¬
felhaft, ob die Verfassung vom 5. December auf eine rechtsgültige Weise zu
Stande gekommen war.


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[0409] Die Dresdner Ordonnanzen. Wir sind in der letzten Zeit von unsern Regierungen mit so reichen Gaben überschüttet worden, daß uns eigentlich nichts mehr, was von daher kommt, in Erstaunen setzen sollte. Und doch ist daS neueste Geschenk der sächsischen Regierung an ihr Volk von der Art, daß es auch das Phlegma außer Fassung setzen kauu, denn „so etwas ist in der That uoch uicht dagewesen!" Die Regierung löst die Kammern ans, weil sie mit den Geldbewillnngen krau¬ sem. Gut, sie war dazu der Form nach, anch selbst materiell in ihrem Recht, denn die Opposition bestand aus zwei verschiedenen Parteien, die keineswegs ge¬ sonnen waren, sich in einer gemeinsamen, positiven Absicht zu verbinden, und deren keine stark genng war, allein die Regierung zu übernehmen. Gegen eine neue Appellation an das Volk war also nichts einzuwenden. Aber die Regierung, die bereits in Betreff der Grundrechte ihre eigne Ver¬ gangenheit Lügen gestraft, in Betreff der Wiederherstellung des Bundestags der öffentlichen Meinung den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, benutzt diese Gelegen¬ heit, mu sich ein sür allemal eines unbequemen Wahlgesetzes zu entledigen. Sie erklärt, das zwischen der Regierung und dem Landtag vereinbarte Wahlgesetz sei nnr ein proviforisches gewesen, nnr ans Probe gegeben, und da es sich uicht bewährt habe, hebe sie es ans; und beruft sich dabei aus einen Paragraphen der Verfassung, in welchem sonderbarer Weise der Regierung gerade verboten wird, ans eigne Hand an dem Wahlgesetz etwas zu ändern. Diese Handlungsweise der sächsischen Negierung ist eigentlich viel auffallender, als irgeud etwas, was in den letzten Jahren in Oestreich oder Preußen geschehen ist. Denn in diesen beiden Staaten hatte die Revolution gesiegt, hatte die revo¬ lutionäre Partei es zu keinem Rechtsverhältniß kommen lassen, und man konnte es daher der Negierung uicht verargen, wenn sie ihrerseits, sobald sie die Gewalt in die Hände bekam, ohne viel NechtSbedenken nach ihrem Interesse verfuhr. Selbst sür die eigenmächtige Abänderung des vctroyirtcn Wahlgesetzes vom 5. De¬ cember konnte man bei gutem Willen einiges sagen, deun es war wenigstens zwei¬ felhaft, ob die Verfassung vom 5. December auf eine rechtsgültige Weise zu Stande gekommen war. Grcnzl-oder. II. IN0. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/409>, abgerufen am 22.07.2024.