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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Eollectivnameir Oestreich begriffen wurde, und Ersetzung desselben durch einen
Gesammtstaat -- dieser Plan war ein vollkommen berechtigter, und wenn Oestreich
ein bleibendes Moment in der beschichte werden sollte, so wußte er durchgeführt
werden. Der Krieg in Ungarn war uicht ein zufälliges.Spiel verschiedener, in
einander eingreifender Ursachen, es war der nothwendige Zusammenstoß zweier
feindlicher Principien, der früher oder spater erfolgen mußte, und von deines ein
Glück genannt werden kann, daß er in einer Zeit erfolgte, in welcher das östreichi¬
sche Bewußtsein einen neuen Aufschwung genommen zu baben schien.

Von allen Nationalitäten, deren Zusammensetzung den Kaiserstaat ausmacht,
mußte die ungarische am meisten verlieren, wenn die Idee der einheitlichen Staats¬
form durchgeführt werden sollte, gerade weil sie dem Umfang nach die bedeutendste
war und das bestimmteste Gepräge an sich trug. Das Fortbestehen der ungarischen
Nationalität in den bisherigen politischen Formen war ""vereinbar mit der leitenden
Idee des Ministeriums Schwarzenberg.

Die sogenannte slavische Nation ist es viel weniger, weil sie in ihren ein¬
zelnen Gliedern nicht groß genng ist, das östreichische Staatsgefüge auseinander
zu treibe", und weil ihre Totalität nnr in der Einbildung liegt.

Bei der allgemeinen Nationalitäts-Aiifregnng, die, so sehr sie anch divcrgirte,
wenigstens feindlich gegen die Centralisation Oestreichs gerichtet war, schien der
Slavismns vielmehr eine Waffe in den Händen der Regierung. Denn das specifische
Deutschthum, mit Frankfurt ü" Bunde, arbeitete den ungarischen Sonderbestrebungen
in die Hände; dagegen konnte sich die sogenannte slavische Nation als eine Tota¬
lität nicht anders darstellen, als wen" sie sich an den Kaiserstaat anklammerte.

Die Einheit des Kaiserstaats hatte sich bis dahin nnr in den deutschen
Beamten und in der Armee geltend gemacht, die großentheils von deutschen
Offizieren befehligt war. Die Slaven boten sich "um als neues Werkzeug. Nun
geschah aber das Unbegreifliche: die Armee mit sammt dein Beamtenthum und
den slavischen und rumänischen Horden war nicht im Stande, Ungarn in den
kaiserlichen Dienst znrückznzwingen. Die Russen mußten kommen, den östreichischen
Staat seinem Kaiser wieder z" unterwerfen.

Was darauf geschehen ist, bietet in der That eine gewisse Ähnlichkeit mit
der russischen Methode, die Böller dem herrschende". System zu assimiliren. Ab¬
gesehen von den verschiedene" Galgen und tgi., die wohl mehr dazu dienen soll¬
ten, der siegreichen Partei ein unmittelbares Genüge zu bereiten, als daß man
gehofft hätte, durch sie etwas Wesentliches zu erreichen, und abgesehen von den
"beschriebenen Blättern Papier", deren man zu Wien eine große Menge ausgehen
ließ, in" das Publikum zu unterhalten ""d den Zeitungen Stoff zu geben, wandte
man zwei sehr einfache Mittel an : man verllnnlte die I"surge"te" nnter verschie¬
dene kaiserliche Regimenter, und man ersetzte die bisherigen, nationalen Obrigkeiten
dnrch deutsche, schwarzgelbe Beamte.


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Eollectivnameir Oestreich begriffen wurde, und Ersetzung desselben durch einen
Gesammtstaat — dieser Plan war ein vollkommen berechtigter, und wenn Oestreich
ein bleibendes Moment in der beschichte werden sollte, so wußte er durchgeführt
werden. Der Krieg in Ungarn war uicht ein zufälliges.Spiel verschiedener, in
einander eingreifender Ursachen, es war der nothwendige Zusammenstoß zweier
feindlicher Principien, der früher oder spater erfolgen mußte, und von deines ein
Glück genannt werden kann, daß er in einer Zeit erfolgte, in welcher das östreichi¬
sche Bewußtsein einen neuen Aufschwung genommen zu baben schien.

Von allen Nationalitäten, deren Zusammensetzung den Kaiserstaat ausmacht,
mußte die ungarische am meisten verlieren, wenn die Idee der einheitlichen Staats¬
form durchgeführt werden sollte, gerade weil sie dem Umfang nach die bedeutendste
war und das bestimmteste Gepräge an sich trug. Das Fortbestehen der ungarischen
Nationalität in den bisherigen politischen Formen war »»vereinbar mit der leitenden
Idee des Ministeriums Schwarzenberg.

Die sogenannte slavische Nation ist es viel weniger, weil sie in ihren ein¬
zelnen Gliedern nicht groß genng ist, das östreichische Staatsgefüge auseinander
zu treibe», und weil ihre Totalität nnr in der Einbildung liegt.

Bei der allgemeinen Nationalitäts-Aiifregnng, die, so sehr sie anch divcrgirte,
wenigstens feindlich gegen die Centralisation Oestreichs gerichtet war, schien der
Slavismns vielmehr eine Waffe in den Händen der Regierung. Denn das specifische
Deutschthum, mit Frankfurt ü» Bunde, arbeitete den ungarischen Sonderbestrebungen
in die Hände; dagegen konnte sich die sogenannte slavische Nation als eine Tota¬
lität nicht anders darstellen, als wen» sie sich an den Kaiserstaat anklammerte.

Die Einheit des Kaiserstaats hatte sich bis dahin nnr in den deutschen
Beamten und in der Armee geltend gemacht, die großentheils von deutschen
Offizieren befehligt war. Die Slaven boten sich »um als neues Werkzeug. Nun
geschah aber das Unbegreifliche: die Armee mit sammt dein Beamtenthum und
den slavischen und rumänischen Horden war nicht im Stande, Ungarn in den
kaiserlichen Dienst znrückznzwingen. Die Russen mußten kommen, den östreichischen
Staat seinem Kaiser wieder z» unterwerfen.

Was darauf geschehen ist, bietet in der That eine gewisse Ähnlichkeit mit
der russischen Methode, die Böller dem herrschende». System zu assimiliren. Ab¬
gesehen von den verschiedene» Galgen und tgi., die wohl mehr dazu dienen soll¬
ten, der siegreichen Partei ein unmittelbares Genüge zu bereiten, als daß man
gehofft hätte, durch sie etwas Wesentliches zu erreichen, und abgesehen von den
„beschriebenen Blättern Papier", deren man zu Wien eine große Menge ausgehen
ließ, in» das Publikum zu unterhalten »»d den Zeitungen Stoff zu geben, wandte
man zwei sehr einfache Mittel an : man verllnnlte die I»surge»te» nnter verschie¬
dene kaiserliche Regimenter, und man ersetzte die bisherigen, nationalen Obrigkeiten
dnrch deutsche, schwarzgelbe Beamte.


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[0347] Eollectivnameir Oestreich begriffen wurde, und Ersetzung desselben durch einen Gesammtstaat — dieser Plan war ein vollkommen berechtigter, und wenn Oestreich ein bleibendes Moment in der beschichte werden sollte, so wußte er durchgeführt werden. Der Krieg in Ungarn war uicht ein zufälliges.Spiel verschiedener, in einander eingreifender Ursachen, es war der nothwendige Zusammenstoß zweier feindlicher Principien, der früher oder spater erfolgen mußte, und von deines ein Glück genannt werden kann, daß er in einer Zeit erfolgte, in welcher das östreichi¬ sche Bewußtsein einen neuen Aufschwung genommen zu baben schien. Von allen Nationalitäten, deren Zusammensetzung den Kaiserstaat ausmacht, mußte die ungarische am meisten verlieren, wenn die Idee der einheitlichen Staats¬ form durchgeführt werden sollte, gerade weil sie dem Umfang nach die bedeutendste war und das bestimmteste Gepräge an sich trug. Das Fortbestehen der ungarischen Nationalität in den bisherigen politischen Formen war »»vereinbar mit der leitenden Idee des Ministeriums Schwarzenberg. Die sogenannte slavische Nation ist es viel weniger, weil sie in ihren ein¬ zelnen Gliedern nicht groß genng ist, das östreichische Staatsgefüge auseinander zu treibe», und weil ihre Totalität nnr in der Einbildung liegt. Bei der allgemeinen Nationalitäts-Aiifregnng, die, so sehr sie anch divcrgirte, wenigstens feindlich gegen die Centralisation Oestreichs gerichtet war, schien der Slavismns vielmehr eine Waffe in den Händen der Regierung. Denn das specifische Deutschthum, mit Frankfurt ü» Bunde, arbeitete den ungarischen Sonderbestrebungen in die Hände; dagegen konnte sich die sogenannte slavische Nation als eine Tota¬ lität nicht anders darstellen, als wen» sie sich an den Kaiserstaat anklammerte. Die Einheit des Kaiserstaats hatte sich bis dahin nnr in den deutschen Beamten und in der Armee geltend gemacht, die großentheils von deutschen Offizieren befehligt war. Die Slaven boten sich »um als neues Werkzeug. Nun geschah aber das Unbegreifliche: die Armee mit sammt dein Beamtenthum und den slavischen und rumänischen Horden war nicht im Stande, Ungarn in den kaiserlichen Dienst znrückznzwingen. Die Russen mußten kommen, den östreichischen Staat seinem Kaiser wieder z» unterwerfen. Was darauf geschehen ist, bietet in der That eine gewisse Ähnlichkeit mit der russischen Methode, die Böller dem herrschende». System zu assimiliren. Ab¬ gesehen von den verschiedene» Galgen und tgi., die wohl mehr dazu dienen soll¬ ten, der siegreichen Partei ein unmittelbares Genüge zu bereiten, als daß man gehofft hätte, durch sie etwas Wesentliches zu erreichen, und abgesehen von den „beschriebenen Blättern Papier", deren man zu Wien eine große Menge ausgehen ließ, in» das Publikum zu unterhalten »»d den Zeitungen Stoff zu geben, wandte man zwei sehr einfache Mittel an : man verllnnlte die I»surge»te» nnter verschie¬ dene kaiserliche Regimenter, und man ersetzte die bisherigen, nationalen Obrigkeiten dnrch deutsche, schwarzgelbe Beamte. 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/347>, abgerufen am 26.06.2024.