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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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bewaffnet sich. Hier ist Alles verständlich, man wird ganz in die Stimmung einer
gewaltigen Empörung versetzt, und mit wie einfachen Mitteln wenn man den Ap¬
parat damit vergleicht, den das Drama bedarf. -- Die Ankunft des Grafen mit
seinen Bewaffneten unterbricht den Tumult. -- Die Wiedertäufer, in deren einem
-- und das ist der erste verwirrende Moment -- er einen diebischen Knecht er¬
kennt, werden fortgejagt; Bertha bringt ihre Bitte an, deren Einfachheit durch
das unmotivirte humoristische Benehmen der Fides (musikalisch gezeichnet) gestört
wird; der Graf sagt: ein hübsches Mädchen behalte ich lieber selbst, und führt
sie mit sich fort. Murren des Volks über diese Frevelthat. Oben erscheinen wie¬
der die drei Wiedertäufer mit ihrem Choral, und wir wissen beim Fallen des
Vorhangs mit Zuversicht, daß sie nun einen festen Boden haben.

Zweiter Act. Johanns Wohnung. Unnöthiger Tanz. Die drei Wieder¬
täufer erkennen in Johann den Mann, den sie brauchen, und suchen ihn zu bereden,
Prophet zu werden. Er weigert sich, er will heirathen. Wie sie fort sind, flüchtet
seiue Braut, von den Reitern des Grafen verfolgt, im größten Entsetzen herein.
Er verbirgt sie, aber man bringt seiue Mutter, und zwei Henker mit gehobenem
Beil drohen, ihr den Kops einzuschlagen, wenn er nicht Bertha ausliefert. Er
thut es endlich nach einigem inneren Kampf. Die Mutter dankt in einer gerührten
Arie. Die rückkehrenden Wiedertäufer finden ihn jetzt in der nöthigen Stimmung;
um Rache zu finden, wird er Prophet, verpflichtet sich, allen menschlichen Banden
zu entsagen, und verlaßt die Mutter ohne Abschied. -- Es ist viel dramatische
Kraft in der musikalischen Ausführung dieser Scene aufgewandt, nur herrscht die
Deklamation fast zu sehr über die Harmonie.

Dritter Act. Winterlandschaft. Das siegreiche Heer der Wiedertäufer lagert
vor Münster. Der Triumph- und Nachegcsang, der zur Fortsetzung des Verständ¬
nisses sehr wesentlich ist, uuter andern anch dazu, daß das Publikum etwas von den
Ausschweifungen der Wiedertäufer erfährt, von denen sonst nichts zu sehen ist, hat
die Leipziger Regie ausgelassen. Es folgt der Schlittschnhlanf, der übrigens eine
sehr artige Melodie veranlaßt. -- Zelt der Anführer. Es ist dunkel. Ein Neu-
geworbeuer wird eingeführt, und muß beschwören, alle Klöster anzuzünden, alle
Edelleute zu hängen.


Endlich noch nothwendig ist,
Du lebst stets als guter Christ, höchst heilig!

lind unmittelbar darauf: Schenkel ein, ihr Herzensbrüder, Bcchcrklang n. s. w. --
Das Terzett ist musikalisch eiuer der Glanzpunkte, aber in dem dramatischen Zusam-
menhang sehr störend, denn wir sehen nnn die drei Helden, in denen wir bisher
das Symbol einer zwar dunkeln, aber relativ berechtigten Idee anerkannten, als
gemeine Schurken vor uus. An einfache Schwärmerei kauu der französische Pragina-
matiker nicht glauben. -- Es wird Licht angezündet, und man erkennt in dem
angeblichen Recruten den Grafen selbst, der sich als Spion in's Lager eüigeschlichen


bewaffnet sich. Hier ist Alles verständlich, man wird ganz in die Stimmung einer
gewaltigen Empörung versetzt, und mit wie einfachen Mitteln wenn man den Ap¬
parat damit vergleicht, den das Drama bedarf. — Die Ankunft des Grafen mit
seinen Bewaffneten unterbricht den Tumult. — Die Wiedertäufer, in deren einem
— und das ist der erste verwirrende Moment — er einen diebischen Knecht er¬
kennt, werden fortgejagt; Bertha bringt ihre Bitte an, deren Einfachheit durch
das unmotivirte humoristische Benehmen der Fides (musikalisch gezeichnet) gestört
wird; der Graf sagt: ein hübsches Mädchen behalte ich lieber selbst, und führt
sie mit sich fort. Murren des Volks über diese Frevelthat. Oben erscheinen wie¬
der die drei Wiedertäufer mit ihrem Choral, und wir wissen beim Fallen des
Vorhangs mit Zuversicht, daß sie nun einen festen Boden haben.

Zweiter Act. Johanns Wohnung. Unnöthiger Tanz. Die drei Wieder¬
täufer erkennen in Johann den Mann, den sie brauchen, und suchen ihn zu bereden,
Prophet zu werden. Er weigert sich, er will heirathen. Wie sie fort sind, flüchtet
seiue Braut, von den Reitern des Grafen verfolgt, im größten Entsetzen herein.
Er verbirgt sie, aber man bringt seiue Mutter, und zwei Henker mit gehobenem
Beil drohen, ihr den Kops einzuschlagen, wenn er nicht Bertha ausliefert. Er
thut es endlich nach einigem inneren Kampf. Die Mutter dankt in einer gerührten
Arie. Die rückkehrenden Wiedertäufer finden ihn jetzt in der nöthigen Stimmung;
um Rache zu finden, wird er Prophet, verpflichtet sich, allen menschlichen Banden
zu entsagen, und verlaßt die Mutter ohne Abschied. — Es ist viel dramatische
Kraft in der musikalischen Ausführung dieser Scene aufgewandt, nur herrscht die
Deklamation fast zu sehr über die Harmonie.

Dritter Act. Winterlandschaft. Das siegreiche Heer der Wiedertäufer lagert
vor Münster. Der Triumph- und Nachegcsang, der zur Fortsetzung des Verständ¬
nisses sehr wesentlich ist, uuter andern anch dazu, daß das Publikum etwas von den
Ausschweifungen der Wiedertäufer erfährt, von denen sonst nichts zu sehen ist, hat
die Leipziger Regie ausgelassen. Es folgt der Schlittschnhlanf, der übrigens eine
sehr artige Melodie veranlaßt. — Zelt der Anführer. Es ist dunkel. Ein Neu-
geworbeuer wird eingeführt, und muß beschwören, alle Klöster anzuzünden, alle
Edelleute zu hängen.


Endlich noch nothwendig ist,
Du lebst stets als guter Christ, höchst heilig!

lind unmittelbar darauf: Schenkel ein, ihr Herzensbrüder, Bcchcrklang n. s. w. —
Das Terzett ist musikalisch eiuer der Glanzpunkte, aber in dem dramatischen Zusam-
menhang sehr störend, denn wir sehen nnn die drei Helden, in denen wir bisher
das Symbol einer zwar dunkeln, aber relativ berechtigten Idee anerkannten, als
gemeine Schurken vor uus. An einfache Schwärmerei kauu der französische Pragina-
matiker nicht glauben. — Es wird Licht angezündet, und man erkennt in dem
angeblichen Recruten den Grafen selbst, der sich als Spion in's Lager eüigeschlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/31>, abgerufen am 03.07.2024.