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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Die Ehre! -- "Aber bleibt der Magen leer,
Reicht sie allein nicht ans." -- Es reifen jetzt
Für sie die Früchte ihrer Siege, denn
Ans dieses Teiches EiscSspicgcl eilt
Von allen Seiten eine Schaar herbei,
Und schlanken Leibes, leichten Fußes bringt
Sie Speis' und Trau? heran.

Und MM folgen eine Viertelstunde hindurch die halsbrechendsten eqnilibristischen
Kunststücke; das Corps de Ballet gleitet ans Schlittschuhen, die auf Rädern ruhen,
über die Bühne, jeden Augenblick in Gefahr, ius Orchester hinunterzufatten, und
in sichtbarer Todesangst. Diese Künste mögen Interresse erregen, wo sie motten,
in den Zusammenhang der Handlung und in die Einheit der Stimmung wirken
sie nur störend ein. -- Es wäre an der Zeit, überhaupt einmal ein ernstes Wort
gegen das Unwesen des Pariser Ballets zu sagen, an dem wir aus reiner Pietät
Geschmack finden, weil der Gebrauch es einmal geheiligt hat. Eigentlich sind diese
verschrobenen Stellungen so unschön als möglich, und mehr auf die Sinnlichkeit
als auf das ästhetische Gefühl berechnet. In der Oper sind sie uur da im Recht,
wo sie eine bestimmte, in dem Lauf der Handlung begründete Stüumuug vcr-
stuulicheu, wie das Ballet der Mexikanischen Zauberer im Cortez, oder die Elfen
im Oberon. Ein störendes Intermezzo dagegen, wie z. B. der Zigeuncrtanz
in den Hugenotten, ist schlechthin verwerflich. -- Mau suche in diesen Vcrwürfeu
keine Pedanterie, bei einer gemischten Kunst ist ein strenges Festhalten der leiten-
den Tendenz uoch nöthiger, als bei dem einfachen Drama, wenn uicht bald eine
völlige Verwilderung eintreten soll.

Der zweite Vorwurf trifft mehr das Wesen der Sache. Die Dichtung läßt
sich zu sehr auf Intriguen, auf ein sorgfältiges Motivireu ein; und die Musik folgt
mit ihrer Declamation zu sehr dem einzelnen Bild und der einzelnen Stinuiulug,
um das hervorzubringen, was ich als das Wesentliche der heroischen Oper ange¬
deutet habe, große Gegensätze. Einmal im Propheten wird sogar das An¬
schlagen von Feuer musikalisch dargestellt, wie im Robert das Werfen der Würfel.
Scribe's dramatische Anlage hat eine auffallende NehNlichkeit mit Calderon, wie
überhaupt die Verwandtschaft zwischen dem französischen und spanischen Theater
bei genauer Betrachtung sich nicht verkennen laßt. Der kalte Verstand in der
Conception des Stücks, der Witz im Combiniren, die Virtuosität in der Intrigue,
zeichnet das Lustspiel beider Dichter aus; und sür das phantastische Wesen, welches
der ueufrauzöfische Dramatiker uicht wie sein Vorbild in gläubigen Tragödien aus¬
drücke" durfte, findet er in der Oper den angemessenen Schauplatz. Aus den erstell
Blick hält man es kaum für möglich, daß ein Libretto, wie das zu Robert dem
Teufel, von dem Verfasser so verständiger Stücke, wie 1e verre et'c-an und un"?
elmmo herrühren sollte. Allein bei genanerer Betrachtung finden wir doch die
Gleichheit. Auch bei eiuer phantastischen Fabel kaun der Dichter die Intrigue


Die Ehre! — „Aber bleibt der Magen leer,
Reicht sie allein nicht ans." — Es reifen jetzt
Für sie die Früchte ihrer Siege, denn
Ans dieses Teiches EiscSspicgcl eilt
Von allen Seiten eine Schaar herbei,
Und schlanken Leibes, leichten Fußes bringt
Sie Speis' und Trau? heran.

Und MM folgen eine Viertelstunde hindurch die halsbrechendsten eqnilibristischen
Kunststücke; das Corps de Ballet gleitet ans Schlittschuhen, die auf Rädern ruhen,
über die Bühne, jeden Augenblick in Gefahr, ius Orchester hinunterzufatten, und
in sichtbarer Todesangst. Diese Künste mögen Interresse erregen, wo sie motten,
in den Zusammenhang der Handlung und in die Einheit der Stimmung wirken
sie nur störend ein. — Es wäre an der Zeit, überhaupt einmal ein ernstes Wort
gegen das Unwesen des Pariser Ballets zu sagen, an dem wir aus reiner Pietät
Geschmack finden, weil der Gebrauch es einmal geheiligt hat. Eigentlich sind diese
verschrobenen Stellungen so unschön als möglich, und mehr auf die Sinnlichkeit
als auf das ästhetische Gefühl berechnet. In der Oper sind sie uur da im Recht,
wo sie eine bestimmte, in dem Lauf der Handlung begründete Stüumuug vcr-
stuulicheu, wie das Ballet der Mexikanischen Zauberer im Cortez, oder die Elfen
im Oberon. Ein störendes Intermezzo dagegen, wie z. B. der Zigeuncrtanz
in den Hugenotten, ist schlechthin verwerflich. — Mau suche in diesen Vcrwürfeu
keine Pedanterie, bei einer gemischten Kunst ist ein strenges Festhalten der leiten-
den Tendenz uoch nöthiger, als bei dem einfachen Drama, wenn uicht bald eine
völlige Verwilderung eintreten soll.

Der zweite Vorwurf trifft mehr das Wesen der Sache. Die Dichtung läßt
sich zu sehr auf Intriguen, auf ein sorgfältiges Motivireu ein; und die Musik folgt
mit ihrer Declamation zu sehr dem einzelnen Bild und der einzelnen Stinuiulug,
um das hervorzubringen, was ich als das Wesentliche der heroischen Oper ange¬
deutet habe, große Gegensätze. Einmal im Propheten wird sogar das An¬
schlagen von Feuer musikalisch dargestellt, wie im Robert das Werfen der Würfel.
Scribe's dramatische Anlage hat eine auffallende NehNlichkeit mit Calderon, wie
überhaupt die Verwandtschaft zwischen dem französischen und spanischen Theater
bei genauer Betrachtung sich nicht verkennen laßt. Der kalte Verstand in der
Conception des Stücks, der Witz im Combiniren, die Virtuosität in der Intrigue,
zeichnet das Lustspiel beider Dichter aus; und sür das phantastische Wesen, welches
der ueufrauzöfische Dramatiker uicht wie sein Vorbild in gläubigen Tragödien aus¬
drücke» durfte, findet er in der Oper den angemessenen Schauplatz. Aus den erstell
Blick hält man es kaum für möglich, daß ein Libretto, wie das zu Robert dem
Teufel, von dem Verfasser so verständiger Stücke, wie 1e verre et'c-an und un«?
elmmo herrühren sollte. Allein bei genanerer Betrachtung finden wir doch die
Gleichheit. Auch bei eiuer phantastischen Fabel kaun der Dichter die Intrigue


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/29>, abgerufen am 22.07.2024.