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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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wo das Ansehn der Sache noch immer ungeschmälert bestand -- weil sie eine
verbotene gewesen war -- und wo die seit Joseph II. Tode versteckten Trümmer
der Gesellschaft plötzlich wieder lebendig wurden und in verschiedenen großen
Städten des Reichs sich zu Logen organisirten. Während man sich im übrigen
Deutschland darüber gestritten hatte, ob Juden in den Orden ausgenommen werden
dürften, wie es in England und Amerika geschieht, war man in Oestreich froh,
endlich eine Verbindung von Christen, in welche die finstern Satzungen keines
speciellen kirchlichen Dogma's eindringen sollen, zu haben. Wir meinen, daß die
östreichische Regierung, sobald sie das maurerische Thun und Treiben in der
Nähe eine Zeitlang beobachtet haben wird, sich, wie damals der König von Preußen,
überzeugen werde, daß die Freimaurerei mit politischen Clubs keine, auch nicht
die entfernteste Aehnlichkeit hat. Läßt sich aber die Negierung von der in Oest¬
reich herrschenden Landeskirche imponiren, wie fast zu vermuthen steht, so wird
es den Freimaurern dort nicht besser als 1792 ergehen").

Die Revolution von 18-48 hatte den Orden nicht wesentlich berührt; wir
meinen damit sein äußeres Geschick, seine Stellung zum Staate, aber keineswegs
seine innere Lebenskraft. Diese ist zum, Kampfe stärker als je herausgefordert,
soll das Siechthum der alten ehrwürdigen Verbrüderung nicht völlig unheilbar
werden. Den Durst der heutigen Intelligenz zu stillen, vermag sie längst nicht
mehr. Ihr bleibt nnr Eines, nämlich die ethische Seite deö Menschen. Sie
hat, nach dem öffentlichen Bekenntnisse ihrer besten Schriftsteller, die von allen
Fragen der Politik und Religion getrennte Aufgabe, den Menschen als solchen zu '
vervollkommnen. Sie will so ein Gegengewicht gegen die laxe Moral bilden,
wonach das Gewissen des Menschen unzuverlässig ist, weil Einer ein weites, der
Andere ein enges Gewissen habe, denn sie hat aus diesem Felde das Bewußtsein
einer ungeheuren Majorität des von dem Gifte einer schlechten Bildung noch
nicht angegriffenen Volkes für sich. Die Aufgabe ist eine ewige, der Drang, sich
mit dieser Lösung zu beschäftigen, ist eben so alt, und wird eben so lange wieder¬
kehren, als das Menschengeschlecht dauert. Aber welcher Mittel wird sich der
Bund ferner bedienen? Werden die bisherigen zureichen? Gewiß eben so wenig,
als die zahllosen seit der Ethik des Aristoteles entworfenen Moralsysteme praktischen
Nutzen gewährt haben. Wird er neue auffinden? Wir wagen nicht, dies im
Voraus zu entscheiden, aber wir" hegen die Ueberzeugung, daß die Bemühung um
wahre Belebung seines Princips von der Existenzfrage des Ordens unzertrennlich
ist. Darauf hiuzuweisett war der Zweck dieses Aussatzes, der zugleich manche
falsche Vorstellung vou der Bedeutung eines dereinst so mächtigen Cultnrmittels
zu beseitigen sucht.





") Ist bereits geschehe". Die Landeskirche hat der Regierung ünponirt die Logen
,
Ani". d. Red. werden verboten.
GrenMcn.it. 1850. 32

wo das Ansehn der Sache noch immer ungeschmälert bestand — weil sie eine
verbotene gewesen war — und wo die seit Joseph II. Tode versteckten Trümmer
der Gesellschaft plötzlich wieder lebendig wurden und in verschiedenen großen
Städten des Reichs sich zu Logen organisirten. Während man sich im übrigen
Deutschland darüber gestritten hatte, ob Juden in den Orden ausgenommen werden
dürften, wie es in England und Amerika geschieht, war man in Oestreich froh,
endlich eine Verbindung von Christen, in welche die finstern Satzungen keines
speciellen kirchlichen Dogma's eindringen sollen, zu haben. Wir meinen, daß die
östreichische Regierung, sobald sie das maurerische Thun und Treiben in der
Nähe eine Zeitlang beobachtet haben wird, sich, wie damals der König von Preußen,
überzeugen werde, daß die Freimaurerei mit politischen Clubs keine, auch nicht
die entfernteste Aehnlichkeit hat. Läßt sich aber die Negierung von der in Oest¬
reich herrschenden Landeskirche imponiren, wie fast zu vermuthen steht, so wird
es den Freimaurern dort nicht besser als 1792 ergehen").

Die Revolution von 18-48 hatte den Orden nicht wesentlich berührt; wir
meinen damit sein äußeres Geschick, seine Stellung zum Staate, aber keineswegs
seine innere Lebenskraft. Diese ist zum, Kampfe stärker als je herausgefordert,
soll das Siechthum der alten ehrwürdigen Verbrüderung nicht völlig unheilbar
werden. Den Durst der heutigen Intelligenz zu stillen, vermag sie längst nicht
mehr. Ihr bleibt nnr Eines, nämlich die ethische Seite deö Menschen. Sie
hat, nach dem öffentlichen Bekenntnisse ihrer besten Schriftsteller, die von allen
Fragen der Politik und Religion getrennte Aufgabe, den Menschen als solchen zu '
vervollkommnen. Sie will so ein Gegengewicht gegen die laxe Moral bilden,
wonach das Gewissen des Menschen unzuverlässig ist, weil Einer ein weites, der
Andere ein enges Gewissen habe, denn sie hat aus diesem Felde das Bewußtsein
einer ungeheuren Majorität des von dem Gifte einer schlechten Bildung noch
nicht angegriffenen Volkes für sich. Die Aufgabe ist eine ewige, der Drang, sich
mit dieser Lösung zu beschäftigen, ist eben so alt, und wird eben so lange wieder¬
kehren, als das Menschengeschlecht dauert. Aber welcher Mittel wird sich der
Bund ferner bedienen? Werden die bisherigen zureichen? Gewiß eben so wenig,
als die zahllosen seit der Ethik des Aristoteles entworfenen Moralsysteme praktischen
Nutzen gewährt haben. Wird er neue auffinden? Wir wagen nicht, dies im
Voraus zu entscheiden, aber wir" hegen die Ueberzeugung, daß die Bemühung um
wahre Belebung seines Princips von der Existenzfrage des Ordens unzertrennlich
ist. Darauf hiuzuweisett war der Zweck dieses Aussatzes, der zugleich manche
falsche Vorstellung vou der Bedeutung eines dereinst so mächtigen Cultnrmittels
zu beseitigen sucht.





») Ist bereits geschehe». Die Landeskirche hat der Regierung ünponirt die Logen
,
Ani». d. Red. werden verboten.
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[0257] wo das Ansehn der Sache noch immer ungeschmälert bestand — weil sie eine verbotene gewesen war — und wo die seit Joseph II. Tode versteckten Trümmer der Gesellschaft plötzlich wieder lebendig wurden und in verschiedenen großen Städten des Reichs sich zu Logen organisirten. Während man sich im übrigen Deutschland darüber gestritten hatte, ob Juden in den Orden ausgenommen werden dürften, wie es in England und Amerika geschieht, war man in Oestreich froh, endlich eine Verbindung von Christen, in welche die finstern Satzungen keines speciellen kirchlichen Dogma's eindringen sollen, zu haben. Wir meinen, daß die östreichische Regierung, sobald sie das maurerische Thun und Treiben in der Nähe eine Zeitlang beobachtet haben wird, sich, wie damals der König von Preußen, überzeugen werde, daß die Freimaurerei mit politischen Clubs keine, auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit hat. Läßt sich aber die Negierung von der in Oest¬ reich herrschenden Landeskirche imponiren, wie fast zu vermuthen steht, so wird es den Freimaurern dort nicht besser als 1792 ergehen"). Die Revolution von 18-48 hatte den Orden nicht wesentlich berührt; wir meinen damit sein äußeres Geschick, seine Stellung zum Staate, aber keineswegs seine innere Lebenskraft. Diese ist zum, Kampfe stärker als je herausgefordert, soll das Siechthum der alten ehrwürdigen Verbrüderung nicht völlig unheilbar werden. Den Durst der heutigen Intelligenz zu stillen, vermag sie längst nicht mehr. Ihr bleibt nnr Eines, nämlich die ethische Seite deö Menschen. Sie hat, nach dem öffentlichen Bekenntnisse ihrer besten Schriftsteller, die von allen Fragen der Politik und Religion getrennte Aufgabe, den Menschen als solchen zu ' vervollkommnen. Sie will so ein Gegengewicht gegen die laxe Moral bilden, wonach das Gewissen des Menschen unzuverlässig ist, weil Einer ein weites, der Andere ein enges Gewissen habe, denn sie hat aus diesem Felde das Bewußtsein einer ungeheuren Majorität des von dem Gifte einer schlechten Bildung noch nicht angegriffenen Volkes für sich. Die Aufgabe ist eine ewige, der Drang, sich mit dieser Lösung zu beschäftigen, ist eben so alt, und wird eben so lange wieder¬ kehren, als das Menschengeschlecht dauert. Aber welcher Mittel wird sich der Bund ferner bedienen? Werden die bisherigen zureichen? Gewiß eben so wenig, als die zahllosen seit der Ethik des Aristoteles entworfenen Moralsysteme praktischen Nutzen gewährt haben. Wird er neue auffinden? Wir wagen nicht, dies im Voraus zu entscheiden, aber wir" hegen die Ueberzeugung, daß die Bemühung um wahre Belebung seines Princips von der Existenzfrage des Ordens unzertrennlich ist. Darauf hiuzuweisett war der Zweck dieses Aussatzes, der zugleich manche falsche Vorstellung vou der Bedeutung eines dereinst so mächtigen Cultnrmittels zu beseitigen sucht. ») Ist bereits geschehe». Die Landeskirche hat der Regierung ünponirt die Logen , Ani». d. Red. werden verboten. GrenMcn.it. 1850. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/257>, abgerufen am 24.08.2024.