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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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witterte" Hunde an den von der Kälte gehärteten Leichnamen vieler Gemordeten
nagten.

ES war darum nicht zu verwundern, daß Ilona weinte, und die Mutter
zürnte. Die Matrone war eine grade, ehrliche Natur, die das starre Eisen ihres
Nachegefnhles überall als Waffe denjenigen vorhielt, welche die Partei der Wa-
lachen, wenn auch schüchtern ihr gegegenüber ergrissen, und an der Maßnahme
des ungarischen LandesvertheidignngsansschnsseS mäkelten. Die Frau war keines¬
wegs blind gegen die Verstöße, die derselbe hie und da beging, und tadelte auch
diese mit eben solchen schneidenden Worten, wie sie sie gegen die Regierung in Wien
im Munde führte. Jeder, der sie genauer kannte, achtete sie, fürchtete sie wohl
auch etwas. Sie war eine eifrige Patriotin, mit vielem natürlichen Scharfsinne
begabt, und eiuer Thatkraft und Entschlossenheit fähig, welche sie wohl dazu hätte
bringen können, sür ihre Ueberzeugungen selbst gerecht genug, um ein Verbrechen
zu begehen.

In beständigem Umgänge mit der Mutter aufgewachsen -- der Vater war
früh gestorben -- hatte Ilona viel von ihr gelernt, nur die Härte und Strenge
nicht. Ja, je starrer die Szeklerin in ihren Urtheilen ward, desto mehr bildete
sich in dem Herzen des Mädchens ein weicher Gegensatz, den Nachdenken und an¬
geborene- Weiblichkeit immer mehr entwickelten. Sie war eine stille, aber zarte
Blüthe, die sich oft plötzlich in großer Schönheit öffnete, wenn ein starkes Gefühl
sie berührte. Ihre Neigung zu Oedön von Zalathna -- so hieß der ihr verlobte
Bergbcamte -- war eine tiefe, meist ruhige Neigung. Von ihrer Mutter ward
sie unaussprechlich geliebt, vielleicht grade wegen der Gegensätze, die in ihrem Cha¬
rakter lagen. Und ihre Freunde -- auch ich gehörte zu diesen -- zählen ihr
Bild zu den reinsten Gestalten, welche ans einer wüsten, thränenreichen Zeit in
dem Gedächtniß zurückgeblieben siud.

Eben krochen zwei müdgejagte Pferde, die einen mit Menschen beladenen
Wagen zogen, durch die Gasse, an dein Hause der Frauen vorüber. Entsetzen,
Angst und physische Erschöpfung lagen ans den Gesichtern der Reisenden.

Ilona wies auf das Fuhrwerk: "Gewiß siud das wieder Flüchtlinge, die eine
Schreckensnacht aus ihren Wohnungen vertrieben hat. Sich', wie abgemagert
und elend sie aussehen. Sie haben eine weite Reise gemacht."

"Ich will," rief die Matrone, "fragen, woher sie kommen, und zusehen, ob
ich ihnen helfen kann."

Sie eilte mit schnellem Schritt hinaus, und die. Pferde aufhaltend fragte sie:
"Woher kommt Ihr?"

"Von Zalathna," antwortete eine junge Frau, die ihren Säugling auf dem
Schooße trug.

"Was ist's mit Zalathna?"


witterte« Hunde an den von der Kälte gehärteten Leichnamen vieler Gemordeten
nagten.

ES war darum nicht zu verwundern, daß Ilona weinte, und die Mutter
zürnte. Die Matrone war eine grade, ehrliche Natur, die das starre Eisen ihres
Nachegefnhles überall als Waffe denjenigen vorhielt, welche die Partei der Wa-
lachen, wenn auch schüchtern ihr gegegenüber ergrissen, und an der Maßnahme
des ungarischen LandesvertheidignngsansschnsseS mäkelten. Die Frau war keines¬
wegs blind gegen die Verstöße, die derselbe hie und da beging, und tadelte auch
diese mit eben solchen schneidenden Worten, wie sie sie gegen die Regierung in Wien
im Munde führte. Jeder, der sie genauer kannte, achtete sie, fürchtete sie wohl
auch etwas. Sie war eine eifrige Patriotin, mit vielem natürlichen Scharfsinne
begabt, und eiuer Thatkraft und Entschlossenheit fähig, welche sie wohl dazu hätte
bringen können, sür ihre Ueberzeugungen selbst gerecht genug, um ein Verbrechen
zu begehen.

In beständigem Umgänge mit der Mutter aufgewachsen — der Vater war
früh gestorben — hatte Ilona viel von ihr gelernt, nur die Härte und Strenge
nicht. Ja, je starrer die Szeklerin in ihren Urtheilen ward, desto mehr bildete
sich in dem Herzen des Mädchens ein weicher Gegensatz, den Nachdenken und an¬
geborene- Weiblichkeit immer mehr entwickelten. Sie war eine stille, aber zarte
Blüthe, die sich oft plötzlich in großer Schönheit öffnete, wenn ein starkes Gefühl
sie berührte. Ihre Neigung zu Oedön von Zalathna — so hieß der ihr verlobte
Bergbcamte — war eine tiefe, meist ruhige Neigung. Von ihrer Mutter ward
sie unaussprechlich geliebt, vielleicht grade wegen der Gegensätze, die in ihrem Cha¬
rakter lagen. Und ihre Freunde — auch ich gehörte zu diesen — zählen ihr
Bild zu den reinsten Gestalten, welche ans einer wüsten, thränenreichen Zeit in
dem Gedächtniß zurückgeblieben siud.

Eben krochen zwei müdgejagte Pferde, die einen mit Menschen beladenen
Wagen zogen, durch die Gasse, an dein Hause der Frauen vorüber. Entsetzen,
Angst und physische Erschöpfung lagen ans den Gesichtern der Reisenden.

Ilona wies auf das Fuhrwerk: „Gewiß siud das wieder Flüchtlinge, die eine
Schreckensnacht aus ihren Wohnungen vertrieben hat. Sich', wie abgemagert
und elend sie aussehen. Sie haben eine weite Reise gemacht."

„Ich will," rief die Matrone, „fragen, woher sie kommen, und zusehen, ob
ich ihnen helfen kann."

Sie eilte mit schnellem Schritt hinaus, und die. Pferde aufhaltend fragte sie:
„Woher kommt Ihr?"

„Von Zalathna," antwortete eine junge Frau, die ihren Säugling auf dem
Schooße trug.

„Was ist's mit Zalathna?"


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[0229] witterte« Hunde an den von der Kälte gehärteten Leichnamen vieler Gemordeten nagten. ES war darum nicht zu verwundern, daß Ilona weinte, und die Mutter zürnte. Die Matrone war eine grade, ehrliche Natur, die das starre Eisen ihres Nachegefnhles überall als Waffe denjenigen vorhielt, welche die Partei der Wa- lachen, wenn auch schüchtern ihr gegegenüber ergrissen, und an der Maßnahme des ungarischen LandesvertheidignngsansschnsseS mäkelten. Die Frau war keines¬ wegs blind gegen die Verstöße, die derselbe hie und da beging, und tadelte auch diese mit eben solchen schneidenden Worten, wie sie sie gegen die Regierung in Wien im Munde führte. Jeder, der sie genauer kannte, achtete sie, fürchtete sie wohl auch etwas. Sie war eine eifrige Patriotin, mit vielem natürlichen Scharfsinne begabt, und eiuer Thatkraft und Entschlossenheit fähig, welche sie wohl dazu hätte bringen können, sür ihre Ueberzeugungen selbst gerecht genug, um ein Verbrechen zu begehen. In beständigem Umgänge mit der Mutter aufgewachsen — der Vater war früh gestorben — hatte Ilona viel von ihr gelernt, nur die Härte und Strenge nicht. Ja, je starrer die Szeklerin in ihren Urtheilen ward, desto mehr bildete sich in dem Herzen des Mädchens ein weicher Gegensatz, den Nachdenken und an¬ geborene- Weiblichkeit immer mehr entwickelten. Sie war eine stille, aber zarte Blüthe, die sich oft plötzlich in großer Schönheit öffnete, wenn ein starkes Gefühl sie berührte. Ihre Neigung zu Oedön von Zalathna — so hieß der ihr verlobte Bergbcamte — war eine tiefe, meist ruhige Neigung. Von ihrer Mutter ward sie unaussprechlich geliebt, vielleicht grade wegen der Gegensätze, die in ihrem Cha¬ rakter lagen. Und ihre Freunde — auch ich gehörte zu diesen — zählen ihr Bild zu den reinsten Gestalten, welche ans einer wüsten, thränenreichen Zeit in dem Gedächtniß zurückgeblieben siud. Eben krochen zwei müdgejagte Pferde, die einen mit Menschen beladenen Wagen zogen, durch die Gasse, an dein Hause der Frauen vorüber. Entsetzen, Angst und physische Erschöpfung lagen ans den Gesichtern der Reisenden. Ilona wies auf das Fuhrwerk: „Gewiß siud das wieder Flüchtlinge, die eine Schreckensnacht aus ihren Wohnungen vertrieben hat. Sich', wie abgemagert und elend sie aussehen. Sie haben eine weite Reise gemacht." „Ich will," rief die Matrone, „fragen, woher sie kommen, und zusehen, ob ich ihnen helfen kann." Sie eilte mit schnellem Schritt hinaus, und die. Pferde aufhaltend fragte sie: „Woher kommt Ihr?" „Von Zalathna," antwortete eine junge Frau, die ihren Säugling auf dem Schooße trug. „Was ist's mit Zalathna?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/229>, abgerufen am 03.07.2024.