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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Netz der Disciplin verstrickt, dessen letzte Faden außerhalb des Staats, außerhalb
der Nation, jenseit der Berge zusammenlaufen, deren Grundlage und deren Werk¬
zeug das Wunder ist, das Wunder, das nicht in historischer Ferne bleibt, sondern
sich alle Tage lebendig erneut; die Geistlichkeit ist, sobald der Staat ihr die unbedingte
Freiheit gibt, nud ihren Einfluß auf die sittlichen Begriffe des Volkes in der
Beichte, in den Ehesachen, der geistlichen Jurisdiction und den Schulen bestehen
läßt, die vollständige Verleugnung des Staats und der Nation. Denn dnrch
diesen Einfluß hat sie den Staat in den Händen, und verlegt seinen Schwerpunkt
außerhalb der Nation, jenseit der Berge.

Freiheit der Kirche ist Knechtschaft des Staats.

Das römische Reich deutscher Nation, die mittelalterliche Darstellung dieser
Unfreiheit des Staats wurde zuerst dnrch die Reformation, dann dnrch Friedrich
den Großen gebrochen. Die französischen Kriege haben ihm den Nest gegeben.

Dies ist das Ziel, das dem protestantischen Staat in Deutschland gesteckt
ist, das er nie aufgeben kaun, wenn er sich nicht selbst aufgeben will: Losreißung
von dem alten römischen Reich. Gelingt es ihm, Oestreich mitzureißen, "in so
besser; wo nicht, muß der Schnitt gewagt werden. Ans die Größe kommt es
nicht an, wo es sich um die E.risteuz handelt.

Von diesem Gesichtspunkt müssen, wir ausgehen, wenn wir die verschiedenen
Richtungen begreifen wollen, die sich scheinbar in ihrem Ziel, dem Bundesstaat,
begegnen.

Unser Bundesstaat ist der Ausdruck des protestaniischeu Wesens: Völlige,
unbedingte Souveränetät des Staats jeder äußern Gewalt gegenüber, und recht¬
liche Organisation desselben aus der breiten Grundlage" der Nation.

Der Bundesstaat des Herrn v. Nadowit,, der gleich Schwarzenberg im drei¬
ßigjährigen Kriege den Staat, deu er lenken soll, in die Abhängigkeit des alten
römischen Reichs führen möchte, der ihn mir darum will, um durch die preußische
Kraft die übrigen vereinzelten Bruchstücke der protestantischen Bildung in den
strengen Dienst zurnckzuzwingen, dieser nicht souveräne, nicht nationale, nicht auf
Autonomie und Vertretung des Volks gegründete Bundesstaat, ist nicht der
Unsere.

Warum wird dennoch Hr. v. Radowitz von den Oestreichern angefeindet? --
Weil sie in ihrer Einfalt klüger sind, als der romantische Staatsmann in seiner
Feinheit; weil sie begreifen, daß der Bundesstaat, wie man ihn anch verklausulircn
möge, durch die Macht der Verhältnisse in eine ihnen feindliche Richtung getrie¬
ben werdeu muß. -- Und weil wir das ebenso einsehen, gehen wir mit Herrn
v. Radvwitz, obgleich wir wissen, daß er etwas anderes will, als wir.

Darum kämpft nicht blos die kleine ultramontane Partei in Erfurt, sondern
auch die sogenannte specifisch preußische Partei -- wozu ich übrigens nicht alle
Schwarzweiße rechne, z. B. nicht Hrn. v. Bismark-Schönhausen, dessen Oppo-


Netz der Disciplin verstrickt, dessen letzte Faden außerhalb des Staats, außerhalb
der Nation, jenseit der Berge zusammenlaufen, deren Grundlage und deren Werk¬
zeug das Wunder ist, das Wunder, das nicht in historischer Ferne bleibt, sondern
sich alle Tage lebendig erneut; die Geistlichkeit ist, sobald der Staat ihr die unbedingte
Freiheit gibt, nud ihren Einfluß auf die sittlichen Begriffe des Volkes in der
Beichte, in den Ehesachen, der geistlichen Jurisdiction und den Schulen bestehen
läßt, die vollständige Verleugnung des Staats und der Nation. Denn dnrch
diesen Einfluß hat sie den Staat in den Händen, und verlegt seinen Schwerpunkt
außerhalb der Nation, jenseit der Berge.

Freiheit der Kirche ist Knechtschaft des Staats.

Das römische Reich deutscher Nation, die mittelalterliche Darstellung dieser
Unfreiheit des Staats wurde zuerst dnrch die Reformation, dann dnrch Friedrich
den Großen gebrochen. Die französischen Kriege haben ihm den Nest gegeben.

Dies ist das Ziel, das dem protestantischen Staat in Deutschland gesteckt
ist, das er nie aufgeben kaun, wenn er sich nicht selbst aufgeben will: Losreißung
von dem alten römischen Reich. Gelingt es ihm, Oestreich mitzureißen, »in so
besser; wo nicht, muß der Schnitt gewagt werden. Ans die Größe kommt es
nicht an, wo es sich um die E.risteuz handelt.

Von diesem Gesichtspunkt müssen, wir ausgehen, wenn wir die verschiedenen
Richtungen begreifen wollen, die sich scheinbar in ihrem Ziel, dem Bundesstaat,
begegnen.

Unser Bundesstaat ist der Ausdruck des protestaniischeu Wesens: Völlige,
unbedingte Souveränetät des Staats jeder äußern Gewalt gegenüber, und recht¬
liche Organisation desselben aus der breiten Grundlage" der Nation.

Der Bundesstaat des Herrn v. Nadowit,, der gleich Schwarzenberg im drei¬
ßigjährigen Kriege den Staat, deu er lenken soll, in die Abhängigkeit des alten
römischen Reichs führen möchte, der ihn mir darum will, um durch die preußische
Kraft die übrigen vereinzelten Bruchstücke der protestantischen Bildung in den
strengen Dienst zurnckzuzwingen, dieser nicht souveräne, nicht nationale, nicht auf
Autonomie und Vertretung des Volks gegründete Bundesstaat, ist nicht der
Unsere.

Warum wird dennoch Hr. v. Radowitz von den Oestreichern angefeindet? —
Weil sie in ihrer Einfalt klüger sind, als der romantische Staatsmann in seiner
Feinheit; weil sie begreifen, daß der Bundesstaat, wie man ihn anch verklausulircn
möge, durch die Macht der Verhältnisse in eine ihnen feindliche Richtung getrie¬
ben werdeu muß. — Und weil wir das ebenso einsehen, gehen wir mit Herrn
v. Radvwitz, obgleich wir wissen, daß er etwas anderes will, als wir.

Darum kämpft nicht blos die kleine ultramontane Partei in Erfurt, sondern
auch die sogenannte specifisch preußische Partei — wozu ich übrigens nicht alle
Schwarzweiße rechne, z. B. nicht Hrn. v. Bismark-Schönhausen, dessen Oppo-


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[0221] Netz der Disciplin verstrickt, dessen letzte Faden außerhalb des Staats, außerhalb der Nation, jenseit der Berge zusammenlaufen, deren Grundlage und deren Werk¬ zeug das Wunder ist, das Wunder, das nicht in historischer Ferne bleibt, sondern sich alle Tage lebendig erneut; die Geistlichkeit ist, sobald der Staat ihr die unbedingte Freiheit gibt, nud ihren Einfluß auf die sittlichen Begriffe des Volkes in der Beichte, in den Ehesachen, der geistlichen Jurisdiction und den Schulen bestehen läßt, die vollständige Verleugnung des Staats und der Nation. Denn dnrch diesen Einfluß hat sie den Staat in den Händen, und verlegt seinen Schwerpunkt außerhalb der Nation, jenseit der Berge. Freiheit der Kirche ist Knechtschaft des Staats. Das römische Reich deutscher Nation, die mittelalterliche Darstellung dieser Unfreiheit des Staats wurde zuerst dnrch die Reformation, dann dnrch Friedrich den Großen gebrochen. Die französischen Kriege haben ihm den Nest gegeben. Dies ist das Ziel, das dem protestantischen Staat in Deutschland gesteckt ist, das er nie aufgeben kaun, wenn er sich nicht selbst aufgeben will: Losreißung von dem alten römischen Reich. Gelingt es ihm, Oestreich mitzureißen, »in so besser; wo nicht, muß der Schnitt gewagt werden. Ans die Größe kommt es nicht an, wo es sich um die E.risteuz handelt. Von diesem Gesichtspunkt müssen, wir ausgehen, wenn wir die verschiedenen Richtungen begreifen wollen, die sich scheinbar in ihrem Ziel, dem Bundesstaat, begegnen. Unser Bundesstaat ist der Ausdruck des protestaniischeu Wesens: Völlige, unbedingte Souveränetät des Staats jeder äußern Gewalt gegenüber, und recht¬ liche Organisation desselben aus der breiten Grundlage" der Nation. Der Bundesstaat des Herrn v. Nadowit,, der gleich Schwarzenberg im drei¬ ßigjährigen Kriege den Staat, deu er lenken soll, in die Abhängigkeit des alten römischen Reichs führen möchte, der ihn mir darum will, um durch die preußische Kraft die übrigen vereinzelten Bruchstücke der protestantischen Bildung in den strengen Dienst zurnckzuzwingen, dieser nicht souveräne, nicht nationale, nicht auf Autonomie und Vertretung des Volks gegründete Bundesstaat, ist nicht der Unsere. Warum wird dennoch Hr. v. Radowitz von den Oestreichern angefeindet? — Weil sie in ihrer Einfalt klüger sind, als der romantische Staatsmann in seiner Feinheit; weil sie begreifen, daß der Bundesstaat, wie man ihn anch verklausulircn möge, durch die Macht der Verhältnisse in eine ihnen feindliche Richtung getrie¬ ben werdeu muß. — Und weil wir das ebenso einsehen, gehen wir mit Herrn v. Radvwitz, obgleich wir wissen, daß er etwas anderes will, als wir. Darum kämpft nicht blos die kleine ultramontane Partei in Erfurt, sondern auch die sogenannte specifisch preußische Partei — wozu ich übrigens nicht alle Schwarzweiße rechne, z. B. nicht Hrn. v. Bismark-Schönhausen, dessen Oppo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/221>, abgerufen am 25.08.2024.