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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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lichen Derbheit die "antediluvianischer" Ansichten eines Bismark und Kleist sehr
entschieden zurückwies. Trotz der strengen Disciplin, die er in seiner Partei ein¬
führte, und durch welche er die widerstrebenden Elemente gewaltsam zusammen¬
hielt, konnte man doch schon ahnen, das; der Bund uicht lauge dauern würde.
Mit der Annahme der Verfassung vom 5. December war der formelle Zweck der
Partei erreicht, und sie mußte sich jetzt eingestehen, daß im Wesentlichen damit
nichts gefordert sei; denn weder die Demokratie fügte sich diesem Beschluß, uoch
gab der Hof irgend eine bestimmte Erklärung, daß der Rechtsboden vom 5. De¬
cember noch der seinige sei. -- Die frankfurter Kaiserwahl gab den Ausschlag.
Vincke trat an die Spitze der deutschen Partei -- der Partei, die von der Ueber-
zeugung ausgeht, Preußen habe den Beruf, mit Ueberwindung des östreichischen
Einflusses Deutschland zu regeneriren, und das Ministerium, das sich nach langem
Zögern entschloß, den Schritt, zu dein es eine natürliche Eroberungssucht trieb, ob¬
gleich er seiner Statur uach ihm widerstrebte, uicht zu wagen, und dem die große
Majorität in beiden Kammern drängend entgegentrat, sah sich endlich genöthigt,
die Kammer aufzulösen. Damit war -- schon damals mußte es Jedem klar
sein -- die Aushebung des bisherigen vermeintlichen Ncchtsbodens unabweislich
verknüpft.

In Berlin habe ich Vincke zum erstenmal gehört. Was Correctheit, Oekonomie
und Architektonik der Rede betrifft, steht er hinter manchen andern Rednern zu¬
rück. Auch in Beziehung auf die Eleganz der Formen. Selbst sein Witz faud
ebenbürtige Gegner; Herr V.Berg, den.ihm die Linke in der Regel entgegen¬
stellte, war wenigstens behender und gewandter in seineu Ausfüllen, und ebenso
malieiös; eigentlich siud Vincke's Waffen zu schwer für ein zierliches Schuigefecht.
Aber der Unterschied liegt in der sittlichen Kraft seiner Rede. Bei Herrn von
Berg, auch wenn er ein noch so ernsthaftes Gesicht macht, denkt man immer an
einen geistreichem Windbeutel, der in demselben Augenblick mit ebeu so viel Witz und
Grazie auch das Entgegengesetzte sagen könnte; bei Vincke ist der Witz nur äußer¬
lich. Was er gegen die unrühmliche Politik des Ministeriums sagte, war nicht
man; aber die Kraft, Bestimmtheit und Nücksichtslostgteit, mit der er eS sagte,
das innere Feuer einer gewaltigen Natur, das halb wider seinen Willen hervorquoll,
machte einen Eindruck, dem kein anderer Redner gleich kommeu wird.

Mau hat ihn zuweilen -- auch vou Seite der Liberalen ist eS geschehe" --
darüber getadelt, daß er es damals zum Bruch kommen ließ, wo eine Verständi-
gung vielleicht noch möglich war. Man hat es ihm ebenso ans der andern Seite
zum Vorwurf gemacht, daß er nicht ans eine Verständigung mit deu gemäßigten
Demokraten, die dem rechten Centrum näher standen als eine andere Partei, hin¬
arbeitete. Das letztere war unmöglich, so lange die Linke, durch ihre neuesten
historischen Erinnerungen zusammengehalten, solidarisch für einander eintrat. Mit
den Begünstigern der Berliner Straßenherrschaft konnte kein Bund eingegangen


lichen Derbheit die „antediluvianischer" Ansichten eines Bismark und Kleist sehr
entschieden zurückwies. Trotz der strengen Disciplin, die er in seiner Partei ein¬
führte, und durch welche er die widerstrebenden Elemente gewaltsam zusammen¬
hielt, konnte man doch schon ahnen, das; der Bund uicht lauge dauern würde.
Mit der Annahme der Verfassung vom 5. December war der formelle Zweck der
Partei erreicht, und sie mußte sich jetzt eingestehen, daß im Wesentlichen damit
nichts gefordert sei; denn weder die Demokratie fügte sich diesem Beschluß, uoch
gab der Hof irgend eine bestimmte Erklärung, daß der Rechtsboden vom 5. De¬
cember noch der seinige sei. — Die frankfurter Kaiserwahl gab den Ausschlag.
Vincke trat an die Spitze der deutschen Partei — der Partei, die von der Ueber-
zeugung ausgeht, Preußen habe den Beruf, mit Ueberwindung des östreichischen
Einflusses Deutschland zu regeneriren, und das Ministerium, das sich nach langem
Zögern entschloß, den Schritt, zu dein es eine natürliche Eroberungssucht trieb, ob¬
gleich er seiner Statur uach ihm widerstrebte, uicht zu wagen, und dem die große
Majorität in beiden Kammern drängend entgegentrat, sah sich endlich genöthigt,
die Kammer aufzulösen. Damit war — schon damals mußte es Jedem klar
sein — die Aushebung des bisherigen vermeintlichen Ncchtsbodens unabweislich
verknüpft.

In Berlin habe ich Vincke zum erstenmal gehört. Was Correctheit, Oekonomie
und Architektonik der Rede betrifft, steht er hinter manchen andern Rednern zu¬
rück. Auch in Beziehung auf die Eleganz der Formen. Selbst sein Witz faud
ebenbürtige Gegner; Herr V.Berg, den.ihm die Linke in der Regel entgegen¬
stellte, war wenigstens behender und gewandter in seineu Ausfüllen, und ebenso
malieiös; eigentlich siud Vincke's Waffen zu schwer für ein zierliches Schuigefecht.
Aber der Unterschied liegt in der sittlichen Kraft seiner Rede. Bei Herrn von
Berg, auch wenn er ein noch so ernsthaftes Gesicht macht, denkt man immer an
einen geistreichem Windbeutel, der in demselben Augenblick mit ebeu so viel Witz und
Grazie auch das Entgegengesetzte sagen könnte; bei Vincke ist der Witz nur äußer¬
lich. Was er gegen die unrühmliche Politik des Ministeriums sagte, war nicht
man; aber die Kraft, Bestimmtheit und Nücksichtslostgteit, mit der er eS sagte,
das innere Feuer einer gewaltigen Natur, das halb wider seinen Willen hervorquoll,
machte einen Eindruck, dem kein anderer Redner gleich kommeu wird.

Mau hat ihn zuweilen — auch vou Seite der Liberalen ist eS geschehe» —
darüber getadelt, daß er es damals zum Bruch kommen ließ, wo eine Verständi-
gung vielleicht noch möglich war. Man hat es ihm ebenso ans der andern Seite
zum Vorwurf gemacht, daß er nicht ans eine Verständigung mit deu gemäßigten
Demokraten, die dem rechten Centrum näher standen als eine andere Partei, hin¬
arbeitete. Das letztere war unmöglich, so lange die Linke, durch ihre neuesten
historischen Erinnerungen zusammengehalten, solidarisch für einander eintrat. Mit
den Begünstigern der Berliner Straßenherrschaft konnte kein Bund eingegangen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/181>, abgerufen am 25.08.2024.