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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Dadurch erhält Vincke seine historische Berechtigung. Es wird hundert
Fälle geben, wo wir uns über ihn ärgern, aber er ist ein Mann, und wenn
wir ihn als Totalität betrachten, können wir uns an ihm erfreuen, ihn lieben
und bewundern. Dieser Mann hat vom specifischen Preußenthum, so viel ein
Einzelner überhaupt an sich tragen kann, und wir müssen uns. sein Bild sest in's
Herz graben, neu uicht Preußen mit seinen Diplomaten zu identificiren, die so
sein sehen, daß sie es gar nicht mehr merken, wenn ein Kind sie an der Nase
herumführt, mit seinen Generalen, die ihr herrliches Heer so verehren, daß sie
es unter keinen Umständen den Eventualitäten eines Krieges aussetzen möchten, >
mit seinen Philosophen, die Sein und Nichtsein so lange durch einander werfen,
bis sie es nicht mehr von einander Unterscheiden können, mit seinen "ehrlichen
Männern", die so lange ihre Ehrlichkeit zu Markte tragen, bis jedes Gefühl für
Ehre und Schmach in ihnen ausgelöscht ist.

Eine Charakteristik Vincke's kann nicht die Ausgabe haben, Enthüllungen zu
geben; seitdem er überhaupt in die Geschichte eingetreten ist, liegt sein ganzes
Thun und Sein so offen vor aller Unger, daß die schlauesten Diplomaten uicht
im Stande wären, mit ihren Lupen etwas wesentlich Neues an's Tageslicht zu
fördern. Was er früher war, so weit es überhaupt zu seinem Verständniß bei¬
trägt, kann man uoch heute auf seinem Gesichte lesen.") Auf der Universität
Krakehler, Corpsbursch und guter Paukant; später, als Landrath--das einzige Amt,
das unter der Herrschaft des Polizeistaates einem liberalen Aristokraten zukam,
weil es zur Hälfte ein ständisches ist -- in seinem Kreise der gefeierte Mann, der
seinen Standesgenossen nicht nur durch Witz und Beredsamkeit, souderu auch
durch seine äußere Stellung, seinen Namen und seine ganze Persönlichkeit imponirt,
und im Uebrigen versteht, zu leben und leben zu lassen.

Der historische Boden, auf dem sich Vincke'S Charakter entwickelt hat, ist der
p reußischc Li b c r a l i s in u ö. Ich unterscheide ihn wesentlich von dem deutschen
Liberalismus, für den ich in Heinrich von Gagern das reinste Bild dar¬
zustellen gedenke. Das Wort ist neuerdings in Verruf gekommen; zuerst haben
die Radicalen die Achsel darüber gezuckt, jetzt sind es die Schwarzweißen, die
selbst mit der Demokratie coquettiren, um ihren gefährlichsten Feind von zwei
Seiten zu erdrücken. Die sonstigen Stichworte der christlich-germanischen Aristokratie:
Bourgeois und Doctriuair, würden auf deu Freiherrn von Vincke nicht passen;
in einer der letzten Sitzungen des Erfurter Vereins hat Herr Stahl den Gegner,
indem er ihm den Fehdehandschuh hinwarf, beim rechten Namen genannt, und '
wir wollen uns uicht scheuen, diesen Namen, den die März-Romantik abgeworfen,
wieder aufzunehmen. Im Liberalismus macht es keinen Unterschied, ob man



Wir haben den Eindruck seiner Persönlichkeit im vorigen Jahrgang Heft ZI wieder¬
zugeben gesucht.

Dadurch erhält Vincke seine historische Berechtigung. Es wird hundert
Fälle geben, wo wir uns über ihn ärgern, aber er ist ein Mann, und wenn
wir ihn als Totalität betrachten, können wir uns an ihm erfreuen, ihn lieben
und bewundern. Dieser Mann hat vom specifischen Preußenthum, so viel ein
Einzelner überhaupt an sich tragen kann, und wir müssen uns. sein Bild sest in's
Herz graben, neu uicht Preußen mit seinen Diplomaten zu identificiren, die so
sein sehen, daß sie es gar nicht mehr merken, wenn ein Kind sie an der Nase
herumführt, mit seinen Generalen, die ihr herrliches Heer so verehren, daß sie
es unter keinen Umständen den Eventualitäten eines Krieges aussetzen möchten, >
mit seinen Philosophen, die Sein und Nichtsein so lange durch einander werfen,
bis sie es nicht mehr von einander Unterscheiden können, mit seinen „ehrlichen
Männern", die so lange ihre Ehrlichkeit zu Markte tragen, bis jedes Gefühl für
Ehre und Schmach in ihnen ausgelöscht ist.

Eine Charakteristik Vincke's kann nicht die Ausgabe haben, Enthüllungen zu
geben; seitdem er überhaupt in die Geschichte eingetreten ist, liegt sein ganzes
Thun und Sein so offen vor aller Unger, daß die schlauesten Diplomaten uicht
im Stande wären, mit ihren Lupen etwas wesentlich Neues an's Tageslicht zu
fördern. Was er früher war, so weit es überhaupt zu seinem Verständniß bei¬
trägt, kann man uoch heute auf seinem Gesichte lesen.") Auf der Universität
Krakehler, Corpsbursch und guter Paukant; später, als Landrath—das einzige Amt,
das unter der Herrschaft des Polizeistaates einem liberalen Aristokraten zukam,
weil es zur Hälfte ein ständisches ist — in seinem Kreise der gefeierte Mann, der
seinen Standesgenossen nicht nur durch Witz und Beredsamkeit, souderu auch
durch seine äußere Stellung, seinen Namen und seine ganze Persönlichkeit imponirt,
und im Uebrigen versteht, zu leben und leben zu lassen.

Der historische Boden, auf dem sich Vincke'S Charakter entwickelt hat, ist der
p reußischc Li b c r a l i s in u ö. Ich unterscheide ihn wesentlich von dem deutschen
Liberalismus, für den ich in Heinrich von Gagern das reinste Bild dar¬
zustellen gedenke. Das Wort ist neuerdings in Verruf gekommen; zuerst haben
die Radicalen die Achsel darüber gezuckt, jetzt sind es die Schwarzweißen, die
selbst mit der Demokratie coquettiren, um ihren gefährlichsten Feind von zwei
Seiten zu erdrücken. Die sonstigen Stichworte der christlich-germanischen Aristokratie:
Bourgeois und Doctriuair, würden auf deu Freiherrn von Vincke nicht passen;
in einer der letzten Sitzungen des Erfurter Vereins hat Herr Stahl den Gegner,
indem er ihm den Fehdehandschuh hinwarf, beim rechten Namen genannt, und '
wir wollen uns uicht scheuen, diesen Namen, den die März-Romantik abgeworfen,
wieder aufzunehmen. Im Liberalismus macht es keinen Unterschied, ob man



Wir haben den Eindruck seiner Persönlichkeit im vorigen Jahrgang Heft ZI wieder¬
zugeben gesucht.
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[0170] Dadurch erhält Vincke seine historische Berechtigung. Es wird hundert Fälle geben, wo wir uns über ihn ärgern, aber er ist ein Mann, und wenn wir ihn als Totalität betrachten, können wir uns an ihm erfreuen, ihn lieben und bewundern. Dieser Mann hat vom specifischen Preußenthum, so viel ein Einzelner überhaupt an sich tragen kann, und wir müssen uns. sein Bild sest in's Herz graben, neu uicht Preußen mit seinen Diplomaten zu identificiren, die so sein sehen, daß sie es gar nicht mehr merken, wenn ein Kind sie an der Nase herumführt, mit seinen Generalen, die ihr herrliches Heer so verehren, daß sie es unter keinen Umständen den Eventualitäten eines Krieges aussetzen möchten, > mit seinen Philosophen, die Sein und Nichtsein so lange durch einander werfen, bis sie es nicht mehr von einander Unterscheiden können, mit seinen „ehrlichen Männern", die so lange ihre Ehrlichkeit zu Markte tragen, bis jedes Gefühl für Ehre und Schmach in ihnen ausgelöscht ist. Eine Charakteristik Vincke's kann nicht die Ausgabe haben, Enthüllungen zu geben; seitdem er überhaupt in die Geschichte eingetreten ist, liegt sein ganzes Thun und Sein so offen vor aller Unger, daß die schlauesten Diplomaten uicht im Stande wären, mit ihren Lupen etwas wesentlich Neues an's Tageslicht zu fördern. Was er früher war, so weit es überhaupt zu seinem Verständniß bei¬ trägt, kann man uoch heute auf seinem Gesichte lesen.") Auf der Universität Krakehler, Corpsbursch und guter Paukant; später, als Landrath—das einzige Amt, das unter der Herrschaft des Polizeistaates einem liberalen Aristokraten zukam, weil es zur Hälfte ein ständisches ist — in seinem Kreise der gefeierte Mann, der seinen Standesgenossen nicht nur durch Witz und Beredsamkeit, souderu auch durch seine äußere Stellung, seinen Namen und seine ganze Persönlichkeit imponirt, und im Uebrigen versteht, zu leben und leben zu lassen. Der historische Boden, auf dem sich Vincke'S Charakter entwickelt hat, ist der p reußischc Li b c r a l i s in u ö. Ich unterscheide ihn wesentlich von dem deutschen Liberalismus, für den ich in Heinrich von Gagern das reinste Bild dar¬ zustellen gedenke. Das Wort ist neuerdings in Verruf gekommen; zuerst haben die Radicalen die Achsel darüber gezuckt, jetzt sind es die Schwarzweißen, die selbst mit der Demokratie coquettiren, um ihren gefährlichsten Feind von zwei Seiten zu erdrücken. Die sonstigen Stichworte der christlich-germanischen Aristokratie: Bourgeois und Doctriuair, würden auf deu Freiherrn von Vincke nicht passen; in einer der letzten Sitzungen des Erfurter Vereins hat Herr Stahl den Gegner, indem er ihm den Fehdehandschuh hinwarf, beim rechten Namen genannt, und ' wir wollen uns uicht scheuen, diesen Namen, den die März-Romantik abgeworfen, wieder aufzunehmen. Im Liberalismus macht es keinen Unterschied, ob man Wir haben den Eindruck seiner Persönlichkeit im vorigen Jahrgang Heft ZI wieder¬ zugeben gesucht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/170>, abgerufen am 22.07.2024.