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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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führt; seine Passagiere behandelte er mit dem souveränen Wohlwollen, das ein
Schiffscapitän den Landratten an Bord seines Fahrzeugs beweist. Von übertrie¬
bener Galanterie war bei ihm keine Rede. Wahrend der Fahrt riß der Wind
einem Fräulein auf der hintern Bank des Daches den Mantel von der Schulter.
Halt, Kutscher, Halt! Mein Mantel! schrie sie. Die Pferde wiegten sich eben
im muntersten Galopp; Lanky hörte Nichts. Ich klopfte ihm auf die Achsel und
wiederholte die Botschaft. Ich weiß, sagte er, endlich haltend und sah sich um;
das unglückliche Seidenkleid lag ein gutes Stück hinter uns mit allen vier Zipfeln
in den Staub hingestreckt. Mr. Lanky aber hatte durchaus keine Lust, vom hohen
Sitz herabzusteigen. Können Sie fahren? fragte er mich mit prüfendem Blick,
das Kinn in die Halsbinde steckend; und ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr
er fort: Ein böser Handel, Madame! Gebe die Zügel uicht gern ans der Hand!
-- Ich machte der Unterhandlung ein Ende, holte den Mantel und erhielt dafür
ein kühles: "Dank" Ihnen!" uicht aus dem Munde deö Fräuleins, welches meinen
Dienst wie eine Zudringlichkeit mit eisig glotzenden Blicken bestrafte, sondern aus
der Kehle Lanky's. Beim Aussteigen ließ er die Hausknechte deö Hotels den
Passagieren und dann sich heruuterhelfeu; sein Trinkgeld dagegen forderte er mit
der Einsilbigkeit und Kälte eines Steuereinnehmers. "Shilling, Sir! -- Guten
Morgen, Sir!" er rückte nicht einmal den Hut dabei.

Einige Tage später wollten wir von PortSmouih wieder nach Brighton, allein
man versicherte uns in George's Hotel, wir würden keine Etage-Coach finden,
old müßten den Eisenbahuumweg über Souihampton und London einschlagen.
Es war nämlich Sonntag. Seltsamerweise gilt es für"keine Sünde, am Tage des
Herrn zu Schiff zu steige", auch der Dampfwagen ist erlaubt, während eine Stage-
Cvach-Fahrt als gröbliche Verletzung des Sabbaths angesehen wird. A propos,
bemerkte endlich der Kellermeister im Hotel, zögernd und mit einem verachtenden
Zug um die Mundwinkel; ich höre, daß Swilly in der Hafengasse so was wie 'ne
stage-Coach am Sonntag von Stapel läßt. Aber, Sie sind Gentlemen, ich kaun
Ihnen daher die Gelegenheit nicht empfehlen. Swilly ist ein Jrländer, -- nichts
Nespcctableö an der Wirthschaft. -- Wir trotzten jedoch der öffentlichen Meinung
von George'S Hotel und von ganz PortSmouih und gingen spornstreichs nach der
Hafengasse. Da stand eine Kuische, so blank und tadellos wie uur eine in Eng¬
land und begänne mit vier gentlemämüscheu Grauschimmel". Rasch nahmen wir
nnjere Plätze, mußten jedoch eine Stunde warten und blieben zuletzt die einzigen
Gäste. Guten Morgen, Mylords! quiekte ein kleines Kerlchen, ans der WirthS-
hauSthür springend, stemmte die Arme in die Seiten und beäugelte uns lachend.
Die Augen waren eigentlich nnr ein Paar schmale Ritzen in dem braunen, schnaps¬
geblähten Gesicht, die Stumpnase rümpfte sich keck über dem gezwungen lachenden
Breitmaul, denn die laugen, eben nicht perlweißen Zähne schienen die Vereinigung
von Ober- und Unterlippe um jeden Preis zu verbieten. Auch die Kleidung, von


führt; seine Passagiere behandelte er mit dem souveränen Wohlwollen, das ein
Schiffscapitän den Landratten an Bord seines Fahrzeugs beweist. Von übertrie¬
bener Galanterie war bei ihm keine Rede. Wahrend der Fahrt riß der Wind
einem Fräulein auf der hintern Bank des Daches den Mantel von der Schulter.
Halt, Kutscher, Halt! Mein Mantel! schrie sie. Die Pferde wiegten sich eben
im muntersten Galopp; Lanky hörte Nichts. Ich klopfte ihm auf die Achsel und
wiederholte die Botschaft. Ich weiß, sagte er, endlich haltend und sah sich um;
das unglückliche Seidenkleid lag ein gutes Stück hinter uns mit allen vier Zipfeln
in den Staub hingestreckt. Mr. Lanky aber hatte durchaus keine Lust, vom hohen
Sitz herabzusteigen. Können Sie fahren? fragte er mich mit prüfendem Blick,
das Kinn in die Halsbinde steckend; und ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr
er fort: Ein böser Handel, Madame! Gebe die Zügel uicht gern ans der Hand!
— Ich machte der Unterhandlung ein Ende, holte den Mantel und erhielt dafür
ein kühles: „Dank" Ihnen!" uicht aus dem Munde deö Fräuleins, welches meinen
Dienst wie eine Zudringlichkeit mit eisig glotzenden Blicken bestrafte, sondern aus
der Kehle Lanky's. Beim Aussteigen ließ er die Hausknechte deö Hotels den
Passagieren und dann sich heruuterhelfeu; sein Trinkgeld dagegen forderte er mit
der Einsilbigkeit und Kälte eines Steuereinnehmers. „Shilling, Sir! — Guten
Morgen, Sir!" er rückte nicht einmal den Hut dabei.

Einige Tage später wollten wir von PortSmouih wieder nach Brighton, allein
man versicherte uns in George's Hotel, wir würden keine Etage-Coach finden,
old müßten den Eisenbahuumweg über Souihampton und London einschlagen.
Es war nämlich Sonntag. Seltsamerweise gilt es für«keine Sünde, am Tage des
Herrn zu Schiff zu steige», auch der Dampfwagen ist erlaubt, während eine Stage-
Cvach-Fahrt als gröbliche Verletzung des Sabbaths angesehen wird. A propos,
bemerkte endlich der Kellermeister im Hotel, zögernd und mit einem verachtenden
Zug um die Mundwinkel; ich höre, daß Swilly in der Hafengasse so was wie 'ne
stage-Coach am Sonntag von Stapel läßt. Aber, Sie sind Gentlemen, ich kaun
Ihnen daher die Gelegenheit nicht empfehlen. Swilly ist ein Jrländer, — nichts
Nespcctableö an der Wirthschaft. — Wir trotzten jedoch der öffentlichen Meinung
von George'S Hotel und von ganz PortSmouih und gingen spornstreichs nach der
Hafengasse. Da stand eine Kuische, so blank und tadellos wie uur eine in Eng¬
land und begänne mit vier gentlemämüscheu Grauschimmel». Rasch nahmen wir
nnjere Plätze, mußten jedoch eine Stunde warten und blieben zuletzt die einzigen
Gäste. Guten Morgen, Mylords! quiekte ein kleines Kerlchen, ans der WirthS-
hauSthür springend, stemmte die Arme in die Seiten und beäugelte uns lachend.
Die Augen waren eigentlich nnr ein Paar schmale Ritzen in dem braunen, schnaps¬
geblähten Gesicht, die Stumpnase rümpfte sich keck über dem gezwungen lachenden
Breitmaul, denn die laugen, eben nicht perlweißen Zähne schienen die Vereinigung
von Ober- und Unterlippe um jeden Preis zu verbieten. Auch die Kleidung, von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/167>, abgerufen am 01.07.2024.